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Georg Beseler an Karl Hegel, Greifswald, 21. Juni 1842

Lieber Hegel!

es ist für mich keine leichte Aufgabe, Dir auf Deinen letzten Brief zu antworten. Denn theils halte ich es für bedenklich, in so zarte Verhältniße zu interveniren, theils verlangst Du von mir Aufschlüße, die ich nach einer Seite hin nicht ohne Beklemmung geben kann. Indeßen Du willst vor Allem Wahrheit, und die bin ich Dir als Freund doppelt schuldig: auch ist es meine Pflicht, Dich nach allen Seiten zu orientiren, bevor Du einen so wichtigen Schritt tust, wie den fraglichen. Ich sehe also weder links noch rechts, sondern gehe gerade auf die Sache los.

Was zuerst das Verhältniße von Louisens Eltern betrifft, so ist diß ein sehr trauriges. Die Mutter ist eine durch und durch achtungswerthe und ausgezeichnete Frau; sie war Schauspielerin, als sie ihren jetzigen Mann heirathete, ist aber stets von allen, die sie kannten, im hohen Grade geschätzt und geehrt worden. Auch der Vater soll früher ein sehr tüchtiger Beamter gewesen seyn; er ist aber nach und nach in eine bodenlose Faulheit und Nichtsthuerei versunken, hat sich in seiner Amtsführung unglaubliche Nachläßigkeiten und wohl auch Veruntreuungen zu Schulden kommen laßen, ist deswegen abgesetzt und mit mehrjähriger Festungsstrafe belegt worden, die er aber, aus nachsichtsvoller Connivenz der Gerichte, nicht angetreten hat, da er körperlich, an Steinschmerzen, sehr leidend seyn soll. Er lebt jetzt, allen unsichtbar, von der Unterstützung seiner Schwiegersöhne, hauptsächlich wohl meines Bruders; denn Vermögen kann gar nicht da seyn indem bei der Absetzung eine große Überschuldung sich herausstellte, und Concurs eintrat.

Ich wende mich von diesem traurigen Bilde zu einem heiteren. Louise Christiansen ist jetzt 21 Jahr alt; wie ich überzeugt bin, ist es eine durchaus kindliche, unschuldige Natur, von weiblichem Gemüth, voll Heiterkeit und Frische. Was mir an ihr nicht gefallen hat, ist das rauschende Gesellschaftsleben, welches sie ungeachtet der Catastrophe ihres Vaters fortgeführt hat, und zwar, wie mir schien, mit voller jugendlicher Leichtigkeit. Allerdings war das freundliche Entgegenkommen, welches ihr von allen Seiten wegen ihrer liebenswürdigen Persönlichkeit und ihres schönen Talents zu Theil ward, für sie eine große Verlockung; auch glaube ich, daß mein Bruder vornämlich diese ihre Richtung befördert hat, denn er befolgte den Grundsatz, daß man dem jungen Mädchen durch das Unglück im elterlichen Hause ihre [!] schöne Jugendzeit nicht rauben oder verkümmern lassen dürfe. Aber wenn diß auch Manches erklärt und entschuldigt, so hat es mir Louisens Benehmen, welches unter andern Umständen durchaus untadelhaft gewesen, unter den vorliegenden doch nicht rechtfertigen können. Ich wage namentlich nicht die Frage mit Entschiedenheit zu bejahen, wenn ich sie auch ebenso wenig verneinen kann, ob sie mit einem stillen, bescheidenen, häuslichen Leben ganz befriedigt seyn würde. Doch muß ich zugleich bemerken, daß die drei übrigen Schwestern alle anspruchslose, liebenswürdige Hausfrauen und Mütter sind. Vielleicht fällt jener frühere Vorwurf vorzugsweise auf meinen Bruder und auch die Mutter, welche in der Tochter ihren schönsten Glanz sah.

Mehr muß ich nicht zu sagen. Du wirst nach diesem Dich doppelt prüfen müßen, lieber Hegel, ehe Du den wichtigen Schritt thust. Ich rathe nicht ab und nicht zu, denn in solchen Sachen kann niemand das Beste wißen, da Alles am Ende auf Persönlichkeit, Herz und auf die incommensurable Liebe ankommt. Wie es sich aber auch wende, – ich wünsche von ganzer Seele, daß es Dir zum Heil und zum dauernden Lebensglück ausschlage.

Weiteres schreibe ich nicht, da dieser Brief mich afficirt hat, und Wesentliches nicht zu melden ist. Laß mich aber wißen, wie es an der Universität bei Euch aussieht, wie namentlich mit Thöls Berufung, der Juristenfakultät perge! perge!. – Wenn Du einen Entschluß gefaßt und durchgeführt hast, – und Ersteres wenigstens mußt Du bald thun, – so erfahre ich das Weitere von Dir.

Meine Frau grüßt freundlichst.
Dein GeorgBeseler

P. S. Dein Benehmen gegen Louise muß sehr befangen seyn; von verschiedenen Seiten wird uns geschrieben, daß Du weg seyst. Also ermanne Dich auf die eine oder die andere Art. Unter gewißen Voraussetzungen kann eine Reise unerläßlich werden; uns bist Du immer willkommen.