Mit Poststempel: GREIFSWALD 22 5 Zweikreisstempel.
Herrn Profeßor Dr. K. Hegel / Wohlgeboren / in / Rostock.
Greifswald
Lieber Hegel,
ich hatte gehofft, Dich am Ende der Ferien in Rostock zu sehen, und mich schon mit Baum wegen einer Reise beredet. Aber theils wurde mein Buch1 später fertig, als ich gedacht, theils hielten mich die Geschäfte des Decanats zurück; so ist es dann bei dem guten Willen geblieben. Am Ende des Sommers aber denke ich bestimmt einige Tage bei Euch zuzubringen. Im Ganzen werde ich ja wohl einen Status quo bei Euch vorfinden: möchte nur mein lieber Ackermann zu der Zeit wiederhergestellt seyn; mich bedrückt es sehr, daß ich noch nichts Gewißes über seine Beßerung höre. – Uns geht es hier ganz gut; wir legen uns die Sachen so gut zurecht, als es sich machen läßt, haben einen angenehmen Freundeskreis und auch die academica geben mir einen, wenn auch beschränkten, so doch nicht unerfreulichen Wirkungskreis. Befriedigen kann mich diese Thätigkeit freilich nicht, wie es überhaupt die academische nie ganz thun wird; aber deswegen eben schriftstellere ich. Meiner Neigung, und ich glaube auch meinen Fähigkeiten würde freilich die unmittelbare Theilnahme an einem tüchtigen Staatsleben mehr entsprechen; allein wie sich die Sachen jetzt bei uns gestalten, werde ich darauf, wenigstens vorläufig ganz verzichten. Man hilft sich mit Halbheiten und Künsteleien über die nächsten Schwierigkeiten weg, und hat weder den Muth noch den guten Willen, dem nach einer freien, nationalen Gestaltung ringenden Volksgeiste leitend und fördernd seine Bahn zu eröffnen; so mag es denn gehen, wie es muß, und liegen, bis es bricht. Ich werde mich nicht dazu hergeben, einem solchen Wesen meine Kräfte zu opfern, und bin entschloßen, wieder unmittelbar, wie früher | nur den gemein Deutschen Gesichtspunct fest zu halten. Für meine Zukunft wird viel davon abhängen, wie mein Buch nun in Berlin aufgenommen wird, erkennt man es an, und stellt mich zur guten Prosa, so werde ich bald nach Berlin kommen, und mir dort meine Stellung zu bereiten wißen; verleugnet man es aber, und legt mich zu den bloß tolerirten Persönlichkeiten, so daß mir der möglichst enge Wirkungskreis angewiesen wird, mit andern Worten: soll ich in Greifswald meine letzten Jahre verkümmern, so wende ich Preußen wieder den Rücken, und sehe mich nach einem andern Platze um, der mir mehr Reize des Aufenthalts und mehr unmittelbare Berührungspuncte mit dem Deutschen Leben gewährt. Wie es nun aber kommen wird, darüber habe ich kein bestimmtes Urtheil; ich glaube aber, daß mir auch diesmal Alles zum Guten ausschlägt, theils weil ich überhaupt Glück habe, theils wegen der persönlichen Gunst, welche der Minister Eichhorn und andere einflußreiche Männer mir entschieden zugewandt haben. Komme es aber, wie es wolle; ich bin mir über das, was ich bin und was ich will, im Klaren, und freue mich, daß ich sobald Gelegenheit erhielte, dieß Greifswalder Provisorium zu einer bestimmten Entscheidung zu bringen. Ende Juli wird der Druck meines Buchs wohl ferig seyn, und das, hoffe ich, wird doch jedem daraus klar werden, was man auch sonst darüber denken mag, daß ich hier nicht an meinem Platze bin. Eigentlich freue ich mich sehr darauf, wie meine Juristen das Ding anglotzen werden. Einige denke ich fallen mir bei; denn ich verwerfe die Jurisprudenz ja nicht, sondern will sie nur im nationalen und wißenschaftlichen Sinn veredelt wißen; die Meisten werden nicht wißen, wie sie mit mir daran sind, und vorsichtig schweigen; Einige aber werden sich mit Eifer dagegen erheben, und mit diesen beginne ich dann einen Kampf auf Leben und Tod. Ich gehe | zu dem Ende mit dem Gedanken um, mir eine Zeitschrift in zwanglosen Heften zu begründen, um frei über meine Waffen gebieten zu können. Doch ist dieß nur erst ein ganz allgemeiner Plan, von dem Du daher auch nichts verlauten läßt.2 – So lebe ich dann still und heiter in unbefangener Geselligkeit hier, und brüte zugleich, wie Du siehst, über ganz verwegene Projecte; ich gehe dabei meinen eigenen Weg, ohne mit Andern mich zu berathen und auf fremde Hülfe zu bauen. Denn hier finde ich kein förderndes Verständniß, und in die Ferne hin läßt sich über solche Sachen nicht viel correspondiren. Die Hauptsache bleibt immer: ob ich dem gegenwärtigen Bedürfniß der Nation ein verständliches Organ werde, und ihrem allgemeinen Entwicklungsgange gemäß handle. Dann wird die Frucht meiner Besprechungen nicht ausbleiben, wenn ich auch nur der Johannes3 eines glücklichen und begabten Mannes seyn soll. Habe ich aber phantastisch mein Ziel verfehlt, und bin ich dem Wunderlichen und Bizarren verfallen, so geschieht mir ganz recht, wenn ich mich blamire: doch glaube ich, das Einfach-Wahre getre…4 haben.
Wir hier im Hause sind frisch und munter; meine Schwester5 bleibt bis Mitte nächsten Monats; dann löst meine Schwiegermutter sie ab, um Emilie aus den Wehen zu pflegen. Die Kinder6 sind prächtig, und machen uns laufend Freuden. Baumstark hat den Ruf nach Erlangen abgelehnt, und ist provisorisch Director in Eldena.7 geworden, behält aber seine Stellung an der Universität bei. – Grüße die Rostocker Freunde, besonders die Familie, und Röper, Thölperge!perge!. – Was macht Wunderlich? ist er verheirathet? – Zu Deinen Archiv-Plänen wünsche ich glücklichen Erfolg: Deine Lage würde sich dadurch ja sehr verbeßern. Emilie und meine Schwester grüßen freundlichst; schreibe bald und recht ausführlich auch über die Personalien; ich höre wenig davon.
Dein GeorgBeseler
1Gemeint ist hier die 1843 in Leipzig erschienene Publikation Georg Beselers (1809-1888) „Volksrecht und Juristenrecht“, mit der er sich von liberal-germanistischer Position aus gegen Saviginy und die konservative, historische Rechtsschule nach römischem Vorbild wandte. 2Vgl. dazu Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, die 1839 von dem Württembergischen Staats- und Privatrechtler, Politiker und Rechtsanwalt Ludwig Reyscher (1802-1880), vgl. DB , und dem Rechtshistoriker Wilhelm Wilda (1800-1856), vgl. DB , gegründet worden war und in deren Redaktion Beseler in seiner Greifswalder Zeit eintrat. 3Hier zu verstehen im Sinne von: Diener. 4Fragmentarische Stelle durch Papierverlust, unleserlich. 5Georg Beseler hatte fünf Geschwister, darunter die Schwestern Katharine (verheiratet auf Pellworm), Julie und schließlich Sophie Beseler als jüngste der drei Schwestern (nur ein Jahr älter als Georg Beseler), die jung verstarb. Vgl. dazu
Kern, Beseler, S. 13 f., sowie
Beseler, Erlebtes und Erstrebtes, S. 2 f.6Dies bezieht sich auf die beiden noch in Rostock geborenen Kinder Sophie (1840) und Max Beseler (1841); in Greifswald wurde 1843 Tochter Anna geboren; ebenfalls in Greifswald kamen noch die beiden weiteren Töchter Marie (1845) und Elisabeth (1847) zur Welt, genauso wie der zweite Sohn Hans (1850). Vgl. dazu
Kern, Beseler, S. 65 und S. 74. 7Eduard Baumstark (1807-1889), Staats- und Kameralwissenschaftler, wurde 1843 mit der Leitung der Staats- und Landwirtschaftlichen Akademie Eldena bei Greifswald betraut, die er bis zu ihrer Schließung 1876 innehatte. Vgl. dazu DB .
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
GreifswaldUniversitäts- und Hansestadt an der Ostsee gelegen im westlichen Pommern. Infolge des Wiener Kongresses war die Stadt Greifswald, die 1250 das Stadtrecht erhalten hatte und seit 1456 über eine Universität verfügte, 1815 an Preußen gefallen.
Privatbesitz
.
Privatbesitz1000
Kern
, Bernd-Rüdiger: Georg Beseler. Leben und Werk, Berlin 1982.
Kern
, Beseler.
1982
Beseler
, Georg: Erlebtes und Erstrebtes, Berlin 1884.
Beseler
, Erlebtes und Erstrebtes
1884
Baum, WilhelmWilhelm Baum11608799417991883Baum, Wilhelm (1799–1883), im westpreußischen Elbing geborener Mediziner, der nach seinem Studium an den Universitäten Königsberg, Göttingen und Berlin Oberarzt in Danzig wurde und dort vor allem bei der Bekämpfung der Cholera hervortrat. Von 1842 bis 1848 war er ordentlicher Professor an der Universität Greifswald, deren Rektor er auch war, und von 1849 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1876 an der Universität Göttingen.
Ackermann, FriedrichFriedrich Ackermann11575594217991866Ackermann, Friedrich (1799–1866), war Jurist und Politiker. Er wurde 1837 Richter am für beide Mecklenburgischen Großherzogtümer zuständigen Oberappellationsgericht in Parchim, das 1840 nach Rostock verlegt wurde, Ende der 1840er Jahre dessen Vizepräsident und war 1848 Mitglied der Mecklenburgischen Abgeordnetenversammlung; er wurde 1851 in den Ruhestand versetzt. Seit Karl Hegels Berufung nach Rostock gehörte er gleich zu Beginn zu dessen Bekannten- und Kollegenkreis. Zu ihm notierte Karl Hegel in seinem Gedenkbuch zum Jahr 1841: „der jugendlich angeregte u. für alle höheren Interessen begeisterte Oberappelationsrath Ackermann, der leider bald durch nervöse Reizbarkeit gelähmt dem geselligen Umgang und seinen Freunden sich versagen mußte“. Vgl. dazu
Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch
, S. 145 f. (Zitat)
, sowie
Neuhaus, Brautbriefe Karl Hegels an Susanna Maria von Tucher
, S. 92 f. (auch Anmerkungsapparat)
.
Eichhorn, Johann Albrecht FriedrichJohann Albrecht Friedrich Eichhorn10433526217791856Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich (1779–1856), in Wertheim geborener Staatsmann, der von 1840 bis 1848 preußischer Staatsminister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten war; in Erfurt war er 1850 im Unionsparlament für das Königreich Preußen Mitglied des Staatenhauses und dessen Alterspräsident.
Beseler, KatharineKatharine Beseler-Beseler, Katharine, Schwester Georg Beselers.
Beseler, JulieJulie Beseler-Beseler, Julie (?), war die Schwester Georg Beselers.
Beseler, SophieSophie Beseler-um 1808Beseler, Sophie (* um 1808), Lieblings-Schwester des Juristen und Politikers Georg Beseler (1809–1888), die jung verstarb.
Rosenstiel, Charlotte Adelheid, verh. KarstenAdelaide Rosenstiel, verh. Karsten-17881861Rosenstiel, Charlotte Adelheid (1788–1861), Ehefrau des Mineralogen Karl Karsten (1782–1853), war die Tochter des preußischen Staatsbeamten und Direktors einer Berliner Porzellanmanufaktur, Friedrich Philipp Rosenstiel (1754–1832), und der Elisabeth Decker, Erbin des Oberhofdruckers und Verlegers Georg Jakob Decker († 1799).
Beseler, Sophie Adelaide, verh. HelfritzSophie Adelaide Beseler, verh. Helfritz-18401921Beseler, Sophie Adelaide (1840–1921), Tochter Georg Beselers (1809–1888) und Emilie Beselers (1816–1900), geb. Karsten, später verheiratet mit Hugo Arthur Richard Helfritz (1827–1896), dem preußischen Politiker und Bürgermeister von Greifswald, war die Mutter des zuletzt an der Universität Erlangen wirkenden Rechtswissenschaftlers Hans Helfritz (1877–1958).
Baumstark, EduardEduard Baumstark11609252118071889Baumstark, Eduard (1807–1889), war Staats- und Kameralwissenschaftler, im badischen Sinzheim geboren, gestorben in Greifswald, war er ein Bruder des Altphilologen Anton Baumstark (1800–1876); 1838 ging er als außerordentlicher Professor nach Greifswald, wo er 1842 ordentlicher Professor für Staats- und Kameralwissenschaften wurde; 1843 erhielt er die Leitung der Staats- und Landwirtschaftlichen Akademie Eldena bei Greifswald, die er bis zu ihrer Schließung 1876 innehatte.
Röper (Roeper), Johannes August ChristianJohannes Roeper11658384318011885Röper (Roeper), Johannes August Christian (1801–1885), in Doberan geborener Mediziner und Botaniker, der von 1816 bis 1823 an den Universitäten Rostock, Berlin und Göttingen studierte und im Jahre 1823 in Göttingen promoviert wurde. 1826 wurde er außerordentlicher Professor an der Universität Basel und war dort von 1829 bis 1836 Ordinarius. Anschließend war er bis 1885 ordentlicher Professor der Naturgeschichte und Botanik an der Universität Rostock sowie Direktor des Botanischen Gartens, dazu viermal Rektor und von 1846 bis 1880 Direktor der Universitätsbibliothek.
Thöl, Johann HeinrichJohann Heinrich Thöl11875716418071884Thöl, Johann Heinrich (1807–1884), in Lübeck geborener Rechtswissenschaftler, der von 1826 bis 1829 an den Universitäten Leipzig und Heidelberg studierte, 1829 promoviert wurde und sich 1830 habilitierte. Von 1842 bis 1849 war er ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Rostock, dann bis zu seinem Tode an der Universität Göttingen. In den Jahren 1848/49 war er Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung.
Wunderlich, Agathon Gottlob Friedrich WalterAgathon Gottlob Friedrich Walter Wunderlich11735444918101878Wunderlich, Agathon Gottlob Friedrich Walter (1810–1878), in Göttingen geborener Sohn des Klassischen Philologen Ernst Karl Friedrich Wunderlich (1783–1816) und Bruder des preußischen Konsistorialpräsidenten Oskar Wunderlich († 1882). Er war von 1842 bis 1847 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Rostock, vorher vier Jahre an der Universität Basel und ab 1847 an der Universität Halle, bevor er 1850 Richter am gemeinschaftlichen Oberappellationsgericht der vier Freien Städte des Deutschen Bundes in Lübeck wurde.
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Preußen, Prusse Königreich Preußen (französisch: Prusse), auch Ostpreußen als östlichste Provinz des Königreichs.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Eldena (Greifswald)54.0882319,13.4467077Ort bei Greifswald, seit 1939 durch Eingemeindung Stadtteil von Greifswald, der auf das im ausgehenden 12. Jahrhundert gegründete Zisterzienser-Kloster Eldena (Hilda) zurückgeht und in dem 1835 eine „Königliche Staats- und landwirtschaftliche Akademie“ gegründet wurde, welche bis 1876 Bestand hatte.
Volksrecht und Juristenrecht (1843)Publikation des Juristen Georg Beseler (1809-1888) aus dem Jahr 1843 erschienen in der „Weidmann’schen“ Buchhandlung in Leipzig.
DekanatVerwaltung einer Fakultät oder eines Fachbereichs, welchem der Dekan vorstand.
Perge! Perge!/perge! perge!/perge perge (Abkürzung: P.P., pp. et al.)Fahre fort!, sowie als Abkürzung im Sinne von „et cetera pp.“ für: und so weiter, und so weiter.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis