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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl und Immanuel Hegel, Leitheim (Schloss), 14. März 1843

So bin ich denn nun seit Freitag3 Abend in Leutheim. Der Abschied von Nürnberg war mir schwer – aber ich finde auch hier so viel des Lieben und Guten, so viel mehr als ich erwarten konnte, – so daß ich auch hier wieder nur sagen kann: Es ist zu viel des Glücks das mir auch hier wieder zu Theil wird! Gott hat mir in Wilhelm und Frida liebe Geschwisterherzen, und in ihren Eltern Freunde – und Kinder – deren Lieblichkeit und kindliche Frömmigkeit und Fröhlichkeit mich ganz entzückt, geschenkt. –

Die Angst hat mich nur unter der Bedingung, daß ich bis Ende März in Leutheim bleibe, reisen lassen und wie gerne will ich nun, da, wo es mir so wohl wird und so viel herzliche Liebe und mir zu viel des Guten (eine Pflege wie ich mich nie gepflegt habe) zu theil wird, bleiben. Ist nicht Hopfen und Malz an mir verloren, so muß ich hier vollends erstarken – Ich fürchte nur ich werde ein recht verwöhntes verzogenes Kind. Solches Wohlleben, ist nicht die Vorschule für eine barmherzige Schwester – Die Geschwister die lieben, Theuren, denen ich durch lange Trennung und meine Schreib Unfähigkeit ganz entfremdet war, sind mir nun aufs Neue wieder geschenkt, ich erwarme an ihren Herzen, Frieda ihre Kinder, als die Meinen an mein Herz – Nach solchem Wiedereinleben thut scheiden und meiden weh – doch über dem allen steht mir das Glück – das mir Gott noch einen Lebensberuf geschenkt, auf eine ernstere Schule mich eingewiesen hat –

Ja, so wohl es mir hier auch geht, freu ich mich doch, wenn erst der Abschied überwunden ist, unaussprechlich auf meine Rückkehr nach Berlin

Dich lieber Karl finde ich wohl nicht mehr – ich komme wenn ich 3 – 4 Wochen in München bleibe auf dem Rückweg noch einige Tage in Nürnberg. Doch wohl vor der 1ten oder 2ten Woche im Mai bin ich nicht wieder zurück. Deinen Brief lieber Manu erhielt ich noch Tags vor meiner Abreise – Ein geristiger4 Bothe den wir nach Briefen nach Donauwörth schickten hat, mir noch keinen Brief mitgebracht – Ob Du mein Karl noch einen Zug nach Nürnberg empfindest und kommen willst mich abzuholen – Benoit hat mir versprochen er wolle mich in München abholen. Er hat dort Geschäfte und will sie auf die Zeit meiner Rückkehr versparen – So werd ich auf Flügeln der Liebe nach München getragen – Wir fuhren mit Benoits Pferden bis Schwabach mit Postpferden bis Donauwörth, dort war Wilhelms Gespann – das mich auch, so wie ein schöner Tag ist, nach Untermagerbein zur lieben Constanze und nach Augsburg bringen soll – Constanze bat mich so herzlich dringend, ich sollte sie da Untermagerbein von Leitheim nur 5 – 6 Stunden entfernt ist auf einige Tage besuchen. Wilhelm zeigt es mir auf der Karte und ermuthigt mich dazu – So werd ich wohl diesen Ausflug machen –

Nun muß ich Euch aber auch in Leutheim herum führen, daß Ihr Euch zu uns im Geiste hieher versetzen könnt. Wilhelms stille Natur macht von dem was er hat und thut und was ihn beglückt nicht viel Redens und Rühmens – nun sehe ich erst wie reich und wie zufrieden und glücklich er ist, wie er sein herrliches Gut verbessert und gut verwalthet, wie seine Stellung zu den Eltern, eine für beide Theile unabhangig glückliche ist. Er ist der Hausherr und Gutsherr – bewohnt das stattliche Schloß – Neben an, hat der Vater in einem kleinen Haus im 2tem Stock, die Mansarten Zimmer, kleine mindere Zimmerchen, aufs niedlichste und heimelichste zu seiner und seiner Frau Wohnung und seiner eigenen Oekonomie eingerichtet. Alles Gwränge5 ist ihm verhaßt, er sitzt in einer kurzen Jacke an seinem Schreibtisch – liest Zeitungen und was ihm der Buchhandel Neues zuschickt – dirigirt in der Tischler Werkstätte die Anfertigung neuer eleganter Möblen von Magahoni6 und selbstgefällten Nußbaum, mit denen er das ganze Schloß meublirt – braut Champagner vom eigenen Weinberg 5 Eimer, reitet Pferde zu – Er kommt des Abend zu seinen Kindern herüber und spielt auf der Violine seinen Enkelchen zum Tanz auf, Wilhelm acompagnirt dazu mit der Guitarre. So tanzten Sontag Abend die Kinder im Mondschein der das Zimmer magisch erleuchtete – Ein Bild das ich nie vergessen werde – es lag ein Zauber in dieser Umgebung auf diesem lieben Engels Gesicht meiner Frida. Ihre Mutter 10 Jahre jünger als ich, ist eine einfache, herzlich gute, gefühlvolle tief religiose Frau, noch immer eine hübsche Frau, die aber aller Eidelkeit und Vornehmigkeit entsagt, ihr einziges Glück und Freude an ihren Kind und Enkelchen hat. – Es freut sie ihr schönes Kind geputzt zu sehen, wie man das was man liebt so gerne schmückt – sie gab ihr alle ihr Geschmeide und allen Staat ihrer Einrichtung – und meint sie hatte daran keine Freude mehr. – Am Abend unserer Ankunft – 10 Uhr – waren Vater und Mutter die ersten am Wagen, Frida hing am Halse des Vaters und der Mutter – es war eine Freude des Wiedersehen, ein Willkommen, so herzlich und zärtlich daß ich mich schon im ersten Augenblick an diesen lieben glücklichen Familienkreis zu Hause fühlte – Ich mußte zu Vater und Mutter gleich Du sagen und versprechen, ich sollte thun als ob ich hier zu Hause wäre – mich  richtig pflegen – recht lange hier bleiben – sie wollten sich dann auch gar nicht vor mir geniren, in der kurzen 7 – die Kinder schliefen und wurden schlafend 8 – Sie gleichen alle der Mutter: Susanne 6 Jahr, Theodor 4, Helena 2, Karl ½ Jahr alt.

Am Morgen war die Mutter schon vor Fridas Erwachen in der Kinderstube half die Kinderchen anziehen und brachte die 3 ältesten an das Bett der schlafenden Mutter, so saßen und knieten sie an ihrem Bette und warteten auf ihr Erwachen. – Dieses holdselige liebe engelsgute sanfte Wesen mit ihren Kindern zu sehen, in ihrer Liebe zu Wilhelm, zu den Eltern – als Wirthin und mein Pflegmütterchen – als eine kindlich gläubige Seele, die, wie ich nun erst merke die frömmste von uns allen ist, auf dem Standpunkt der gereinigten Katholischen Kirche, vorurtheilsfrei, tolerant, sie ist von aufgeklärten vortrefflichen Geistlichen unterrichtet – wie in Zwiespalt und Unruhe über den Glaubens Unterschied ihres Mannes und ihrer Kinder – Ihre Jugendfreundin die vom 9ten Jahr an mit ihr erzogen wurde, ist nach ihrer Verheurathung ins Kloster Dietramszell in dem sie sich der Erziehung widtmete gegangen – der Umgang mit dieser himlisch gesinnten Seele hat in ihr eine so entschieden frommen Sinn genährt  –  –  den sie so still verborgen in sich hat  –  –  Sie hatte eine kindliche Freude daran in Nürnberg wieder einmahl auf einen Ball zu gehen – sie besuchte die Gesellschaften der Fürstin von Tourn und Taxis9, wo sie in ihrer Schönheit und Anmuth und ihrer eleganten Toilette die Schönste war aber so versicherte sie mir unterwegs, sie möchte ihr stilles Glück in Leitheim nicht mit aller Welt Herrlichkeit vertauschen. Und wie wir am Abend in ihre heimatliche Nähe kamen sang sie in der Freude ihres Herzens Lieder – und freute sich unaussprechlich auf ihre Kinderchen und die Eltern –

Die Gegend von Leitheim ist wunderherlich – das Schlos liegt auf einem Berge an dessen Fuße die Donau – die sich durch die unabsehbar weite Ferne wie ein Silberband schlängelt. Weiter hin sieht man den Lech – als einen zweiten Silberstreif – bei hellem Wetter sieht man die Tiroler Berge bei Tegernsee und Augsburg nach Süden hin von Wilhelms Wohnzimmer aus liegen. Mein Zimmer liegt nach Osten, mich entzückt jeden Morgen die wunderherliche Morgenröthe im Spiegel der Donau die sich unabsehbar weit hinaus schlängelt, der Hintergrund Berge – die nordliche und West Seite des Schlosses, Berge und Hänge mit einer 10, an dem Hügel hinaus liegt das Dorf – der Garten hat dieselbe schöne Aussicht – ein Weinlaubengang Weinberg Gemise und Obstgarten führt durch schräge Querwege und schattiges Buchwerk zur Donau herunter – Ein andermahl mehr –

Ein Bothe nach Donauwerth soll den Brief mitnehmen –

Lebt wohl Ihr Lieben – Frida und Wilhelm grüßen Euch

 Eure Getreu –

P. S. Adresse Leitheim bei Donauwört – schreibt mir bald.