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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Nürnberg, 29. Dezember 1842

Den ersten Inhalt kennst Du schon aus dem was ich Manuel schrieb. Doch schrieb ich an dem einmal Angefangenen fort den 28. und 29. December.

Lieber Karl

Ich will Deine Antwort auf meinen letzten Brief2, der Dich wohl doch, um Deine Mutter besorgt macht, nicht abwarten und Dir zum Weihnachtsfest, als Vorläufer meiner verspäteten Lebkuchensendung, schreiben, daß es mir doch Gottlob etwas besser geht – Von bedenklicheren Uebeln und meinem alten Husten, bin ich ganz frei, nur wollen Blut und Nerven noch nicht ins rechte Gleichgewicht kommen, daher ich an Wallungen und Schlaflosigkeit leide, die sich nun aber auch vermindern, so daß es doch aufwärts und nicht abwärts geht. – Darüber bin ich aber nun eingemeistert3 in Nürnberg – und so kommt wohl die Osterzeit4 heran kommen5, eh ich zurükkehre. Das Zusammenleben mit den lieben Geschwistern, ist dießmahl ein für mich so ungetrübt glückliches, sodaß ich es für eine besonders glückliche Schickung ansehe, daß ich die Zeit in der ich meinem lieben Karl Hegel doch nichts nützen könnte, mich eines so lang entbehrten glücklichen Familienlebens, in der alten Heimath, die mir jetzt wieder lieber geworden ist, als je erfreuen darf. – Die 4 Haushaltungen meiner Geschwister ist meine Familie, die sich selbst genug Ein Herz und Eine Seele sind. – Gottlieb und Thekla, sind ein Band der Liebe weiter, das wie mein Herr saget unausprechlich versüßt, Ich wohne jetzt nicht mehr bei ihnen. Siegmund Marie und Luise wollten mich auch bei sich haben, Seuter mein Homeopat6, glaubte der Aufenthalt im Garten und der frischen Luft, würde für mich das beste Heilmittel seyn – so wurde ich dann noch in großer Schwachheit (den 3. December) bei meiner ersten Spazierfahrt hier abgesetzt, wo ich wie eine Prinzessin gepflegt und versorgt bin. Marie diese liebe treffliche Seele, die durch den Verlust von zwei ihrer Kinder, an Tiefe und Glauben und Liebe gewonnen hat, Luise, die seit Anfang December von Henfenfeld zurück gekommen und im Garten bei Siegmund das Winterquartier (das Sommers Gottliebs7 bewohnen) bezogen hat – und die nun eine glückliche Frau Kindbetterin mit einem Söhnlein ist – und Sophie, deren Herz ich nun endlich gewonnen – sind meine Pflegerinnen. Zur lieben Gesellschaft im Hause gehört auch Minka, das Töchterl von Onkel Georg8, ein liebes inniges Gemüth, der es bei uns recht wohl ist – ein hübsches zartfühlendes, für alles 9 empfängliche Kind, voll zarter Aufmerksamkeit, es entgeht ihr nicht, wo Was fehlt – wo sie helfen, mit Hand anlegen – wo sie mir etwas zur Bequemlichkeit holen und herbei bringen kann – Es geht ihr hier eine neue Welt auf; sie war in großer Beschränkung allein stehend, nur auf das Elterliche Haus angewiesen, erzogen. – Da ist ihr Verhältniß zu uns und der Umgang mit Mathilde 10 11 unserer Siegmunds Kinder und anderer jungen Mädchen, eine Quelle Glücks. Diese Mathilde ist ein ganz liebes Wesen, sie ist schon seit 4 Jahren bei Siegmunds12, wird von ihnen als eine Freundin, an der sie einen Schatz für ihre Kinder haben, angesehen – sie unterrichtet die Mädchen in Allem, unterstützt Marie im Haushalt und Handarbeiten; unermüdlich, eifrig und gewissenhaft, immer ruhig freundlich, ein Herz voller Liebe, Hunger und Durst nach weiterer Ausbildung – nur steht der Glaube aber darum im Hintergrund – das wäre eine Frau für Karl sagte mir schon einmahl Luise (wär sie nicht ein 13 Kind) der Vater war Prediger nachher Schulmann beim Gymnasium in Ansbach. Seht in solcher lieben Umgebung bin ich wohl aufgehoben. Ihr glaubt nicht mit welcher Liebe sie mich vereint pflegen und wie mir auch die kranken Tage, durch diese glückliche Häuslichkeit, an der ich abwechselnd, erst bei Gottliebs, neuerdings bei Siegmunds und Luise und Benoit Theil nehmend versüßt werden – Ich kann in meinem heimlichen Stübchen allein, oder wie ich will und so lang es mir behagt in Luises Wochenstübchen und Maries Wohnzimmer und Mathildens Lehrzimmer mich aufhalten – Von Anfang December an brachte ich (auf Verordnung des Arztes) 14 Tage lang Täglich 2 bis 3 und 4 Stunden in Betten und Pelzsack gehüllt im Wagen zu. Täglich blauer Himmel und Sonnenschein vor 11 Uhr des Mittags, so daß mir die Sonne auf den Stirnhut zu heiß brannte – Mehrmahls aß ich auf dem Balcon des Mittags in solcher Wärme bei der keine Erkältung möglich war, 11 Grad im 14 im Freien, um mich, Gottliebs und der sämtlichen Hausgenossenschaft, die sich mit mir dort sammlen – Seit drei Wintern sey es im December so gelinde – Wer im Freien wohnt, genießt auch jeden Sonnenblick – eine Wohlthat die auch mir, in der Folge, in Berlin zu theil wird – Siegmunds Garten ist immer trocken durch feste Wege – Rechts liegt die liebe alte Stadt, die sich in goldener Abendbeleuchtung wundervoll mit ihrer Veste und ihren Thürmen ausnimmt – von der anderen Seite sieht man auf den Wiesgrund bei Wöhrt nach Glockenhoff und Peter hin – das war bis jetzt das Ziel meiner Spaziergänge, diesen freundlichen, großen weiten Garten, durch alle Wege hindurch zu durch wandern – Dann bin ich aber wieder aufs Sopha verwiesen und schreibe sitzend bei Luise auf meinen Knieen, die mir zum Schreibtisch dienen, und stütze die, durch ein Blut Geschwür kranke rechte Schulter auf ein Kissen – Es ist ein wohlthätiger Ableiter von Krankheitsstoff, der mir bis jetzt immer noch wie Blei in allen Gliedern und auf den Nerven lag – Mein Hoemeopath triumphirt nun, in seiner frei müthigen aufrichtigen Theilnahme – So hilft Gott und weist der Natur immer die Mittel und Wege an, durch die uns, soll geholfen werden, Hülfe kommt – Einige Tage vor Weihnachten, wenn ich die Lebkuchen abschickte und dieser Brief an Dich als Vorläufer derselben schreiben wollt wurde das anfänglich kleine Geschwür immer schmerzhafter und entzündeter – es wurde ein Carpuncel Antrax daraus, der nun eine ergiebige Quelle von Unreinigkeit geworden und mich seit er aufgegangen ist, weniger schmerzt – Meine treuen Pflegerinnen haben mir von Morgen bis zum Abend Überschläge zu machen – 15 die Getreue die die Pflege der Luise im Wochenbett übernommen, hat nun auch mich wieder zu pflegen – Marie läßt sichs nicht nehmen, so wie es ihre Zeit erlaubt, muß ich auch auf ihrem Sopha von ihr mich versorgen lassen – So hab ich dan die Weihnachtstage in größter Ruhe zugebracht, war jedoch ganz 16 Zeuge der Freude der Kinder bei der Bescheerung, bei Siegmund am Heiligen Abend, bei Luise am Morgen des Christfestes – Luise bekam auch des Tags vorher, so wohl sie nach ihrer Entbindung war, einen Anfall von Brustentzündung, sie konnte aber bei der geöffneten Thüre aus ihrem Wohnzimmer die Freude der Kinder mit ansehen und heute Mitwoch den 28sten ist sie schon wieder auf und liegt indem ich schreibe in dem andern Ende des Sophas und grüßt Euch, Ihre lieben Freunde herzinniglich – Benoit ist mir auch ein lieberer Bruder als sonst – der mir gar viele Liebe und Aufmerksamkeit beimißt – Er war bis wenige Tage vor Weihnachten noch immer in Henfenfeld – Du mein lieber Karl fragst auch wiederholt nach Minka „ob die Tante nicht mit zu scharfen Brillengläsern gesehen?“ – Wie gerne wollte Dir ein freundlicheres Bild von Minka entwerfen und sie bei mir und Dir, über ihren jugendlichen Leichtsinn, Unbesonnenheit, Putz Gefall und Zerstreuungssucht entschuldigend – Es war mir immer wieder ein lieber Gedanke, und sollte sie in einem glücklichen ehelichen Verhältniße nicht die Nichtigkeit von dem Allen einsehen! und die gute Seite in ihr die Oberhand gewinnen! Die Liebe zu einem edlen Mann sei veredeler! Aber ungesucht mußte ich Züge von Gemeinheiten, Ausgelassenheit, Unwahrheiten die ihre Vielgeschwätzigkeit erdichtet von Scantalen diesen in Gegenwart junger Mädchen und Frauen mit lautem Gelächter erzählten von ihrer Taktlosigkeit und Mangel an Zartgefühl und Sittsamkeit – ihren Launen und Unarten gegen ihre Tante hören – die mir leider auch von Benoit und Siegmund bestätigt wurden – (und wäre es meine Tochter sagte Benoit einmahl zu Siegmund, ich drehte ihr den Hals um) – Laeta17 will ich nicht schreiben aber nur so viel: danke Gott daß Dich ihre Cocetterie in W18 abgeschreckt hat und schlage dies aus dem Sinn sie ist – das sagt Luise und 19, so lieb sie sie um ihrer Gutmuethigkeit und Liebenswürdigkeit willen haben Deiner nicht werth, Luise meinte wohl, wolltest Du es mit ihr wagen, sie würde dan gewiß eine Andere – ich aber kenne Dich besser und weiß wie Dich solche Züge von Gemeinheit Taktlosigkeit vor allem Unwahrheit an Deiner Frau tief verletzen würden, das streift die Ehe nicht ab. – Was ich hier sage unterschreibt Luise mit mir – sie hatte Maries teures Glück mehr im Auge als das Deine, wünscht ihr einen braven Mann, der sie zu etwas Besserem erzieht, sieht aber nun selbst ein daß es vielleicht schon zu spät ist – – Gott wird die arme innere edlere Seele zu Seiner Zeit finden lassen, daß bin ich gewiß. Meine lieben Nürnberger freuen sich daß Du sie und Nürnberg so lieb hast – fürchte Dich nicht wegen der Hoffnungen die sich Minka auf Dich machen könnte und der Gefahr sie wiederzusehen – ihr Wiedersehen wird Dich nicht mehr so anziehen, da sie nicht mehr so anmuthig hübsch ist – und auf das hin was Luise der Mutter anvertraut hat „Du hättest nach Minka gefragt“ wartet sie nicht auf Dich –

Indem ich schreibe erhalte ich Eure beiden Briefe20, Ihr lieben Söhne! – Gottlob, doch wieder einmahl ein Wort von Berlin! Wie freu ich mich der guten Nachrichten, daß Luise meinen Haushalt so ordentlich versorgt und sich so treu bewährt. Wie tröstlich ist mir, daß Goßner und alle die lieben Freunde wohl sind, daß es im Kranken Haus gut geht – Gelobt sey Gott für diese Beruhigung! – Nun will ich Euch auch gerne folgen und in Nürnberg bleiben, bis Frühjahr, – die lieben Geschwister lassen mich auch nicht eher fort – und mein Hierseyn ist auch nicht ganz nutzlos und so erquicklich und befriedigend für mein Herz – so sehr ich wohl auch das, was mir im Zusammenhang mit Goßner in Berlin zu theil wird, vermisse – Aber ich wäre ja doch in diesem Augenblick dort gar nichts nützlich – Wie leid ist es mir lieber Karl, daß Du um mich so besorgt warst, aber die kranke Mutter war zu schwach zum Schreiben. Gelobt sey Gott! daß ich nun wieder von dieser unseligen Nervenschwäche und Ermattung befreit bin: Aller Krankheitsstoff scheint sich nun einen Weg nach Außen hin zu bahnen und trog die großen Schmerzen, die nun diesen Antrax verursacht hat, konnte ich doch dabei wieder schlafen, und fühle mich seitdem von der Gewitterschwüle, die mir in allen Gliedern lag, befreit – Ich habe die 21, ich werde durch diesen Ableiter so Gott will gesunder – doch – nicht wie ich will sondern wie Gott will! Mein Arzt ist mit meinem Antrax sehr zufrieden und jubelt – So habt Ihr keine Ursache um mich ängstlich besorgt zu seym. Ich verspreche auch bald wieder zu schreiben. Das was Du lieber Karl über Kranken Vereine im Verhältniß zu offentl[ichen Anstalten und den Bedingniß, daß überall ein Anderes ist, schreibst, unterschreib ich Wort für Wort – Richte auch vor allem meine Hoffnung darauf, daß von den lieben Mädchen die hier zuerst die Kranken besuchten, sich einige zu Krankenwärterinnen in einem von der Stadt neu erbautes Krankenhaus eignen, der Verein soll Hand in Hand mit dem Armenrath gehen und nur da wo die Unterstützung nicht ausreicht und wo es pflegender und Christlicher Liebe noth thut, helfen –

An Karl! Wie freue ich mich auf Dein Programm über Dante22 als das eine versprochene Neujahrs Geschenk. –

Die Lebkuchen tragen die Aufschrift „von lieben Händen“. Die Wiß die immer sehr freundlich zu mir ist, brachte sie mir – immer war mir es noch ein lieber Gedanke, sollte Minka doch noch die Deine werden. – Aber seit Benoits Zurükkehr, ging ich der Sache mehr auf den Grund und schreibe Dir, was ich Dir schrieb mit Benoits und Luises Zustimmung, danach es eine Gewissenssache ist, Dir vorzuenthalten, was sie nun selbst erst wieder sehen und hören – Ihre Lebhaftigkeit geht wegen Mangel an innerem Halt über Rand und Band – Die Grundlage bleibt dabei immer noch gut aber wer will es wagen! willst Du’s, so komme und sieh selbst zu

Noch allerlei was mir hintennach einfällt an Manuel! Die Charakteristik von König Friedrich Wilhelm III. von Eilert möchte ich wohl gerne lesen, weiß sie aber nicht zu bekommen.23  

Den Musikdirektor Naue kennt Gottlieb nicht näher, doch weiß er daß er als Dirigent und Chorleiter und Componist mehr leisten kann als ein Organist und dazu gewiß tauglich ist. – Bestätigt es sich daß Eichhorn das Ministerium24 niederlegt und Bunsen besetzen wird? – Es freut mich daß Du meinen lieben Goßner besuchen willst – heute den 29sten December ist sein 70ster Geburtstag.25 – Schreibe mir nur bald.

26 und Marie für Staats Rath von Kirschbaum und ihre Tochter besuchen nun schon Kranke – obgleich sie genug mit uns und Weihnachten zu thun hatten, ging Marie doch zur Mittagsstunde mit einem Topf Suppe unter dem Mantel zu ihren Armen nach Wöhrt. 27 ließ durch ihre Kinder ein Kissen sticken und schenkte es uns und brachte einer armen Familie davor Wäsche und Kleider, sie ist ganz Liebe! Es ist viel Liebe und Freudigkeit zum Geben und Wohlthuen in Nürnberg und in der Gemeinschaft und auf rechter Verwendung der Mittel, liegt auch ein größerer Segen und kann mehr ausgerichtet werden als von Einzelner Hand. Der Eine gibt der andere nimmt – Reuter ist freilich nicht der rechte Mann dazu, wir hoffen auf Vorbruck – Es freut mich daß Du Dich doch mit Hoffmanns landsmannisch befreundest28 – Wie geht es Kupsch, Frau und Kind? Grüße die lieben Röpers herzinniglich – Da warst Du ja auch an Weihnachten unter fröhlichen Kindern – Es war auch bei uns eine rechte Kinder Freude und in unseren Herzen die Fest Freude, die mir sonst oft, durch die viele Unruhe verkümmert wurde. An Neujahrs Abend singt Gottliebs Sing-Verein eine Lithurgie – Die Taufe29 ist den 3ten Januar 1843 am Geburtstag30 der seligen Mutter – Lebt wohl Ihr lieben Söhne – Gott segne und behüte Euch! Die lieben Geschwister grüßen Euch – Wir haben für Viel was uns im vergangenen Jahr Gott geschenkt zu danken – darum lobe den Herrn meine Seele und vergiß nicht was Er dir Gutes gethan hat! – amen.31