Ich hätte schon früher auf Deine freundliche Einladung, Dich in dem schönen Heidelberg und Deinem eignen Hause1 zu besuchen, geantwortet, wenn ich geglaubt hätte, daß Du sehr auf mich rechnen würdest. Aber Du weißt selbst, wie nöthig es ist, daß man in dem Alter, in welchem ich jetzt stehe, seine Zeit und seine Kräfte auf bestimmte Zwecke beziehe, und bei mir ist dies nöthiger als bei vielen Andern, da sich meine Lehr- und Wanderjahre ohnehin schon zu lang ausgedehnt haben. Überdies versprichst Du, im nächsten Jahre nach Berlin, ja vielleicht nach Rostock zu kommen und ich halte Dich beim Wort. Wenn Du Dein Haus losgeworden bist, so sehe ich nicht ein, warum Du nicht schon in diesem Jahre Dein Vorhaben ausführen willst, ehe Du Dich in eine neue große Arbeit eingelassen hast. Die Wasserkur kannst Du aufs schönste fortsetzen bei uns in Warnemünde, wo doch ein ganz andres kräftigeres Wasser ist, als Du in Heidelberg haben kannst und Du hast gar keine Vorstellung von der Annehmlichkeit des Aufenthaltes und dem Genuß des Naturlebens in Warnemünde; und von der Stärkung, die man daraus empfängt!
Du würdest dort alte Freunde finden, die Dich und Deine liebe Victorie hoch halten und Ihr würdet Euch wohl fühlen in dem gemüthlichen und anspruchslosen Kreise, in welchem wir uns dort bewegen! Die Eisenbahn wird Deine Reise erleichtern und beschleunigen und zur weiteren Beföderung von Berlin nach Rostock wird von Mai an eine neue Schnellpost eingerichtet, die diesen Weg in 15 Stunden zurücklegen soll. Nimm nun2 Alles zusammen wohl in Erwägung! Ich bin auf einige Tage hierher gekommen, um meine hiesigen Freunde wiederzusehen, die Bibliothek zu benutzen, herrliche Musik zu hören und mich in den hiesigen Verhältnissen wieder zu orientieren. Ich übersehe von dem letzteren natürlich nur einen kleinen und für das politische Leben eigentlich wenig bedeutenden Kreis, nämlich den der Gelehrten und auch diesen nur theilweise. Die Philosophen sind3 in großer Spannung und Mißstimmung, weil sie sich für gedrückt und verfolgt erachten, obwohl Factisches, worauf sie diese Meinung gründen könnte, wenig vorliegt, sie machen das Heil des Staats davon abhängig, ob der Minister sich für diese oder jene wissenschaftliche Ansicht in Theologischen Dingen erklärt und vereinigen sich zu einer energischen Revision gegen die von ihm angekündigten Tendenzen. Mich läßt dieser Streit, obwohl ich ihm durch den Namen nahe genug anzugehören scheine, doch ziemlich kalt, denn theils sind meine persönlichen Überzeugungen der philosophischen Schule immer mehr entwichen, je mehr ich sie auf die Erfahrung und das Studium der Geschichte begründe, theils habe ich bei dem Streit der Gelehrten noch niemals ein anders Resultat gesehen, als daß jede Partei sich in ihrer Meinung nur noch mehr verhärtet und durch den Widerspruch zur Einsichtigketi getrieben sich von der unbefangnen und wahren Auffassung der Dinge nur immer weiter entfernt; endlich scheint mir die Aufgabe unserer Zeit und das Bedürfniß unsrer Nation ganz wo anders zu liegen, nämlich in den politischen Institutionen und in den sittlichen Kräften, welche durch sie eine Gestalt zu beginnen trachten. Dafür schlägt mir vielmehr das Herz im Busen und daran hängt mein Glaube und meine Hoffnung.
Deine Idee, eine Deutsche Geschichte4 zu schreiben, habe ich mit der größten Freude begrüßt. Nichts ist in der That wünschenswerther und mehr Bedrüfniß für unsre Nation, als daß sie ein besseres Verständniß über sich selbst gewinne, als es aus den bisherigen Geschichten möglich gewesen, damit sie nicht durch unkundige Schreier eingeleitet, durch falsche Enthusiasten bethört werde oder auch, wenn sie dieselben verachten gelernt, diese Verachtung nicht auf unsre ganze politische Literatur aus diesen und ohne sich einer höheren Aufgabe bewußt zu werden, nur in den Tag hinein lebe, in der Sorge für das materielle Wohlleben und in dem blinden Vertrauen auf die hohe Intelligenz und die schönen Absichten unsrer Regierungen. Und die deutsche Geschichte muß gerade jetzt so geschrieben werden, wie Du sie schreiben willst und allein schreiben kannst, nämlich mit einer entschiednen Tendenz auf die Gegenwart. Weil diese in der bisherigen Behandlung gefehlt hat, so hat alles Interesse an unsrer Geschichte sich auf die Epochen beschränkt, welche durch sich selbst groß und bedeutend sind, die Kaiserzeit bis zum Ende der Hohenstaufen, dann die Reformation; der Zusammenhang aber, der Fortgang und das Ziel der Entwicklung ist nicht zum Bewußtsein gekommen, und die letzten Jahrhunderte haben ihre Bedeutung verloren, weil sie unverstanden geblieben sind. Für diese neueren Zeiten ist sehr5 noch am meisten zu thun. Wer wäre dazu vorbreiteter und tüchtiger als der, der die Geschichte des Deutschen Geistes in der Literatur durchgearbeitet hat wie kein Andrer? Du hast die leitenden Fäden des ganzen Gewebes schon in Deiner Hand und brauchst nur die bunten Farben des Lebens aufzutragen. Du sollst aber nicht mit einer gewissen Mißstimmung und Hoffnungslosigkeit an das Unternehmen gehen, wie sich in Deinem Briefe6 auszusprechen scheint. Du hast Dich mit viel von dem Viralen7 der Tagesmeinung bewegen lassen und das meist eigennützige Urtheil der Journalschriftsteller immer verachtet. Was erwartest Du dort für Anerkennung? Ein großes Werk, wie Deine Literaturgeschichte braucht eine gute Zeit bei den Deutschen, bis es Eingang findet und verstanden wird. Wir sind auch langsam im Verstehen, weil wir nun das verstanden zu haben glauben, was wir in Mark und Blut aufgenommen haben.
Ich arbeite gegenwärtig in meinen Vorlesungen die neuste Geschichte durch, auf welche mich theils das eigne Bedürfniß geführt hat, weil ich in der Gegenwart einen festen Standpunkt gewinnen möchte, von welchem aus ich die Vergangenheit übersehen und verstehen will, theils hat dies prosaische und materielle, nur auf das Praktische und zunächst Nützliche oder relativ Nothwendige gerichtete Volk der Meklenburger, bei welchem eigentlich nur die Jurisprudenz unter den Wissenschaften und die Kochkunst unter den Künsten und die Oekonomie als Lebensberuf in Credit stehen und am meisten gepflegt werden, keinen Sinn für die von banausischen Zwecken freie Betrachtung der Vergangenheit, so wenig als es Interesse hat, geschweige denn Liebe, für das außerhalb der sogenannten vaterländischen Grenzen liegende Deutschland. Wenn ich mich in dieser Beziehung oft recht einsam und verlassen fühle, bei der gänzlichen Aussichtslosigkeit auf einen nur einigermaßen erfreulichen und gedeihlichen Wirkungskreis trotz alles eifrigen und ehrlichen Bemühens, so ist es dann die gemüthliche und fröhliche Geselligkeit, in der ich lebe, welche den Mißmuth wieder verscheucht und mich hier im Orte festhält. Am meisten verkehre ich mit Thöl, dessen überaus liebenswürdige Natur Dir wohl bekannt ist; seine fast immer gleiche Heiterkeit und sein leichter Sinn ohne Leichtsinn eine wahre Gottesgabe, thun mir sehr wohl. Mit Wunderlich, dessen innern Kern ich wohl zu schätzen weiß, wie oft mich auch die rauhe und eckige und wunderliche Schale verletzt, ist ein so gleichmäßiges Vernehmen, wie wenigstens, nicht möglich. Thöl ist mit seinem guten Humor auch zwischen uns ein wohlthätig vermittelndes Element, da er alle die rauhen Nöthen und Härten des Wunderlichen mit unverletzlicher Nachsichtigkeit empfängt und so ein schützender Ableiter ist. Wunderlichs Hochzeit findet Ende dieses Monats statt; vielleicht daß der Ehestand ihn noch etwas abschleift, die Liebe hat ihn nur reizbarer gemacht.
Meine Abhandlung über Dante8 werde ich Dir und Schlosser, dem ich mit immer unveränderter Liebe und Verehrung zugethan bin, bei Gelegenheit zuschicken. Sie ist Ende des vorigen Jahres gedruckt worden, doch, als ein Programm, nicht weiter in den Buchhandel gekommen. Meine Studien über Florenz werde ich in diesem Sommer, wo ich von den fruchtlosen Vorlesungsarbeiten freier zu werden hoffe, wieder aufnehmen und zu irgend einem Abschluß bringen.
Grimms lassen Dich recht herzlich grüßen; sie sagten mir, daß Dahlmanns Dich zu Ostern9 besuchen wollten. Ich weiß nicht, in welchem Ausdruck ich das Gefühl, welches ich für Dahlmann habe, fehlen soll, es ist mir wie ein Heiligthum, ich glaube, weil in meiner Vorstellung seine Persönlichkeit und10 mit der Idee des Vaterlandes aufs innigste verbunden ist. Herzliche Grüße an sie alle und an Deine liebe Frau vor Allem. Wie gerne säh ich Euch einmal wieder! Lebe wohl und schreibe bald