In dem Augenblicke, da ich hier schreibe, wird die Mutter in Berlin wahrscheinlich beim alten Goßner in der Freude des Wiedersehens schwelgen. Am Sonnabend Morgen erhielt ich von ihr einen Brief mit der Nachricht, daß sie an demselben Tage in Halle eintreffen würde. Ich machte mich alsbald per Eisenbahn dahin auf und traf sie am gedeckten Tisch bei Tholucks. Sie sieht recht wohl wieder aus, hat runde Bäckchen, klare Augen und Ruhe in ihrem Wesen, so daß sie mir gesünder und frischer erschien, wie jemals. Die Reise hatte sie ohne Belästigung, theilweise in Gesellschaft von Döderlein, der nach Pforta zum Jubelfest reiste, gemacht. Wie ich ihr heiteres freundliches Gesicht sah, erkannte ich allerdings noch mehr, daß das Bild von Affinger viel zu scharf, ernst und energisch aufgefaßt ist. Dies haben die Nürnberger verschuldet, indem sie den ersten Entwurf zu geschmeichelt fanden und dem Künstler aufgaben, dasselbe treuer nach der Natur zu überarbeiten.
Die kleine Tholuk, welche auch wohler aussah, erschien mir in ihrem Hause außerordentlich liebenswürdig; | sie ist in der That ein seltenes Wesen; wir logirten beide in ihrem Hause. Tholuck ließ sich dabei in seiner Ordnung und Lebensweise nicht stören und war daher nur Mittags und Abends sichtbar. Zu ihm bleibt bei der großenVerschiedenheit der Standpunkte und des Berufs das Verhältniß immer kühl und förmlich, obwohl ich mich über Aufmerksamkeit in keiner Weise zu beklagen habe. Am Sonntag Morgen hörten wir ihn predigen; in Vortrag und Sprache blieb die Predigt hinter meiner Erwartung zurück, auch zeichnete sich die Predigt nicht durch Reichthum der Bilder und lebendige Anschauung aus: sie war fast dogmatisch, aber im Gehalt klar und scharf entwickelt und gut durchgeführt. Vormittags machte ich noch Besuche bei Hermann, Dunker, welcher in dieser Woche Hochzeit hält, Schaller und Leo. Schaller hat mir recht wohl gefallen, ein verständiger behaglicher Mann. Tea überraschte mich, da ich mir von ihm ein ganz anderes Bild gemacht hatte; wir fanden in Statur, Augen, Bewegung viel Aehnlichkeit mit Gottlieb. Zu Mittags aßen wir in dem Sommerhause, welches sich die kleine Tholuck reizend eingerichtet hat; als Gäste | waren noch anwesend Herr Tauchnitz, der recht das Ansehen eines Stillen im Lande, um nicht zu sagen, Mucker, hat, und Oberpostdirektor Göschel, ein lieber Mann, in seiner Persönlichkeit viel einfacher, natürlicher, als der Berliner Göschel, den man übrigens aber als seinen Bruder ohne den Namen zu nennen erkennen kann. Nach Tisch machten wir einen schöne Ausfahrt nach Giebichenstein; ich hatte eine so freundliche Umgebung bei Halle nicht erwartet. In einem schönen öffentlichen Garten trafen wir mit mehreren Freunden Tholucks, auch Leo … Engländer (…) und ein Herr Assessor von Berlin aus dem Geistlichen
Ministerium zusammen. Ich erstaunte über die Welt von politischen und kirchlichen Vorstellungen, in welchen diese Menschen leben. Damit konnte ich mich nicht gut befreunden und nachdem ich einige Mal sehr abgefahren war, schwieg ich still.
Am Montag Morgen fuhr ich mit der Mutter ab; ich begleitete sie bis Coethen und blieb bei ihr bis zur Abfahrt nach Berlin: in ihrem Coupe saß auch Professor
Goeschen aus Berlin, welcher schon wieder von Pforta zurückkehrte.
Ich bin überhäuft mit Arbeiten und weiß nicht, wie ich durchkomme; ich hoffe auf baldige Erleichterung. Maclean ist nach Berlin gereist, wo sich seine Familie noch aufhält, weil sein kleiner Lauchlan, ein prächtiger Junge von 2 Jahren schwer erkrankt ist; es würde ein sehr harter | Schlag sein, wenn sie ihn verlieren sollten. –
Grüße Wunderlich und die anderen Freunde; wir werden uns nun in der Regel durch die Ver- | mittlung der Mutter schreiben. – Lebe recht wohl, lieber Karl,
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Magdeburg52.1315889,11.6399609Hauptstadt der preußischen Provinz Sachsen an der Elbe und Sitz des Regierungspräsidiums Magdeburg, etwa 150 Kilometer westlich von Berlin gelegen.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Goßner, Johannes Evangelista11854089017731858Goßner, Johannes Evangelista (1773–1858), in Schwaben geborener Theologe, der als katholischer Priester zur evangelischen Lehre konvertierte und Pfarrer wurde. Von 1829 bis 1846 war er Prediger an der Berliner Bethlehemskirche und wandte sich im ganzheitlichen Sinne der Mission zu. Die Goßnersche Missionsgesellschaft (Berliner Missionswerk) und das Berliner Elisabeth-Kinder-Hospital (Elisabeth-Krankenhaus) wurden von ihm u. a. gegründet.
Tholuck, Mathilde, geb. Gemmingen-Steinegg
Mathilde Tholuck, geb. Gemmingen11734367618161894 Tholuck, Mathilde, geb. Gemmingen-Steinegg (1816–1894), zweite Ehefrau des Hallenser Theologie-Professors Friedrich August Traugott (Gotttreu) Tholuck (1799–1877) und Schwester Thekla Therese Eleonore Tuchers (1813–1901).
Tholuck, Friedrich August Traugott (Gotttreu)August Tholuck11875719917991877Tholuck, Friedrich August Traugott (Gotttreu) (1799–1877), evangelischer Theologe und Vertreter des Pietismus, von 1825 bis 1876 ordentlicher Professor der evangelischen Theologie an der Universität Halle.
Afinger, Bernhard11600944618131882Afinger, Bernhard (1813–1882), aus Nürnberg stammender Bildhauer, der ab 1840 als Schüler Christian Daniel Rauchs (1777–1857) in Berlin wirkte.
Hermann, Karl Samuel Leberecht11752006317651846 Hermann, Karl Samuel Leberecht (1765–1846), war ein in Königerode im Harz geborener Apotheker und Chemiefabrikant, der Kalium- und Magnesiumsalze sowie Salzsäure und Soda herstellte. Er gehörte zudem zu den Entdeckern des chemischen Elements Cadmium (Cd).
Duncker, Maximilian Wolfgang11868123018111886Duncker, Maximilian Wolfgang (1811–1886), Historiker, Politiker und Journalist, war von 1842 bis 1857 außerordentlicher Professor für Geschichte an der Universität Halle und von 1857 bis 1859 ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Tübingen, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, in Erfurt 1850 Mitglied des Volkshauses des Unionsparlaments für die preußische Provinz Sachsen; von 1859 bis 1866 war er Ministerialbeamter im Preußischen Staatsministerium in Berlin, von 1867 bis 1874 Direktor des Preußischen Staatsarchivs.
Schaller, Julius11710262818101868Schaller, Julius (1810–1868), 1838 außerordentlicher, 1861 ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Halle.
Leo, HeinrichHeinrich Leo17991878Leo, Heinrich (1799–1878), in Rudolstadt geborener Politiker und Historiker, bis 1827 außerordentlicher Professor für Geschichte an der Berliner Universität, von 1830 an ordentlicher Professor an der Universität Halle.
Tauchnitz, Christian Bernhard11724739118161895Tauchnitz, Christian Bernhard (1816–1895), auf dem Rittergut Schleinitz bei Naumburg geborener Buchdrucker, Buchhändler und Verleger, der nach seiner Lehrzeit in seines Onkels Carl Christoph Traugott Tauchnitz (1761–1836) Leipziger Buchdruckerei und Verlag eintrat und im Jahr 1837 sein eigenes Unternehmen gründete, in dem er ab 1841 sehr erfolgreich preiswerte Ausgaben englischer und amerikanischer Bücher produzierte, die die Anfänge des modernen Taschenbuchs bildeten. 1866 wurde er britischer Generalkonsul für das Königreich Sachsen und die benachbarten kleineren Monarchien Mitteldeutschlands.
Göschel, Johann Karl-1786nach 1850Göschel, Johann Karl (1786- nach 1850), Bruder Karl Friedrich Göschels (1784–1861), wurde 1811 Königlich-Sächsischer Postmeister in Langensalza, 1826 Postdirektor, als welcher er 1835 nach Halle wechselt und dort 1839 Oberpostdirektor wurde.
Göschel, Karl Friedrich11889232017841861Göschel, Karl Friedrich (1784–1861), Bruder Johann Karl Göschels (1786- nach 1850), preußischer Kirchenjurist sowie philosophischer und theologischer Schriftsteller, Präsident des Konsistoriums der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg.
Göschen, OttoOtto Göschen11673197418081865Göschen, Otto (1808–1865), Sohn des Göttinger Juristen Johann Friedrich Ludwig Göschen (1778–1837), wurde nach seinem Studium an der Universität Göttingen, dortiger Promotion 1832 und Habilitation 1833 an der Universität Berlin im Jahre 1839 außerordentlicher Professor der Rechtswissenschaft. 1844 wechselte er als ordentlicher Professor an die Universität Halle; er war verheiratet mit Anna Eichhorn, einer Tochter des preußischen Kultusministers Johann Albrecht Friedrich Eichhorn (1779–1856).
MacLean, Lauchlan (II.)110744449718051879MacLean, Lauchlan (II.) (1805–1879), in Danzig geborener preußischer Verwaltungs- und Ministerialbeamter sowie von 1850 bis 1855 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses. Nach seinem Abitur an der Fürstenschule Schulpforta studierte er ab 1823 Philosophie und Rechtswissenschaften an der Universität Göttingen, wurde 1835 Regierungsassessor in Posen, 1836 Regierungsrat in Erfurt, 1843 Hilfsarbeiter im Preußischen Staatsrat und brachte es von 1844 an im preußischen Handelministerium bis zum Regierungsdirektor. Er war mit Auguste Emilie MacLean, geb. Guenther (1813–1848), verheiratet.
Wunderlich, Agathon Gottlob Friedrich WalterAgathon Gottlob Friedrich Walter Wunderlich11735444918101878Wunderlich, Agathon Gottlob Friedrich Walter (1810–1878), in Göttingen geborener Sohn des Klassischen Philologen Ernst Karl Friedrich Wunderlich (1783–1816) und Bruder des preußischen Konsistorialpräsidenten Oskar Wunderlich († 1882). Er war von 1842 bis 1847 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Rostock, vorher vier Jahre an der Universität Basel und ab 1847 an der Universität Halle, bevor er 1850 Richter am gemeinschaftlichen Oberappellationsgericht der vier Freien Städte des Deutschen Bundes in Lübeck wurde.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Halle51.4825041,11.9705452Universitätsstadt an der Saale, nordwestlich von Leipzig gelegen, 1680-1701 kurbrandenburgisch, dann Stadt des Königreiches Preußen.
Schulpforta (Schulpforte)51.1418502,11.7494455Zwischen Kösen und dem fünf Kilometer ostwärts gelegenen Naumburg an der Saale gelegenes Zisterzienser-Kloster aus dem 12. Jahrhundert, in dem Herzog (ab 1547 Kurfürst) Moritz von Sachsen (1521-1553) im Jahre 1543 eine von drei sächsischen Fürstenschulen gründete, das Internatsgymnasium Pforta.
Giebichenstein51.5004473,11.9577577Etwa drei Kilometer nördlich von Halle gelegener, nach der dortigen Burg benannter Ort, am Ostufer der Saale gelegen, der im Jahre 1900 in die Stadt Halle eingemeindet wurde.
Köthen51.751033,11.973698Etwa 30 Kilometer nördlich von Halle und etwa 50 Kilometer südlich von Magdeburg gelegene Residenzstadt des askanischen Fürstenhauses Anhalt-Köthen.
Ministerium (Berlin)(Preußisches) Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten.