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Georg Beseler an Karl Hegel, Greifswald, 26. Mai 1842

Lieber Erich1!

ich beantworte Deinen Brief2 später, als es meine Absicht war: allein ich habe an Greifswald meinen gewöhnlichen Umzugstribut bezahlen müßen, indem ich fast 14 Tage an Grippe, Zahnschmerzen perge! perge! . gelitten. Die Sache war indeßen nicht gerade von Bedeutung, wenn auch hinderlich, und jetzt fühle ich mich wieder ganz frisch und munter. Frau und Kinder3 haben sich dagegen nichts anfechten laßen, und geben mir in dieser Beziehung, wie in so vielen andern, das beste Beispiel. Ich werde übrigens wohl noch manchmal etwas zu leiden haben, denn die Nordostwinde sind hier noch schärfer und häufiger als in Rostock. – Was im Übrigen unser hiesiges Seyn und Treiben angeht, so ist es natürlich schwer, sogleich im Anfang darüber bestimmte Erwartungen für die Zukunft auszusprechen, zumal da weder Familie noch ich uns leicht anschließen und fest machen. Mißfallen hat es uns hier nicht, wie Du aus Berlin gehört haben willst; aber sich bald heimisch zu fühlen, wird schwer, namentlich wenn man aus so angenehmen Verhältnißen geschieden ist, wie wir. Die Stadt ist freundlich, und unser Logis allerliebst; die Umgegend flach, aber fruchtbar, und in der Nähe, d. h. eine halbe Meile entfernt, ist das Meer und eine schöne Buchenwaldung. Das sociale Leben scheint hier angenehm und behaglich zu seyn; namentlich fällt es, wenn man aus Mecklenburg kommt, sehr auf, daß der Adel als solcher durchaus nicht auf etwas Besonderes Anspruch macht. Es sind hier viele Gerichte, unter deren Personal manche tüchtigen und liebenswürdigen Männer. Auch bei der Universität fehlt es nicht an solchen. Baumstark hat sich entschieden aufgenommen, und zeigt uns eine unwandelbare Freundlichkeit und Gefälligkeit, wie man sie nur an dem guten Hans Röper gewohnt ist; auch die Frau ist angenehm und liebenswürdig. Außerdem gefallen mir noch besonders Schömann, der ein wirklich bedeutender Mann ist, und der Mathematiker Grunert; aber auch einige andere sagen mir wohl zu, und wenn noch einige Alte abgehen und einige Junge zu kommen, so wird die Professorenschaft ganz tüchtig seyn. Barthold, nach dem Du fragst, habe ich bis jetzt nicht näher kennen lernen können. – Trotz dem oben Gesagten merkt man der Universität doch an, daß sie lange Zeit im hohen Grade vernachläßigt gewesen ist: es ist so viel Lahmheit, Indifferenz, Unwissenschaftlichkeit unter Profeßoren und Studenten, ähnlich wie vor nicht langer Zeit in Rostock. Hoffentlich wird es auch hier beßer werden. – Ich lese deutsche Rechtsgeschichte vor 7. und das Publicum nur 8. Studenten; außerdem in Eldena Landwirtschaftsrecht, d. h. vorläufig eine Art populärer juristischer Encyclopädie vor 30-40. Akademikern. – Daß es Dir mit Deinen Vorlesungen, wenigstens mit dem Publicum, so gut geht, freut mich sehr.4 Wenn Du nur beharrlich bist, wirst Du gewiß Dir eine tüchtige Stellung verschaffen können.

Hermann Dahlmann ist nicht gekommen; auch habe ich weder von dem Vater noch von Grimms Nachrichten. Die angebliche Berufung nach Berlin halte ich für eine Klatscherei. Der Minister Eichhorn sagte mir zuletzt noch, daß die Verhältniße zu Hannover, und namentlich schwebende Verhandlungen, Dahlmann’s Anstellung für die nächste Zukunft unmöglich machten. Es scheint, als wenn er den König von Hannover5 angebort hat. In Berlin selbst, meinte er, bestehe durchaus kein Hinderniß. Ach! Daß Preußen sich anderwärts solche bereiten läßt! Auch von Gervinus bin ich ohne Nachrichten, und deswegen in Sorgen. Wenn Du oder Wunderlich etwas erfährst, so melde es mir doch sogleich. Ich kann es nicht genug bedauern, daß Gervinus nicht nach Jena kommen konnte. Es wäre uns ein mündlicher Austausch so nöthig gewesen! Ich muß jetzt warten, bis er mir schreibt. –

Daß Ihr Euch mit Kierulffs6 und Wunderlich so gut stellt, freut mich sehr; es sind auch beide liebenswürdige Menschen. Dein Zerwürfniß mit Stannius hat sich ja wohl wieder applanirt. Du behauptest aber zu viel, wenn Du ihm jede ehrbare Seite absprichst. Sie fehlen ihm nicht; ich kenne ihn genau, und sey überzeugt, ich würde nicht sein Freund seyn, wie ich es bin, wenn er nicht für seine allerdings großen Schwächen auch reichlichen Ersatz böte. Er hat ein nobles Streben und warmes Gemüth, worüber sich leider Zuweilen die Eiskruste eines scharfen und bißigen Wesens hingießt.

Die Weidmannsche Buchhandlung hat auf Dahlmanns Antrieb an mich […]7 und sich der Verlag „des Volksrechts und Juristenrechts“ erboten, in[…] es mir ganz überläßt, selbst die Bedingungen zu stellen. Ich gehe natürlich darauf ein, und schließe in diesen Tagen deswegen ab. Ich würde mir 3. Friedrichsd’ors für den Bogen zahlen laßen, und hoffe jedenfalls vor Weihnachten das Buch fertig zu haben: es soll das Beste enthalten, was ich weiß und geben kann.8 – Die Sache mit Thöl ist ja fatal; wie kann er sich so bloß stellen! Wunderlich wird wohl noch viel Verdruß davon haben!

Grüße mir alle Lieben herzlich, und bitte namentlich meinen Schwager, mir doch zu melden, ob er denn meine bedeutende Sendung vom 13. dieses Monats erhalten habe. Meine Frau schließt sich meinen Grüßen freundlichst an.

Dein getreuer
GeorgBeseler

P. S. So eben erhalte ich einen Brief von meinem Schwager9, wonach Alles in Ordnung ist.