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Georg Beseler an Karl Hegel, Greifswald, 27. Januar 1843

Lieber Hegel!

Zuvörderst habe ich Dir für mich [!] und im ausdrücklichsten Auftrage meiner Mitbeschenkten den freundlichsten Dank für Deinen Dante1 zu sagen. Wir haben uns alle darüber gefreut, und ich nicht am Wenigsten; denn das Werkchen giebt ein sehr tüchtiges Zeugniß von Deinen Studien und Deiner Gesinnung, und daß diese auch im weitern Kreise bekannt und anerkannt werden, gereicht dem Freunde zur großen Genugthuung. Ich bin nun begierig zu sehen, wie Du daran die florentinischen Sachen und den Macchiavell anknüpfst; Du wirst dadurch Gelegenheit bekommen, sowohl auf die altitalienischen Zustände detaillirter einzugehen, als auch die Deutsche Gegenwart, wenigstens vergleichsweise, näher ins Auge zu faßen, so daß es diesem Arbeiten an allseitigem Intereße nicht fehlen kann. Wenn du übrigens daneben so viel Kraft an Deine Vorlesungen setzest, wie Du schreibst, so ist allerdings Deine Zeit gehörig in Anspruch genommen; denn die Geschichte ist auch im kleinsten Raume eine große Aufgabe, wenn man sie selbständig faßen und begreifen will. Daß Du das Staatsrecht aufgegeben, freut mich; Du würdest Dich jedenfalls dadurch zersplittert, und wenig befriedigt gefühlt haben.

Ich wollte, daß die Bürgermeisterin2 Recht gehabt hätte, und mein Buch3 fertig wäre. Indeßen naht es sich seinem Ende; ich bin bei der Ausarbeitung des letzten Abschnittes, und habe dann nur die Revision und Ausfeilung zum Druck zu besorgen. Indeßen werde ich dabei sorgfältig und genau verfahren, da ich gerne auch etwas formell recht Gelungenes geben möchte. Ich glaube, die Sache wird Dich sehr intereßiren; ich bin doch zu merkwürdigen Resultaten gekommen, die freilich dem Herrn von Savigny und Consorten wenig behagen werden, aber, wie ich glaube, von wißenschaftlichem Verdienste sind, und manchen Bestrebungen der Gegenwart die sichere Grundlage geben. Je weiter ich übrigens in der Arbeit vorgerückt bin, desto kühner habe ich meine Aufgabe gefaßt: ich nehme dabei keine andere Rücksicht, als in der Sache selbst liegt, wie es dann überhaupt in meiner Art ist, daß sich bei einer voraussichtlichen Steigerung der Friction auch meine Energie erhöht.

Von Gervin hatte ich neulich einen hübschen Brief; zwischen uns ist wieder ganz res integra. Er ist voll von Projecten, und es taucht auch wieder im Hintergrunde die Idee einer Deutschen Geschichte auf, für die namentlich Dahlmann wirksam zu seyn scheint. Es würde dann allerdings sein politisches Gewäßer ein breiteres und ruhigeres Bette finden, und das wäre vielleicht in mancher Beziehung wünschenswerth. Übrigens schreibt er jetzt viel ruhiger und gehaltener, als früher; seine Pläne nehmen einen staatsmännischen Charakter an; die Verirrungen jüngerer Genoßen, und eine wenn auch nicht gerechtfertigte, so doch erklärliche Reaction dagegen mögen ihn wohl zu größerer Überlegung geführt haben. – Leider klagt er über seine Gesundheit, und beabsichtige, im Sommer die Waßerkur zu wiederholen, wozu ich nicht viel Vertrauen habe. Er desto mehr; auch will er von der schon gebrauchten wesentliche Beßerung verspüren. Gott gebe ihm Gesundheit; wird ihm die zu Theil, so muß er noch Großes leisten. – Mir und den Meinigen ist sie Gott sey Dank auch in diesem Winter erhalten geblieben, wie wir dann hier im Ganzen ein angenehmes, geselliges Leben führen. Mit Jahns4 verkehren wir viel; verwandtschaftliche Bande5 knüpfen in der Fremde doch sehr an einander; die Frau ist lieb und gut und auch er kommt mir immer näher, obgleich unsere Intereßen und Richtungen nicht immer zusammen laufen. – Meine Frau hat sich hier schon einen engeren Kreis von Bekannten gebildet, mehr als wie ich, der ich nirgends eine volle Übereinstimmung, ein recht durchgreifendes Verständniß finde, wenn mir auch mehr Freundlichkeit und Anerkennung zu Theil wird, als ich vielleicht in Anspruch nehmen darf. Indeßen versehe ich meine Vorlesungen fleißig, bin mit ganzer Seele bei meinem Buche, und6 laße die freien Stunden im heiteren Kreis der Familie und in leichter Geselligkeit dahin fließen. Aber etwas Bedeutendes muß man doch vorhaben, um sich dabei befriedigt zu fühlen. – Die Kinder7 sind prächtig; ich wünschte wohl, daß Du sie einmal wieder sehen könntest, wie sie üppig und frisch gedeihen. – Aus Rostock habe ich lange keine Nachricht, bis auf einen sehr schönen, eingehenden Brief des Bürgermeisters8, der mich recht erquickt hat. Hoffentlich seyd Ihr munter und wohl. Grüße mir Verwandte und Freunde herzlich; meine Frau läßt sich Dir empfehlen. Laß bald wieder etwas von Dir hören.

Stets Dein getreuer
GeorgBeseler