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Georg Beseler an Karl Hegel, Greifswald, 21. Mai 1843

Lieber Hegel,

ich hatte gehofft, Dich am Ende der Ferien in Rostock zu sehen, und mich schon mit Baum wegen einer Reise beredet. Aber theils wurde mein Buch1 später fertig, als ich gedacht, theils hielten mich die Geschäfte des Decanats zurück; so ist es dann bei dem guten Willen geblieben. Am Ende des Sommers aber denke ich bestimmt einige Tage bei Euch zuzubringen. Im Ganzen werde ich ja wohl einen Status quo bei Euch vorfinden: möchte nur mein lieber Ackermann zu der Zeit wiederhergestellt seyn; mich bedrückt es sehr, daß ich noch nichts Gewißes über seine Beßerung höre. – Uns geht es hier ganz gut; wir legen uns die Sachen so gut zurecht, als es sich machen läßt, haben einen angenehmen Freundeskreis und auch die academica geben mir einen, wenn auch beschränkten, so doch nicht unerfreulichen Wirkungskreis. Befriedigen kann mich diese Thätigkeit freilich nicht, wie es überhaupt die academische nie ganz thun wird; aber deswegen eben schriftstellere ich. Meiner Neigung, und ich glaube auch meinen Fähigkeiten würde freilich die unmittelbare Theilnahme an einem tüchtigen Staatsleben mehr entsprechen; allein wie sich die Sachen jetzt bei uns gestalten, werde ich darauf, wenigstens vorläufig ganz verzichten. Man hilft sich mit Halbheiten und Künsteleien über die nächsten Schwierigkeiten weg, und hat weder den Muth noch den guten Willen, dem nach einer freien, nationalen Gestaltung ringenden Volksgeiste leitend und fördernd seine Bahn zu eröffnen; so mag es denn gehen, wie es muß, und liegen, bis es bricht. Ich werde mich nicht dazu hergeben, einem solchen Wesen meine Kräfte zu opfern, und bin entschloßen, wieder unmittelbar, wie früher nur den gemein Deutschen Gesichtspunct fest zu halten. Für meine Zukunft wird viel davon abhängen, wie mein Buch nun in Berlin aufgenommen wird, erkennt man es an, und stellt mich zur guten Prosa, so werde ich bald nach Berlin kommen, und mir dort meine Stellung zu bereiten wißen; verleugnet man es aber, und legt mich zu den bloß tolerirten Persönlichkeiten, so daß mir der möglichst enge Wirkungskreis angewiesen wird, mit andern Worten: soll ich in Greifswald meine letzten Jahre verkümmern, so wende ich Preußen wieder den Rücken, und sehe mich nach einem andern Platze um, der mir mehr Reize des Aufenthalts und mehr unmittelbare Berührungspuncte mit dem Deutschen Leben gewährt. Wie es nun aber kommen wird, darüber habe ich kein bestimmtes Urtheil; ich glaube aber, daß mir auch diesmal Alles zum Guten ausschlägt, theils weil ich überhaupt Glück habe, theils wegen der persönlichen Gunst, welche der Minister Eichhorn und andere einflußreiche Männer mir entschieden zugewandt haben. Komme es aber, wie es wolle; ich bin mir über das, was ich bin und was ich will, im Klaren, und freue mich, daß ich sobald Gelegenheit erhielte, dieß Greifswalder Provisorium zu einer bestimmten Entscheidung zu bringen. Ende Juli wird der Druck meines Buchs wohl ferig seyn, und das, hoffe ich, wird doch jedem daraus klar werden, was man auch sonst darüber denken mag, daß ich hier nicht an meinem Platze bin. Eigentlich freue ich mich sehr darauf, wie meine Juristen das Ding anglotzen werden. Einige denke ich fallen mir bei; denn ich verwerfe die Jurisprudenz ja nicht, sondern will sie nur im nationalen und wißenschaftlichen Sinn veredelt wißen; die Meisten werden nicht wißen, wie sie mit mir daran sind, und vorsichtig schweigen; Einige aber werden sich mit Eifer dagegen erheben, und mit diesen beginne ich dann einen Kampf auf Leben und Tod. Ich gehe zu dem Ende mit dem Gedanken um, mir eine Zeitschrift in zwanglosen Heften zu begründen, um frei über meine Waffen gebieten zu können. Doch ist dieß nur erst ein ganz allgemeiner Plan, von dem Du daher auch nichts verlauten läßt.2 – So lebe ich dann still und heiter in unbefangener Geselligkeit hier, und brüte zugleich, wie Du siehst, über ganz verwegene Projecte; ich gehe dabei meinen eigenen Weg, ohne mit Andern mich zu berathen und auf fremde Hülfe zu bauen. Denn hier finde ich kein förderndes Verständniß, und in die Ferne hin läßt sich über solche Sachen nicht viel correspondiren. Die Hauptsache bleibt immer: ob ich dem gegenwärtigen Bedürfniß der Nation ein verständliches Organ werde, und ihrem allgemeinen Entwicklungsgange gemäß handle. Dann wird die Frucht meiner Besprechungen nicht ausbleiben, wenn ich auch nur der Johannes3 eines glücklichen und begabten Mannes seyn soll. Habe ich aber phantastisch mein Ziel verfehlt, und bin ich dem Wunderlichen und Bizarren verfallen, so geschieht mir ganz recht, wenn ich mich blamire: doch glaube ich, das Einfach-Wahre getre4 haben.

Wir hier im Hause sind frisch und munter; meine Schwester5 bleibt bis Mitte nächsten Monats; dann löst meine Schwiegermutter sie ab, um Emilie aus den Wehen zu pflegen. Die Kinder6 sind prächtig, und machen uns laufend Freuden. Baumstark hat den Ruf nach Erlangen abgelehnt, und ist provisorisch Director in Eldena.7 geworden, behält aber seine Stellung an der Universität bei. – Grüße die Rostocker Freunde, besonders die Familie, und Röper, Thöl perge!perge!. – Was macht Wunderlich? ist er verheirathet? – Zu Deinen Archiv-Plänen wünsche ich glücklichen Erfolg: Deine Lage würde sich dadurch ja sehr verbeßern. Emilie und meine Schwester grüßen freundlichst; schreibe bald und recht ausführlich auch über die Personalien; ich höre wenig davon.

Dein GeorgBeseler