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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Rostock, 24. Juli 1842

Lieber Gervin!

Gottlob, daß ich endlich Nachricht von Dir1 erhalten habe und über Dein Befinden beruhigt worden bin. Das Letzte, was Beseler, Wunderlich und ich von Dir seit einem Vierteljahr wußten, waren die schlimmen Zeitungen in Jena; es ist schön, daß Du uns gerade von dort aus auch die guten geschickt hast. Ich empfinde mit Dir, was Dir Dahlmann werth sein muß, wenn die Kluft, die früher Eure Richtungen trennte, durch die harte Lehre des Schicksals immer mehr ausgefüllt wird und er dem kühnen Fluge Deiner Ideen nicht mehr zu widerstreben scheint. Du sollst aber mit Beseler nicht so sehr zürnen, weil er die Theilnahme an Deinem Plan für den Augenblick abgelehnt hat, wenn Dich auch seine Kälte oder sogar Vornehmheit, wie mich bisweilen im Umgang sogar, bitter verletzt hat. Die Gründe seines Ablehnens scheinen mir, wie er sie mir mittheilte, gewichtig genug; der Hauptgrund seine damalige Unbekanntschaft mit den preußischen Rechtsgegenständen, die nicht so schnell können beurtheilt werden, dann seine andern Aufgaben, die er für wichtiger hält, endlich, daß ihm die negirende Richtung dieses Plans weniger zusagt. Das Letztere besonders würde, außer dem Mangel an Quellen, wobei ein historisches Gewissen sich beruhigen könnte, auch mich davon abschrecken. Ich glaube, es ist weniger nöthig, die Überzeugung hervorzubringen, daß Reformen begehrungswürdig, als zu zeigen, worin sie bestehen sollen und wie sie auszuführen; denn bei den allgemeinen liberalen Ideen will man sich immer weniger beruhigen, da man noch gerade eingesehen, wie wenig dabei herauskommt. Was aber den Mangel an zuverlässigen Quellen für eine solche neuste Geschichte anbetrifft, so wird es den Eindruck des Ganzen sehr beeinträchtigen und die Gegner werden ein leichtes Spiel damit haben, wenn sich viel Ungewißheiten und Unrichtigkeiten, wie es nicht anders sein kann, darin finden. Mir ist endlich gar nicht bange, daß Du nicht etwas sehr Pikantes, Gewandtes und Schlagendes zu Stande bringen wirst, ich zweifle aber, ob die Andern mehr als Material dazu werden geben können. –

Ich habe Dir in meinem letzten2 etwas über Dorothen Dahlmann geschrieben, was ich gleich darauf gern wieder zurückgenommen hätte, wie ein unbedachtes Wort, das einem entfahren ist. Jetzt da ich sehe, wie Du es aufgenommen, bereue ich es doppelt, und wenn Du vollends mit der Dahlmann davon gesprochen hättest, so möchte ich das Wort hundert Klafter tief unter die Erde wünschen. – Es war ein momentanes Gefühl, welches mich selber getäuscht hat. Mir ist, wie Dir, Dorothea unverändert erschienen; gewiß ein sittlicher, edler, fester Charakter, wie man ihn in diesen Eigenschaften nicht besser wünschen möchte, dabei so viel äußere Vorzüge, wie man sie selten findet, aber es scheint das Etwas zu fehlen, was mir Alles ist – ich will es nicht näher beschreiben, Keiner kennt es besser als Du – das Weibliche; ich sage, es scheint zu fehlen, – hätte ich es in der kurzen Zeit, daß ich sie gesehen und gesprochen, entdecken können, glaubst Du, daß ich dann auch mein Gefühl, welches dafür empfänglich ist, durch eine äußere Rücksicht zu unterdrücken vermocht hätte? Wenn Du mich nicht für närrisch halten willst, so will ich Dir gestehen, daß ich3 gerade im entgegengesetzten Fall war. Wenn mich dringend äußere Rücksichten zur Liebe bringen könnten, so hätte es hier geschehen müssen, denn ich verehre keinen Menschen mehr als Dahlmann und ich würde keinen König oder wen sonst lieber zum Schwiegervater haben, als ihn, und, um in meinen Confessionen auch nichts zu verhehlen, dieser Gedanke schmeichelte mir in der Einbildung so sehr, daß ich versuchte, ob ich nicht lieben könnte und mich einen Augenblick vielleicht selbst täuschte. – ich habe mich jetzt so aufrichtig und so mehr hierüber ausgesprochen, als nur möglich. Möchtest Du der Dahlmann keinen falschen Begriff von mir beigebracht haben!, ich bin durch diese Besorgniß so befangen, daß ich ihr gar nicht schreiben mag, obwohl ich es schon lange hätte thun sollen.

Du wirst schon wissen, daß Thöl nun den Ruf angenommen, nachdem er sein Gehalt bis auf 1300 Thaler schwer Geld heraufgebracht hat. – Wunderlich und ich waren in dieser Sache verschiedner Meinung; ich hatte ganz die Deinige, er die eines warmen Freundes und eines Juristen. – Mich freut allein sehr, daß er herkommt und den kleinen Kreis meiner näheren Freunde vermehren und beleben wird. Kierulff und Wunderlich sind für mich ein großer Gewinn gewesen und mein hiesiges Leben hat durch sich seit Ostern4, obwohl Beseler fort ist und ich ihn sehr vermißte, eine ganz andre und heitere Gestalt angenommen. Mit meinen Vorlesungen geht es nach Wunsch, ich lese Neuere Geschichte und publice über die Staatslehre von Machiavelli, Montesquieu und Rousseau; das Letztere besonders findet Beifall; überhaupt scheint unsre Jugend mehr an Politik als an der eigentlichen Geschichte Gefallen zu finden und mit Recht, denn sie will entweder mit Ideen, die den strebenden Sinn aufregen, anziehen und zu befriedigen scheinen oder mit der Kenntiß der Gegenwart, und ihren Aufgaben beschäftigt werden. Ich muß Dir gestehen, daß ich mich auch noch etwas jugendlich in dieser Beziehung fühle; ich arbeite mich jetzt mit einer gewissen Hast aus dem tiefen Schacht der Vergangenheit zum Tageslicht unsrer Zeit und ihre Aufgaben herauf, ich eile die ganze Weltgeschichte mir zu Einem übersichtlichen Bilde, dessen Züge nicht überall mit dem feinsten Pinsel ausgeführt zu sein brauchen, zu gestalten, ich will mir ein gutes Heft über allgemeine Geschichte ausarbeiten (deutsche, Neuere und Revolutionsgeschichte sind bis jetzt außer dem oben erwähnten Publicum meine Vorlesungen) und dann mich mit Gewalt in die politischen Wissenschaften hineinwerfen. Meine Florentinischen Studien habe ich nur wegen dieser Vorlesungen lange bleiben lassen und darüber bleiben sie wohl ganz liegen; sie sind nach keinem rechten Plane fortgeführt worden, darum läßt sich kein rechtes Ganzes draus machen, ich kann mich dabei beruhigen, daß ich jetzt zu schreiben habe, worin ich von Dantes Beurtheilung seiner Zeit handeln will, und Einiges auch in einer Schrift über die Staatslehren des Machiavelli. Du mußt Dich entsetzen, lieber Freund, über meine Kühnheit nach Dir über Machiavelli schreiben zu wollen. Aber ich schreibe, weil etwas geschrieben sein muß und ich hoffe, wir werden uns gut miteinander vertragen, denn ich nehme neben Deiner Ehre nur ein kleines Verdienst in Anspruch. Du erinnerst Dich, mit welchem Eifer ich in Rom den Machiavelli durchlas und excerpirte und mit welcher Freude ich die Wahrheit Deiner Auffassung anerkannte. Doch ist Deine und die richtige Ansicht, wie mir scheint, noch sehr wenig allgemein geworden, vielmehr hat man sie mit Zweifel und Bedenklichkeit, wie Du weißt, aufgenommen. Ich will sie nun durch Machiavelli selbst in eine geordnete Darstellung seiner gesammten Staatslehre ganz zur Evidenz bringen, und Jenen damit gänzlich in ein größeres Publicum einführen. In dieser Arbeit möchte ich auch noch das Buch von Artand5, welches Du angezeigt hast – Charakteristik Machiavellis, haben; in Berlin konnte ich es nirgends finden, ich glaube, Du besitzest es selber und möchte Dich deßhalb um6 die große Gefälligkeit bitten, mir dasselbe durch Buchhändler- oder andre Gelegenheit nach Berlin unter Adresse Frau Professor Hegel Kupfergraben 6.a. zu schicken, natürlich ohne daß Du Dir irgend Kosten oder Weitläufigkeiten zu machen hast. –

Wie geht’s Dir nun wieder in Heidelberg? Wie Deiner lieben Victorie? Wunderlich hat mir viel von Euch erzählen müssen und er hat mir Euer Leben im Kränzchen als sehr anziehend und gemüthlich geschildert. Wunderlich ist wunderlich, aber ein sehr gediegner Charakter, wie Gold, und ich lerne ihn als zuverlässigen Freund und als Menschen immer mehr schätzen – und dann hat er ein Paar scharfe Augen, die Menschen zu beurtheilen, womit er uns schon einige Male recht gedient hat, da ich oft zu scheu und ideal sehe, – aber er bisweilen zu scharf! und das ist doch auch unwahr – wie wenn man durch zu scharfe Brillengläser sieht. Was ihm für eine Liebe von Dr. Thibaut7 weggeschnappt worden, wie Du andeutest, das will er entweder nicht wissen oder nicht gestehen. Was hat es dann mit dem Hofnarrgeschrei auf sich, daß Schlosser noch einmal eine Weltgeschichte für das große Publikum schreiben wollte? Hat er denn einstweilen noch nicht genug an den 4 oder 5 Bänden, die er zu den angefangenen Sachen noch zu schreiben hat? Meint denn der Mann, ewig zu leben?8

Mein Bruder hat jetzt in Berlin sein letztes Regirungsexamen auch noch gemacht und ist nun erst zum Staatsdienst recht aggredirt, bekommt aber in den nächsten drei bis fünf Jahren noch keinen Groschen Gehalt von dem Staat, der so viel verlangt, damit die armen Unterthanen gehörig regirt werden.

Lebe herzlich wohl, grüße Deine liebe Frau allerbestens – auch Ida, die Wunderlich auch allzuscharf angefahren hat –
Dein Hegel.

P. S. Wunderlich kann diesmal keinen Brief einlegen, weil er im Begriff ist, nach Rügen zu reisen, wo er mit seinem Bruder zusammentreffen will.