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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Heidelberg, 20. November 1841

Lieber Erec.

Es ist mir leid, daß Du beim Eingang in Deine historische Laufbahn nicht mit mehr Aufmunterung bist bewillkommst worden – das ist das erste und lebhafteste, was mich aus Deinem Briefe berührt hat. Ich weiß aus eigner Erfahrung, wie niederschlagend das ist, grade wenn man am eifrigsten wirken möchte; es hat mich in wenigen Jahren dahin gebracht, daß ich von dem gewöhnten Docierfeuer und von dem innersten Wunsch, mit jungen Leuten auf engste zu verkehren und ihnen meine ganze Seele aus- und einzuschütten, zu der frostigsten Gleichgültigkeit gegen alle Universitätswirthschaft gekommen bin. Bei dir ist das Alles glaub ich noch gefährlicher, da Du den ganzen Kram und Gram schon von früher auf Gelegenheit hattest kennen zu lernen, wie nicht gleich ein anderer. Möchtest Du nun nicht ermüden, allen Fleiß auch auf die formale Ausarbeitung einer Reihe von Vorlesungen hin wenden, eine Sache die ich leider versäumt und deren Versäumnis ich immer zu bereuen hatte.

Was Du mir von Beselers Haus und Familienleben schreibst habe ich mir immer so gedacht; er sitzt auch da ganz im Schoße des Glückes, und grade des Glückes wie es ihm allein zusagt. Auch das von seiner Persönlichkeit und persönlichem Wirken lag schon vorlangst in ihm ausgeprägt und dass es sich gerade so entwickelt habe wie Du schreibst, konnte man nun seinen Briefen wohl entnehmen. Er ist nun auf dem Wege zu den brillantesten Zielen und grade in dem Lande, das Du verlassen hast, und das ihm immer das gelobte Land war. Ob aber nun das damit nicht das weitere Ausstreben, das wir sonst gemeinsam in Aussicht nahmen, sich bei ihm legen wird, das ist eine andere Frage. Doch hatte schon Gelegenheit, ihn auf eine Probe zu stellen, an der er völlig gescheitert ist, wie ich zu sehen glaube. Sagt er Dir nichts davon so laß es gehen, und ein andermal darüber; sonst kannst Du Dir übrigens von ihm die Projecte mittheilen lassen, über denen ich brüte, falls er sie Dir noch nicht gesagt hat; mein letzter Brief an ihn hatte sich darüber verbreitet. Du wirst dann gleich sehen, worum es sich handelt. Die Projecte, die ich (sobald Auszug und ein1 2. von Band 2-3 fertig sind) mit aller Energie verfolgen werde, gehen wie Du übrigens schon weißt, direct auf eine freie Erörterung unserer politischen Lage, und sie sollen positiv das versuchen, was die ganze Tendenz des Literatur-Buchs2 negativ vorbereiten sollte. Es kommt nun darauf an, ob ich mit meinen Sympathien einigermaßen in die der Zeit verwachsen bin oder nicht, und ob ich nicht künftig Ursach haben werde, mich meines Glaubens an diese Dinge zu schämen, oder mein Vordringen als voreilig und unzeitgemäß zu bereuen. Soll ich mir ein Prognosticon aus den ganz kleinen Symptomen stellen, die ich schon jetzt kaum anfangend, in den Wirkungen meines Schlusses von Band 53 und meiner hier und da mitgetheilten Projecte erkennen kann, so stehen bei uns einem politische Fortschritte die zwei unseligen Elemente gleichmäßig erst gegen, die Nord und Süd darstellen: der Frost und die Kälte, die mir unser Beseler entgegen bringt, und das übermäßige Feuer, das mir von der Schweiz her schon aus drei Quellen entgegen sprudelt. Dorthin dürfte ich nur die Hand ausstrecken, so hätte ich Schule, Anhang, ja fanatischen Anhang um mich. Aber die große Mannsucht habe ich nie gehabt – wenn die Zeit etwas aus meinen Meinungen und Ansichten machen kann und will, so soll sie es thun ohne mein Zuthun und zuhülfe mit äußerlichen Hebeln: aus mir selbst etwas zu machen, erlasse ich ihr, geschweige daß ich selber Hand dazu bieten sollte. Ich hatte mich in der richtigen Mitte – mich kühlt das Feuer von dort her, mich erhitzt der Frost von Norden her, wie es Beseler in meinem letzten Briefe spüren wird. Ich werde keine Mühe haben mich in der Weise auf mir selbst allein stehend zu erhalten, daß ich gern Alle zu Bundesgenossen werben möchte, die dem gemeinen Wesen helfen wollen, keinen, der sich oder mir helfen will.4

Was Du mir über den Schluß meines Bandes 5.5 sagst, bestätigt mir, daß diese Richtung und Tendenz doch bei Vielen vorbereit liegen muß; meine wenigen Zeilen, die dazu eigentlich ausschließlich an die junge Schriftstellerwelt errichtet sind, könnten nicht an sich so viel Gedanken und Empfindungen anregen, ja aufregen, als ich es von mehren Seiten her merkte, daß sie thun: es muß eben Zündstoff in den Seelen liegen, den dieser Funke nun ansteckt. – Möchtest Du mir nicht auch ein Wort sagen über die Art, wie eigentlichen Inhalt, und namentlich Goethe und Schiller und dergleichen Dir vorkommen? Auf Schlosser macht das Buch die allerschönste Wirkung – Du weißt wie wenig ihn die Ästhetica an sich sonst berühren, noch fließt es aus seinen Äußerungen, daß die ganze Verwandtschaft der Gesinnung, von der er am besten weiß daß sie nicht Schulgebet ist, ihm einen Eindruck macht, als freue, daß nicht ganz diese Denkart ausstirbt, wenn er einmal die Augen zuschließt. Mir ist das ganz rührend grade in der Art wie es sich bei ihm äußert; er kann nicht loben, am wenigsten ins Gesicht, aber er sagt es in einem Blick, der von wenig stammelnden Winken begleitet ist.

Das Handbuch sollst Du haben sobald es fertig ist. Kämst Du zufällig zu seinem Gebrauch auf Schulen etwas beitragen, so thust Du meinem Buchhändler einen größeren Gefallen noch, als mir. Ich glaube daß es für diesen Zweck gut gerathen wird. Ich habe es rein als Auszug gehalten, dadurch wird es für die Lehrer sehr zugänglich werden und bequem. Ich habe es nicht ganz, aber doch etwas aufgegeben, zugleich eine Quintessenz des Ganzen daraus zu bereiten – auch die historischen Grundzüge zu einer Poetik die sich aus dem Werk so leicht excerciren lassen, will ich weg lassen, damit ich keiner Ansicht in den Weg trete. Vielleicht ziehe ich diese letzteren einmal besonders aus, als Seitenstück zu der Historik.

Victorie grüßt herzlichst wieder. – Laßt nicht so schamlos künftig wieder warten wie diesmals.
Dein
Gervinus.