Ich antworte Dir nach Deinem Wunsche umgehend auf Deinen Brief1, – mit der Offenheit, welche Du von mir erwartest, und welche ich Dir schuldig bin. Zuvörderst muß ich es Dir wiederholen, daß mir Dein ewiges Schwanken über das, welchem Du hauptsächlich Deine Kraft widmen willst, bedenklich erscheint. Die toskanische Städteverfaßung2, Macchiavelli , Dante3, und nun Staatsrecht und Statistik haben in Jahresfrist von Dir bearbeitet werden sollen. Ich glaube, Du mußt Dir zuerst darüber klar werden, ob Du neben Deinen Vorlesungen eine beständige literärische Arbeit vornehmen kannst, was doch aus vielen Gründen höchst wünschenswerth seyn würde; und wenn Du es nicht kannst, in Plänen und Vorarbeiten nicht Deine Kraft versplittern. Mir steht in dieser Beziehung kein Urtheil zu; Du mußt aber mit aller Macht daran gehen, Dich, wie Du nun auch Deine Kräfte anwenden willst, hin zu concentriren, zumal da Deine ganze Bildungsgeschichte Dich immer etwas in die Breite geführt hat. Auch darüber darfst Du Dir nicht unklar seyn, daß, wenn Du nichts von Bedeutung schreibst, ein Wegkommen von Rostock sehr schwer werden wird. Ich will Dich nicht ermuntern, darnach zu streben; aber es ist gut, daß Du es Dir klar vorhältst, damit Du, wenn Du dort bleibst, Deine Angelegenheiten Dir so gut als möglich ordnest.
Und nun zur Hauptsache, wenigstens für diesen Brief. Daß Du zu Vorlesungen über die Politik befähigt bist, bezweifle ich nicht, und glaube, daß Du in dieser Beziehung in Rostock viel nützen kannst. Ob nicht das, was Du Statistik nennst, auf gewiße Weise zur Politik gehört oder doch dahin gezogen werden kann? Eine solche comparative Darstellung der verschiedenen Verfaßungen und Verwaltungen, allgemein gehalten, würde ich dahin rechnen; jedenfalls ist die Aufgabe, selbständig und lebendig durchgeführt, meines Erachtens eine sehr schwierige; allein das siehst Du so gut ein ichen Verhältnißen, – also das positiv Geltende darstellen und begreiflich machen. Nun ist aber unser deutsches Staatsrecht nicht in einer nationalen Entfaltung der Dinge hervorgewachsen, so daß es vom Standpunkte einer allgemeinen politischen Anschauung aus begriffen werden kann; es ist auch kein, in Folge großartiger Staatsactionen hervorgerufenes, lebendig im Volke getragenes Product der Freiheit, so daß die staatsmännische Beobachtung und das Studium einiger großer Actenstücke es zum Verständniß bringen könnten. Nein, unser Staatsrecht ist das Resultat trauriger Verkümmerniß unserer Nation, ausgebildet durch eine verzwickte Publicistik und eine verkniffene Polizei. Um es zu verstehen genügt nicht, eine wißenschaftliche Politik, historische Anschauung und gesunder Nationalsinn; es ist nöthig, daß man auch Herr der Juristerei sey, die nach allen Seiten hin sich breit gemacht hat. Nun ist so viel gewiß, daß der das Deutsche Staatsrecht nicht erfolgreich lehren kann, dem jene höhere politische und historische Weise fehlt aber ebenso sicher scheint mir, daß man, ohne Jurist zu seyn, die Aufgabe nicht vollständig lösen kann. Ich meine selbst, daß Dahlmann es nicht wohl unternehmen könnte, das positive Deutsche Staatsrecht ganz befriedigend vorzutragen. Nun aber in Rostock! Hier werden die Studenten vorzugsweise Juristisches verlangen; sie werden erwarten, daß Du auf das mecklenburgische Staatsrecht eingehst, und dieses ist durch und durch juristisch; Du wirst Dich, fürchte ich, einer Kritik aussetzen, die Dir nachtheilig seyn kann; Du kommst, so wie Geschäftsmänner mit Dir staatsrechtliche Fragen erörtern wollen, in Verlegenheit; Du siehst Dich getrieben, juristische Studien zu machen, welche Dich von Beßerem abführen und Dich nie befriedigen können. Auch laßen sie sich nicht so en passant abmachen, wenn man selbständige Einsicht gewinnen will; hat doch selbst Gervinus seinen Plan, sich auf dem von Dir beabsichtigten Wege zum Herrn des juristischen Materials unserer öffentlichen Zustände zu machen, aufgegeben, und welche Kraft des Lernens hat er! – Nach Allem scheint mir Dein Plan, Staatsrecht lesen zu wollen, verfehlt: ich rathe Dir bei der Politik zu bleiben, etwa eine Politik als Einleitung ins Staatsrecht anzukündigen, oder doch höchstens Einiges aus dem Staatsrecht herauszugreifen, was vorzugsweise von politischem Gepräge wie etwa die Verfaßungslehre mit Einschluß der Gemeinden. Aber auch hier würdest Du schon sehen, wie schwierig die Sache Dir würde, wenn Du sagen solltest: Dieß oder jenes gilt – als gemeines Recht, als partikuläres Recht, mit absoluter Nothwendigkeit, bedingungsweise; dieß die staatsrechtliche, dieß die privatrechtliche Seite des Instituts u.s.w. Dazu kommt noch die große Mangelhaftigkeit der publicistischen Literatur; es giebt kein einziges Buch, welches ein sicherer Leiter seyn könnte, allenthalben bleibt das Wesentliche dem …4 Forschen und Construiren überlaßen.
als ich, und wirst Dir Deine Aufgabe nach Deinen Kräften und Quellen gestellt haben. Also auch hiervon schweige ich. Nun aber zum Staatsrecht. Es soll nicht, wie die Politik lehren, was im Staate gelten kann und soll, sondern was Rechtens ist in den öffentlDas, lieber Freund, ist meine Ansicht von der Sache. Laß Dich durch sie nicht besorgen,5 sondern bedenke die Sache weiter und besprich sie auch mit Andern; etwaige Bedenken und Zweifel theile mir weiter mit. Ich werde antworten.
Daß Du mit Thöl so gut stehst, freut mich; er ist liebenswürdig und gesellig; ich würde gerne mit ihm seyn, obgleich wir wohl in allen Hauptsachen, was unser Handwerk betrifft, toto caelo divergiren, mehr noch, glaube ich, wie es mit mir und Wunderlich der Fall seyn würde. Danke Thöl für seinen freundlichen Brief; ich antworte ihm ehestens.
Wir leben hier still und vergnügt; mein Buch6 schreitet wacker vor; fürchte nicht die Feindseligkeiten der Juristen dagegen: Dem lauten Angriff bin ich gewachsen, und wenn sie in der Tasche protestiren und raisonniren, so belache ich sie. Ich habe das δο/φ μοι ποῦ στῶ, und werde schon durchdringen. – Grüße alle lieben Freunde; Dich grüßt meine Frau bestens. Mit Wiggers junior7 verhält es sich wie Du schreibst.
P. S. Laß doch das Frondiren. – Was erzählt Thöl von Gervinus Befinden? – Dahlmann ist jetzt in Berlin, und seine Anstellung dort oder in Bonn soll nicht mehr zu bezweifeln seyn. –