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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Jena, 30. Juni 1842

Lieber Erich.

Ich bin endlich hier in Jena, um den lange versprochenen und verschobenen Besuch bei Dahlmanns nachzuholen und nichts ist wohl natürlicher, als daß mir dabei einfällt, was ich auch bei Dir, bei Beseler und vielen anderen im Punkte der Correspondenz bisher verschoben und versäumt habe. Es wird mich entschuldigen, daß ich mich das ganze Frühjahr her mit Störungen meiner Gesundheit und allerlei daran geknüpfte Besorgnisse zu plagen hatte und daß ich kaum je frei genug war, um an irgendein Geschäft gehen zu mögen das gute Laune erforderte. Allerhand Projecte waren gemacht, um diesen Sommer etwas förderndes für meine Gesundheit zu thun, es blieb endlich bei dem, daß ich hierher ging, Dahlmann abholte zu einer Reise am Rhein und von da mitnähme auf ein Paar Tage nach Heidelberg. So bin ich nun vorgestern hier angekommen. Doch habe ich schon in diesen 2 Tagen erquickt in alten Erinnerungen, an neuen Unternehmungen, an Besprechungen fürs künftige. Es thut mir wohl, daß ich in der ganzen Familie nichts Fremdes, Neues, Verändertes finde, selbst kaum in Dorothee, wo es fast natürlich und nothwendig gewesen wäre. Viele Briefe, selbst Beselers wiederholt, hatten mir immer von Dahlmanns größestem Ernste, steigende Würde und dergleichen erzählt, dass ich mich auf einige Verbitterung schon gerüstet hatte, zum Glücke finde ich ehe seine Heiterkeit und Laune gesteigert. Und was mir daneben eben so wichtig ist und ein Theil der Jahre zwischen uns wegnimmt: ich habe Dahlmanns bestimmte Erklärungen, daß er seine theoretische Politik nun aufgibt; zwar auch nach einem gewissen Capitel in derselben, aber er gibt sie doch auf. Er hatte mich der reinen Absicht, in politische Schriftstellerei überzugehen gewarnt, brieflich, früher, ich glaube aus Angst vor meiner Richtung und Neigung, unseren politischen Einsichten, um Bedürfnissen Trieb zu geben, er that es aber, weil er glaubte, ich wolle mich auch in eitle Theorienmacherei und Lehrbücher begehren; wir klärten uns in diesem wiederseitigen Irrthum auf, zu gegenseitiger Befriedigung.

Wenn ich doch diese Scene in Beselers Gegenwart erlebt hätte! Es schmerzt mich nun dreifach, daß ich im Frühling nicht kommen konnte. Du wirst es gehört oder gemerkt haben daß ich mit Beseler gespannt bin, es scheint nicht daß er Dir den Grund gesagt hat, da er ihn auch hier bei Dahlmanns nicht sagte. Ich hatte ihm vorigen Winter folgenden Plan mitgetheilt, der sich, wie Du schon weißt, auf ältere Pläne stützt, die Beseler kannte, billigte, ja theilen wollte. Eine Gesellschaft von Männern guter Gesinnung theilt sich in ! die Arbeit, von jedem deutschen Staate eine Geschichte der letzten Zeit, etwa vom Wiener Congreß an zu schreiben. Es sollen 25 jährige Chroniken an die Stelle der Zeitungen treten, die uns verwehrt sind; wir wollen die Preßfreiheit wenigstens benutzen die wir haben, um nicht den gerechten Vorwurf auf uns zu ziehen, uns in eitlen Wünschen nach einer Preßfreiheit zu gefallen, da wir doch die nicht gebrauchen, die wir schon besitzen. Documentarische factische Unumstößlichkeit soll die Schriften zu unentbehrlichen Geschichtsquellen machen, die zu unterdrücken unmöglich sein müßte. Die Geschichte von Preußen, von dem deutschen Bunde, von Hannover, von Braunschweig, von Darmstadt sind schon so vertheilt, ich glaube in ganz passende Hände, Preußen weißt Du habe ich auf mich genommen. Keiner den ich aufforderte schlug mir ab; von keinem erwartete ich es weniger als von Beseler; kein Fremder könnte es in einem widerlicheren Tone thun, als er es gethan hat. Es war der Ton ganz eines preußischen Beamten; es war nicht die Rücksicht blos auf den Augenblick seines Eintritts in preußische Dienste, die ihn zurücktreten ließ, sondern die auf eine ganze Zukunft in ministeriellem Geleise, es war Bequemlichkeit, Behagen, was ihn in dem ganzen Plane einen bloßen enragè1 finden ließ, wie er mich hier bei Dahlmann nannte, er tadelte den ganzen Plan überhaupt, er forderte damals heraus, wir sollten Dahlmann entscheiden lassen zwischen uns. Ich hatte dieß damals abgelehnt, da ich Dahlmanns jetzige Sinnesart nicht kannte, wie würde er nun beschämt stehen, wenn er nicht nur Dahlmanns unbedingte Billigung hörte, sondern selbst seinen beifälligen Zutritt, in so weit, als er hoffe in seinem letzten Theil der dänischen Geschichte das zu leisten in Beziehung auf Schleswig Holstein was wir Alle in Bezug auf die übrigen Staaten leisten wollten. Ja wenn es die Zeit so fügte, so wird er selbst noch einen anderen Theil der Arbeit gerne übernehmen. – Du begreifst, daß ich Dir die ganze Geschichte unseres Projectes im tiefsten Geheimnisse anvertraue. Wüßtest Du zufällig irgend ein paßliches Subject für die ausstehenden Staaten, so sage mir es ja.

Und nun von der Politik zum Herzen zurück. Man kann Neigungen und Leidenschaften nicht erzwingen, aber man soll gute Neigungen nicht mit Betrachtungen unterdrücken, am wenigsten mit ganz unpassenden. Warum drängst Du ein natürliches, schönes Gefühl unnatürlich zurück, das Dich in diesem Hause beschlich? (Über die altkluge Jugend, die so geschickt raisonnirt! Wer mag Rücksichten hören bei Liebe! wo hat je ächte Liebe nächste Rücksichten gekannt! Und unächte Rücksichten sind die gewiß, die sich bedenken, den Vater einer Tochter zu berauben, von der glaub ich mehrere mit halben Absichten zurückgetreten sind, weil der seines Amtes beraubt war. Der Mann ist nicht gebeugt durch sein Schicksal, und wäre er es, so müßte es ihm ein Trost sein, einen Sohn zu finden, der über diese kleine Denkart hinweg ist. (Nimm Dir an Wunderlich ein warnend Excempel, der auch in Göttingen eine Neigung unbestimmt ließ, aus gewissen unächten Rücksichten, und der nun seine dortige Angebetete2 an einen Dr. Thibaut3 verloren hat!)

Du hattest mich in Deinem letzten Briefe über allerhand Dinge, Deine nächsten schriftlichen und lesenden Arbeiten betreffend, befragt, ich glaube es würde nun Alles zu spät kommen, was ich Dir darüber sagen könnte. Wenn Du Deine Antrittsrede hast drucken lassen4, so schicke sie mir doch mit einer passende Gelegenheit. Euer Leben in Rostock denke ich mir hätte recht frisch werden können wenn Thöl und noch einige ähnliche junge Kräfte gekommen wären. Ich verarge es ihm bitter, daß er nicht zu euch gehen wollte, auch Dahlmann thut es mit Recht. Zuletzt ist das Geld sein Gott wie Zachariäs in Göttingen, wie Zachariäs in Heidelberg5. Ich mag Niemanden leiden, der nicht von Göttingen weg geht wenn er kann, und der hin geht, wenn er kann. Dahlmanns lassen Dich schönstens grüßen. Leb wohl. Einlage an W.6 gib doch ab. Vergilt nicht eben Gleiches mit Gleichem. In 3 Wochen denke ich wieder in Heidelberg zu sein. Erzähle mir recht viel von Dir. Von mir ist wenig zu sagen. Ich kann nur wenig arbeite. Ich wiegte meinen Genossen auf und bleibe selbst zurück. Ich arbeite, mir einen Überblick über die Geschichte der deutschen Staaten zu verschaffen, immer mit Berücksichtigung ihrer Verhältnisse zum deutschen Gesammtreich und ihres selbständigen Werthes. Von der ersten komme ich auf Preußen selbst. Du siehst ich muß nach meiner Weise von breiten Grundlagen ausgehen.

Ganz Dein
Gervinus.