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Karl Hegel an Friedrich Christoph Dahlmann, Rostock, 12. Juni 1843

Hochverehrter, theuerster Mann!

Ich will den lebensfrohen Oskar Wunderlich nicht von der Küste der Ostsee in das schöne Rheinland ziehen lassen, ohne ihm ein kleines Erinnerungszeichen für Sie mitzugeben, dessen Geringfügigkeit mein guter Wille entschuldigen mag. Es ist indessen in unsren Zeiten so mißlich, sich und Andre mit guten Absichten und Vorsätzen hinzuhalten und ich habe mir selbst in dieser Beziehung schon so sehr genug gethan, daß ich mich Ihnen, dem Manne der That, kaum wieder nähern möchte, ohne Ihnen etwas Geleistetes darzubringen, bei dem ich mir denken könnte: Siehe, da bin ich, so wie ich eben bin!

Ich muß mich übrigens gegen Sie und Ihre hochverehrte Frau Gemahlin einer recht strafbaren Saumseligkeit anklagen, daß ich es noch unterlassen habe, Ihnen für die herzliche und gastliche Aufnahme, die ich im vorigen Jahre in Ihrem Hause zu Jena gefunden, meinen innigsten Dank zu sagen. Es war eine kleine Verlegenheit dabei mit im Spiel, um es aufrichtig zu gestehen, über den Schabernack, den mir irgend ein unholder und ganz boshafter, im unseligen corpus juris versteckter, Geist zugefügt hatte. Meine Beschämung nahm zu, als ich erfuhr, daß das traurige corpus delicti trotz meines Deprecirens in Berlin angekommen sei. Für den Spott meines Bruders hatte ich da nicht zu sorgen, denn er wurde reichlich gespendet; aber ich hatte den stillen Trost, daß der unwürdige Rest der Umhüllung meiner Hülle, verbessert durch einige fromme Tractätlein, die meine gute Mutter hinein gesteckt, doch vielleicht nicht einem unglücklichen, abgebrannten Hamburger zu gute gekommen ist; und wenn ich dem armen Mann in diesem Sommer in Hamburg, etwa auf der Straße, begegnen sollte, so würde ich eilen, ihm zu sagen, daß er nur der Frau Hofräthin Dahlmann für dies Geschenk dankbar sein dürfe.

Doch ich wende mich mit Vergnügen von dieser fatalen Geschichte weg, um Sie zu versichern, daß mir von jenen Tagen, die ich in Ihrem Haus zuzubringen das Glück hatte, ein schöner und erhebender Eindruck zurückgeblieben ist, dessen Nachwirkung ich noch jetzt empfinde. Denn ich fühlte mich ebenso gereinigt und angeregt im Streben nach einem edlen Vorbild, welches ich mit ganzer Liebe umfaßte, als gestärkt im Glauben an das Gute, das wirklich vorhanden, aber durch unwankende Festigkeit und nie ablassenden Muth zu bethätigen ist. Und die Erfahrung hat seitdem gezeigt, daß unsre Zeiten, wie viel Kleinliches auch obenauf schwimmen mag, doch nicht so schlimm sind, daß der vaterländisch gesinnte Mann ihnen nur zum Opfer werden müßte, damit seinen That erst Frucht bringe in der fernen Zukunft. Unaussprechlich war meine Freude, als Sie der Gegenwart und einer Wirksamkeit zurückgegeben wurden, die Ihrer ganz würdig und dem Vaterlande hoch ersprießlich ist. Alle meine besten Wünsche für Preußens und Deutschlands Ehre, für das Wohl der Ihrigen und für Sie selbst, den schwer gekränkten, doch ausharrenden, Mann erhielten in diesem Ereigniß eine kaum gehoffte Erfüllung und es schien mir wie eine Morgenröthe aufzugehn, welche den schöneren Tag Deutschlands verkündigte. Wie gern wäre ich zu Ihnen geeilt, um mich unter die Zahl ihrer Zuhörer zu stellen! Mein Wirkungskreis an der hiesigen Universität ist zu klein und zu unbedeutend, als daß er mich ausfüllen und auf lange Zeit fesseln könnte. Überdies fehlt es mir hier, zwar nicht an einem sehr angenehmen gefälligen Verkehr, aber, seit Beseler fortgegangen ist, an einer anregenden Mittheilung über politische Interessen und historische Studien, da man hier für diese Dinge, so weit sie nicht etwa Mecklenburg selbst angehn, im Ganzen wenig empfänglich ist. An der Universität erdrückt die Herrschaft der Jurisprudenz und das durch Examina sehr gequälte Brodstudium mehr oder weniger eine Wirksamkeit, die sich nur die allgemeine Ausbildung des Menschen zum Zwecke setzt, und der bei dem Mecklenburger stark ausgesprochne, in sich selbst glückliche Provinzialisten so wie sein Hang zum bequemen Wohlleben sind weitre mächtige Schranken, die einer solchen entgegenstehn und die zu überwältigen ich wenigstens nicht die Kraft oder das Talent zu besitzen glaube.

Mit Thöl, der nach Wunderlichs Verheirathung mein einziger Tischgenosse ist, gedenke ich Ihrer, Ihrer lieben Frau und Angehörigen, oft mit einer Anhänglichkeit, welche Ihnen Zeugniß geben könnte von der Verehrung und Liebe, in welcher wir Beide Ihnen und Ihrer theuren Familie immer verbunden sind und mit deren Versicherung ich mich Ihrem allerseitigen Andenken fernerhin empfehlen will.

als Ihr durchaus treu ergebener
Carl Hegel.