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Karl Hegel an Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, Rostock, 17. April 1843

Die Freunde von hier sehen mich auch in ganz anderer Art als den ihrigen an, als die Berliner, bei welchen mir doch der geringere Grad oder gar Mangel an persönlicher Theilnahme wieder sehr auffiel, mit Ausnahme Hothos und einiger Wenigen. Ich habe sie – ziemlich alle besucht. Ich fühlte diesmal einen besonderen Zug zu Göschel. Zwar die Gesellschaft, in die er uns einlud, – die Herrn von und einige artige und fromme Herrn – sagten mir weniger zu, weil ich da einen gewissen Ton der Vornehmheit und eine Prätension der Christlichkeit gewahrte; aber alles, was ich über Göschels Benehmen in der philosophischen Gesellschaft hörte und wie ich selbst ihn bei einer Sitzung derselben fand, hat mich sehr für ihn gewonnen und eingenommen. Ich muß Dir aber erst von dieser philosophischen Gesellschaft, von der Du wohl noch nichts weißt, erzählen: ein polnischer Graf, Namens Ciescowsky, ein eifriger Schüler Hegelscher Philosophie und wohlgesinnter rühriger Mann hat durch persönliche Bemühung die Häupter der Hegelschen Schule von allen Richtungen dazu vermocht, sich zu einer Gesellschaft zu vereinigen, um in regelmäßigen Zusammenkünften Abhandlungen vorzulegen und mündliche Discussionen darüber zu eröffnen, wodurch die verschiedenen Ansichten zur völligen Klarheit herausgefördert, und wenn es möglich wäre, zur Annäherung, da Übereinstimmung nicht mehr zu hoffen ist, gebracht werden sollen. Marheineke, Göschel, Michelet, Hotho, Henning (dieser nur noch geduldet, da er sich durch sein zweideutiges Lavieren ebenso sehr in Mißcredit um nicht zu sagen Geringschätzung gesetzt, als Göschel durch sein offenes und sittliches Betragen die Achtung aller gewonnen hat.), Gabler, die Benarys, die Heydemanns1, Veit, Vatke u. a. sind die Mitglieder derselben. (Zu den auswärtigen gehöre auch ich.) Es haben bereits mehrere Sitzungen stattgefunden. Alle nehmen mit dem gespanntesten Interesse Antheil daran. Michelet hat durch eine Abhandlung, worin er die Hegelschen Schüler in die rechte und linke und Mitte – wie Strauß zuerst gethan hat2 – taktlos genug classifizieren und charakterisieren, sogleich Widerspruch hervorgerufen. Es hat sich dabei gezeigt, und dies ist schon ein sehr wichtiges Resultat dieser Gesellschaft, daß er mit seiner atheistischen Richtung fast ganz alleine steht, und da sowohl die Abhandlungen selbst, wie die Discussionen darüber, späterhin im Druck bekannt gemacht werden sollen, so wird diese Ausscheidung die sich für die allein wahre Auffassung Hegelscher Philosophie aus 3 atheistischer oder pantheistischer Richtung gewiß von großem Gewicht sein in Bezug auf die Beurtheilung der erstern durch die öffentliche Meinung. Und ich glaube, daß man auch der Philosophie in höchstem Grunde wünschen muß, daß sie sich mit dem religiösen und Volksbewußtsein besser verständigte, als das bisher der Fall gewesen ist. In der Sitzung, der ich beiwohnte, disputierten Vatke und Michelet miteinander. Göschel faßte bisweilen den Faden der Debatte zusammen und machte die Kämpfenden, wenn sie in der Luft zu fechten anfingen, auf die Hauptgesichtspunkte, auf welche es ankam, aufmerksam. Wir anderen saßen mit gespannter Aufmerksamkeit mit dabei und ich kann wohl sagen, daß dieser Abend mir mit der interessanteste war von allen, die ich in Berlin erlebte und ich bedaure nichts mehr, als daß ich an diesen Sitzungen nicht fortwährend theilnehmen kann.