Mit Poststempel: GREIFSWALD 28 1 Zweikreisstempel.
Herrn Profeßor Dr. K. Hegel / Wohlgeboren / Rostock.
Greifswald
Lieber Hegel!
Zuvörderst habe ich Dir für mich [!] und im ausdrücklichsten Auftrage meiner Mitbeschenkten den freundlichsten Dank für Deinen Dante1 zu sagen. Wir haben uns alle darüber gefreut, und ich nicht am Wenigsten; denn das Werkchen giebt ein sehr tüchtiges Zeugniß von Deinen Studien und Deiner Gesinnung, und daß diese auch im weitern Kreise bekannt und anerkannt werden, gereicht dem Freunde zur großen Genugthuung. Ich bin nun begierig zu sehen, wie Du daran die florentinischen Sachen und den Macchiavell anknüpfst; Du wirst dadurch Gelegenheit bekommen, sowohl auf die altitalienischen Zustände detaillirter einzugehen, als auch die Deutsche Gegenwart, wenigstens vergleichsweise, näher ins Auge zu faßen, so daß es diesem Arbeiten an allseitigem Intereße nicht fehlen kann. Wenn du übrigens daneben so viel Kraft an Deine Vorlesungen setzest, wie Du schreibst, so ist allerdings Deine Zeit gehörig in Anspruch genommen; denn die Geschichte ist auch im kleinsten Raume eine große Aufgabe, wenn man sie selbständig faßen und begreifen will. Daß Du das Staatsrecht aufgegeben, freut mich; Du würdest Dich jedenfalls dadurch zersplittert, und wenig befriedigt gefühlt haben.
Ich wollte, daß die Bürgermeisterin2 Recht gehabt hätte, und mein Buch3 fertig wäre. Indeßen naht es sich seinem Ende; ich bin bei der Ausarbeitung des letzten Abschnittes, und habe dann nur die Revision und Ausfeilung zum Druck zu besorgen. Indeßen werde ich dabei sorgfältig | und genau verfahren, da ich gerne auch etwas formell recht Gelungenes geben möchte. Ich glaube, die Sache wird Dich sehr intereßiren; ich bin doch zu merkwürdigen Resultaten gekommen, die freilich dem Herrn von Savigny und Consorten wenig behagen werden, aber, wie ich glaube, von wißenschaftlichem Verdienste sind, und manchen Bestrebungen der Gegenwart die sichere Grundlage geben. Je weiter ich übrigens in der Arbeit vorgerückt bin, desto kühner habe ich meine Aufgabe gefaßt: ich nehme dabei keine andere Rücksicht, als in der Sache selbst liegt, wie es dann überhaupt in meiner Art ist, daß sich bei einer voraussichtlichen Steigerung der Friction auch meine Energie erhöht.
Von Gervin hatte ich neulich einen hübschen Brief; zwischen uns ist wieder ganz res integra. Er ist voll von Projecten, und es taucht auch wieder im Hintergrunde die Idee einer Deutschen Geschichte auf, für die namentlich Dahlmann wirksam zu seyn scheint. Es würde dann allerdings sein politisches Gewäßer ein breiteres und ruhigeres Bette finden, und das wäre vielleicht in mancher Beziehung wünschenswerth. Übrigens schreibt er jetzt viel ruhiger und gehaltener, als früher; seine Pläne nehmen einen staatsmännischen Charakter an; die Verirrungen jüngerer Genoßen, und eine wenn auch nicht gerechtfertigte, so doch erklärliche Reaction dagegen mögen ihn wohl zu größerer Überlegung geführt haben. – Leider klagt er über seine Gesundheit, und beabsichtige, im Sommer die Waßerkur zu wiederholen, wozu ich nicht viel Vertrauen habe. Er desto mehr; auch will er von der schon gebrauchten wesentliche Beßerung verspüren. Gott gebe ihm Gesundheit; wird ihm die zu Theil, so muß er noch | Großes leisten. – Mir und den Meinigen ist sie Gott sey Dank auch in diesem Winter erhalten geblieben, wie wir dann hier im Ganzen ein angenehmes, geselliges Leben führen. Mit Jahns4 verkehren wir viel; verwandtschaftliche Bande5 knüpfen in der Fremde doch sehr an einander; die Frau ist lieb und gut und auch er kommt mir immer näher, obgleich unsere Intereßen und Richtungen nicht immer zusammen laufen. – Meine Frau hat sich hier schon einen engeren Kreis von Bekannten gebildet, mehr als wie ich, der ich nirgends eine volle Übereinstimmung, ein recht durchgreifendes Verständniß finde, wenn mir auch mehr Freundlichkeit und Anerkennung zu Theil wird, als ich vielleicht in Anspruch nehmen darf. Indeßen versehe ich meine Vorlesungen fleißig, bin mit ganzer Seele bei meinem Buche, und6 laße die freien Stunden im heiteren Kreis der Familie und in leichterGeselligkeit dahin fließen. Aber etwas Bedeutendes muß man doch vorhaben, um sich dabei befriedigt zu fühlen. – Die Kinder7 sind prächtig; ich wünschte wohl, daß Du sie einmal wieder sehen könntest, wie sie üppig und frisch gedeihen. – Aus Rostock habe ich lange keine Nachricht, bis auf einen sehr schönen, eingehenden Brief des Bürgermeisters8, der mich recht erquickt hat. Hoffentlich seyd Ihr munter und wohl. Grüße mir Verwandte und Freunde herzlich; meine Frau läßt sich Dir empfehlen. Laß bald wieder etwas von Dir hören.
Stets Dein getreuer GeorgBeseler
1Es handelt sich hier um das „Antrittsprogramm“ Karl Hegels an der Universität Rostock, das 1842 gedruckt wurde. Vgl. dazu
Hegel, Dante
. 2Mathilde Lochstädt (1806-1869) war die Ehefrau des amtierenden Ersten Rostocker Bürgermeisters und Juristen Det[h]loff Karsten (1787-1879), der 1850 auch Mitglied des Erfurter Unionsparlaments wurde. Er war der Bruder des Mineralogen Carl Karsten (1782-1853) und Vater Emilie Karstens (1816-1900) der Ehefrau des Juristen Georg Beselers (1809-1888), die somit die Nichte von Det[h]loff Karsten und seiner Frau Mathilde war. Vgl. dazu Neuhaus, Brautbriefe Karl Hegels an Susanna Maria von Tucher, S. 55 f. (auch Anm.), Lengemann, Das Deutsche Parlament, S. 178, sowie Jansen, Stadtgeschichte von Rostock, S. 138 f.3Gemeint ist die 1843 in Leipzig erschienene Publikation Georg Beselers (1809-1888) „Volksrecht und Juristenrecht“, mit der er sich von liberal-germanistischer Position aus gegen Saviginy und die konservative, historische Rechtsschule nach römischem Vorbild wandte. 4Otto Jahn (1813-1869), klassischer Philologe, Archäologe, Musikwissenschaftler und Literaturhistoriker, sowie Louise Jahn (1813-1851), geb. Raabe. 5Die verwandtschaftliche Beziehung Georg Beselers mit Otto Jahn besteht mütterlicherseits über Sofie Beseler (1768-1820), geb. Jahn. Vgl. dazu DB . 6Hier wie im Folgenden fragmentarische Stelle durch Papierverlust, teilweise schwer lesbar bzw. anhand des Kontextes erschlossen. 7Dies bezieht sich auf die beiden noch in Rostock geborenen Kinder Sophie (1840) und Max Beseler (1841). In Greifswald kamen später noch die drei Töchter Anna (1843), Marie (1845) und Elisabeth (1847) zur Welt, wo auch die Geburt des zweiten Sohns Hans im Jahr 1850 erfolgte. Vgl. dazu
Kern, Beseler, S. 65 und S. 74. 8Erster Bürgermeister von Rostock war zu dieser Zeit der Jurist Det[h]loff Karsten (1787-1879), Zweiter Bürgermeister war Johann Friedrich Bauer (1797-1863). Zu den Bürgermeistern vgl.
Jansen, Stadtgeschichte von Rostock, S. 138 f. Mütterlicherseits war der erste Bürgermeister Karsten der Onkel von Georg Beselers (1809-1888) Frau Emilie Beseler (1816-1900), geb. Karsten.
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
GreifswaldUniversitäts- und Hansestadt an der Ostsee gelegen im westlichen Pommern. Infolge des Wiener Kongresses war die Stadt Greifswald, die 1250 das Stadtrecht erhalten hatte und seit 1456 über eine Universität verfügte, 1815 an Preußen gefallen.
Privatbesitz
.
Privatbesitz1000
Hegel
, Karl: Dante über Staat und Kirche. Antrittsprogramm, Rostock 1842.
Hegel
, Dante
1842
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Die Brautbriefe Karl Hegels an Susanna Maria von Tucher. Aus der Verlobungszeit des Rostocker Geschichtsprofessors und der Nürnberger Patriziertochter 1849/50, (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Heft 87), Wien, Köln, Weimar 2018.
Neuhaus, Brautbriefe Karl Hegels an Susanna Maria von Tucher2018
Das Deutsche Parlament (Erfurter Unionsparlament) von 1850
. Ein Handbuch: Mitglieder, Amtsräger, Lebensdaten, Fraktionen. Mit 200 Abbildungen. Von Jochen Lengemann, (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Große Reihe, Bd. 6) München, Jena 2000.
Lengemann
, Das Deutsche Parlament.
2000
Jansen
, Gunnar: Stadtgeschichte von Rostock in Zahlen. Folge: 151-250, Grambin 2014.
Jansen
, Stadtgeschichte von Rostock
2014
Kern
, Bernd-Rüdiger: Georg Beseler. Leben und Werk, Berlin 1982.
Kern
, Beseler.
1982
Dante AlighieriDante
https://www.deutsche-biographie.de/pnd118523708.html
11852370812651321Dante Alighieri (1265–1321), in Florenz geborener italienischer Dichter und Philosoph.
Machiavelli, NiccolòNiccolò Machiavelli11857577514691527Machiavelli, Niccolò (1469–1527), in Florenz geborener Politiker, Diplomat, Schriftsteller und Philosoph.
Savigny, Friedrich CarlFriedrich Carl Savigny11860590917791861Savigny, Friedrich Carl (1779–1861), in Frankfurt am Main geborener Jurist und Staatsmann, 1808/09 ordentlicher Professor an der Universität Landshut, danach an der Universität Berlin, Begründer der Historischen Rechtsschule der Rechtswissenschaft.
Gervinus (Gervin), Georg Gottfried jun.Georg Gottfried Gervinus11853891818051871Gervinus, Georg Gottfried jun. (1805–1871), deutscher Historiker, Literaturhistoriker und Politiker, Sohn von Georg Gottfried Gervinus sen. (1765–1837) und seiner Ehefrau Anna Maria Magdalena Gervinus, geb. Schwarz (1772–1837). Er war Ehemann von Victorie Gervinus, geb. Schelver (1820–1893), 1835/1836 Professor der Geschichte und Literatur an der Universität Heidelberg, 1836/1837 an der Universität Göttingen (einer der „Göttinger Sieben“), 1844 Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, 1848 Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung.
Dahlmann, Friedrich ChristophFriedrich Christoph Dahlmann11852336817851860Dahlmann, Friedrich Christoph (1785–1860), Politiker und Historiker, war von 1842 bis 1860 ordentlicher Professor für Deutsche Geschichte und Staatswissenschaften an der Universität Bonn, 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, 1850 Mitglied des Staatenhauses für das Königreich Preußen im Erfurter Unionsparlament.
Jahn, OttoOtto Jahn11855665718131869Jahn, Otto (1813–1869), in Kiel geborener Altertums- und Musikwissenschaftler, der von 1831 bis 1836 an den Universitäten Kiel, Leipzig und Berlin Archäologie und Klassische Philologie studierte, im Jahre 1836 in Kiel promoviert wurde, dort von 1839 bis 1841 Privatdozent und dann bis 1847 außerordentlicher Professor an der Universität Greifswald war. Von 1847 bis 1850 war er an der Universität Leipzig Ordinarius und dann bis zu seinem Tode an der Universität Bonn; Otto Jahn war mütterlicherseits der Cousin des Jugendfreundes Karl Hegels, Georg Beseler (1809–1888).
Raabe, Louise, verh. JahnLouise Raabe, verh. Jahn-18131851Raabe, Louise (1813–1851), war die Ehefrau des Altertums- und Musikwissenschaftlers Otto Jahn (1813–1869).
Jahn, OttoOtto Jahn11855665718131869Jahn, Otto (1813–1869), in Kiel geborener Altertums- und Musikwissenschaftler, der von 1831 bis 1836 an den Universitäten Kiel, Leipzig und Berlin Archäologie und Klassische Philologie studierte, im Jahre 1836 in Kiel promoviert wurde, dort von 1839 bis 1841 Privatdozent und dann bis 1847 außerordentlicher Professor an der Universität Greifswald war. Von 1847 bis 1850 war er an der Universität Leipzig Ordinarius und dann bis zu seinem Tode an der Universität Bonn; Otto Jahn war mütterlicherseits der Cousin des Jugendfreundes Karl Hegels, Georg Beseler (1809–1888).
Raabe, Louise, verh. JahnLouise Raabe, verh. Jahn-18131851Raabe, Louise (1813–1851), war die Ehefrau des Altertums- und Musikwissenschaftlers Otto Jahn (1813–1869).
Jahn, Sofie, verh. BeselerSofie Jahn, verh. Beseler-17681820Jahn, Sofie (1768–1820), war Tochter des Chirurgen und Amtsbarbiers Carl (Karl) Georg Jahn und der Catharine (Katharine) Binnemann, Ehefrau von Cay Hartwig Beseler (1765–1818), dänischer Kammerrat, Deichinspektor für Schleswig in Rödemis, und damit die Mutter des Juristen und engen Freundes Karl Hegels, Georg Beseler (1809–1888).
Beseler, Sophie Adelaide, verh. HelfritzSophie Adelaide Beseler, verh. Helfritz-18401921Beseler, Sophie Adelaide (1840–1921), Tochter Georg Beselers (1809–1888) und Emilie Beselers (1816–1900), geb. Karsten, später verheiratet mit Hugo Arthur Richard Helfritz (1827–1896), dem preußischen Politiker und Bürgermeister von Greifswald, war die Mutter des zuletzt an der Universität Erlangen wirkenden Rechtswissenschaftlers Hans Helfritz (1877–1958).
Karsten, Detloff Ludolf EobaldDetloff Karsten12090763117871879Karsten, Detloff Ludolf Eobald (1787–1879), Advokat und Prokurator in Rostock, von 1811 bis 1846 in verschiedenen Funktionen als Senator, Syndikus, Bürgermeister und Erster Bürgermeister in Diensten der Hansestadt mit abschließender Ehrung als Ehrenbürger, 1846 Regierungsrat in Schwerin, 1848/49 war er Mecklenburger Bevollmächtigter bei der provisorischen deutschen Zentralgewalt in Frankfurt am Main. Er war ein Bruder des Mineralogen und Metallurgen Karl Johann Bernhard Karsten (1782–1853). Als Bruder des Mineralogen Carl Karsten (1782–1853) war er Onkel von Georg Beselers (1809–1888) Frau Emilie Beseler (1816–1900), geb. Karsten.
Bauer, Johann FriedrichJohann Friedrich Bauer-17971863 Bauer, Johann Friedrich (1797–1863), war 1843 zweiter Bürgermeister von Rostock.
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Volksrecht und Juristenrecht (1843)Publikation des Juristen Georg Beseler (1809-1888) aus dem Jahr 1843 erschienen in der „Weidmann’schen“ Buchhandlung in Leipzig.
res integraAus dem Lateinischen wörtlich für: unverletzte, unversehrte, frische, blühende Sache.
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Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis