Ich will den lebensfrohen Oskar Wunderlich nicht von der Küste der Ostsee in das schöne Rheinland ziehen lassen, ohne ihm ein kleines Erinnerungszeichen für Sie mitzugeben, dessen Geringfügigkeit mein guter Wille entschuldigen mag. Es ist indessen in unsren Zeiten so mißlich, sich und Andre mit guten Absichten und Vorsätzen hinzuhalten und ich habe mir selbst in dieser Beziehung schon so sehr genug gethan, daß ich mich Ihnen, dem Manne der That, kaum wieder nähern möchte, ohne Ihnen etwas Geleistetes darzubringen, bei dem ich mir denken könnte: Siehe, da bin ich, so wie ich eben bin!
Ich muß mich übrigens gegen Sie und Ihre hochverehrte Frau Gemahlin einer recht strafbaren Saumseligkeit anklagen, daß ich es noch unterlassen habe, Ihnen für die herzliche und gastliche Aufnahme, die ich im vorigen Jahre in Ihrem Hause zu Jena gefunden, meinen innigsten Dank zu sagen. Es war eine kleine Verlegenheit dabei mit im Spiel, um es aufrichtig zu gestehen, über den Schabernack, den mir irgend ein unholder und ganz boshafter, im unseligen corpus juris versteckter, Geist zugefügt hatte. Meine Beschämung nahm zu, als ich erfuhr, daß das traurige corpus delicti trotz meines Deprecirens in Berlin angekommen sei. Für den Spott meines Bruders hatte ich da nicht zu sorgen, denn er wurde reichlich | gespendet; aber ich hatte den stillen Trost, daß der unwürdige Rest der Umhüllung meiner Hülle, verbessert durch einige fromme Tractätlein, die meine gute Mutter hinein gesteckt, doch vielleicht nicht einem unglücklichen, abgebrannten Hamburger zu gute gekommen ist; und wenn ich dem armen Mann in diesem Sommer in Hamburg, etwa auf der Straße, begegnen sollte, so würde ich eilen, ihm zu sagen, daß er nur der Frau Hofräthin Dahlmann für dies Geschenk dankbar sein dürfe.
Doch ich wende mich mit Vergnügen von dieser fatalen Geschichte weg, um Sie zu versichern, daß mir von jenen Tagen, die ich in Ihrem Haus zuzubringen das Glück hatte, ein schöner und erhebender Eindruck zurückgeblieben ist, dessen Nachwirkung ich noch jetzt empfinde. Denn ich fühlte mich ebenso gereinigt und angeregt im Streben nach einem edlen Vorbild, welches ich mit ganzer Liebe umfaßte, als gestärkt im Glauben an das Gute, das wirklich vorhanden, aber durch unwankende Festigkeit und nie ablassenden Muth zu bethätigen ist. Und die Erfahrung hat seitdem gezeigt, daß unsre Zeiten, wie viel Kleinliches auch obenauf schwimmen mag, doch nicht so schlimm sind, daß der vaterländisch gesinnte Mann ihnen nur zum Opfer werden müßte, damit seinen That erst Frucht bringe in der fernen Zukunft. Unaussprechlich war meine Freude, als Sie der Gegenwart und einer Wirksamkeit zurückgegeben wurden, die Ihrer ganz würdig und dem Vaterlande hoch ersprießlich ist. Alle meine besten Wünsche für Preußens und Deutschlands Ehre, für das Wohl der Ihrigen und für Sie selbst, den schwer gekränkten, doch ausharrenden, Mann erhielten in diesem Ereigniß eine kaum gehoffte Erfüllung und es schien mir wie eine Morgenröthe aufzugehn, welche den schöneren Tag Deutschlands verkündigte. Wie gern wäre ich zu Ihnen geeilt, um mich unter die Zahl ihrer Zuhörer zu stellen! Mein Wirkungskreis an der hiesigen Universität ist zu klein und zu unbedeutend, als daß er mich ausfüllen und auf lange Zeit fesseln könnte. Überdies fehlt es mir hier, zwar nicht an einem sehr angenehmen gefälligen Verkehr, aber, seit Beseler fortgegangen ist, an einer anregenden Mittheilung über politische Interessen und historische Studien, da man hier für diese Dinge, so weit sie nicht etwa Mecklenburg selbst angehn, im Ganzen wenig empfänglich ist. An der Universität erdrückt die Herrschaft der Jurisprudenz und das durch Examina sehr gequälte Brodstudium mehr oder weniger eine Wirksamkeit, die sich nur die allgemeine Ausbildung des Menschen zum Zwecke setzt, und der bei dem Mecklenburger stark ausgesprochne, in sich selbst glückliche Provinzialisten so wie sein Hang zum bequemen Wohlleben sind weitre mächtige Schranken, die einer solchen entgegenstehn und die zu überwältigen ich wenigstens nicht die Kraft oder das Talent zu besitzen glaube.
Mit Thöl, der nach Wunderlichs Verheirathung mein einziger Tischgenosse ist, gedenke ich Ihrer, Ihrer lieben Frau und Angehörigen, oft mit einer Anhänglichkeit, welche Ihnen Zeugniß geben könnte von der Verehrung und Liebe, in welcher wir Beide Ihnen und Ihrer theuren Familie immer verbunden sind und mit deren Versicherung ich mich Ihrem allerseitigen Andenken fernerhin empfehlen will.
als Ihr durchaus treu ergebener Carl Hegel.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Dahlmann, Friedrich ChristophFriedrich Christoph Dahlmann11852336817851860Dahlmann, Friedrich Christoph (1785–1860), Politiker und Historiker, war von 1842 bis 1860 ordentlicher Professor für Deutsche Geschichte und Staatswissenschaften an der Universität Bonn, 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, 1850 Mitglied des Staatenhauses für das Königreich Preußen im Erfurter Unionsparlament.
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (StBPK), Berlin
NL Hegel 15, Fasz. IV, 3.
SBPK Berlin1000
Wunderlich, Oskar-1882Wunderlich, Oskar († 1882), Bruder des Juristen Agathon Wunderlich (1810–1878), späterer Konsistorialpräsident.
Horn, Wilhelmine Albertine Luise (Louise), verh. DahlmannLuise Horn, verh. Dahlmann11601453918001856Horn, Wilhelmine Albertine Luise (Louise) (1800–1856), war die zweite Ehefrau des Historikers und Politikers Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860), Tochter des dänischen Oberstleutnants Friedrich Bogislaus von Horn und der Sophie Georgine Luise Warnstedt sowie Stiefmutter von Dorothea Dahlmann (1822–1847) aus Dahlmanns erster Ehe mit Julie Dahlmann, geb. Hegewisch (1795–1826).
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Tucher, Maria Helena Susanna, verh. HegelMaria Helena Susanna Tucher, verh. HegelMutter Karl Hegels11657082217911855Tucher, Maria Helena Susanna (1791–1855), Ehefrau des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), Mutter Karl Hegels (1813–1901), Schwester Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871), des Vaters Susanna Maria Hegels (1812–1878), Onkels und Schwiegervaters Karl Hegels, Gründer der Tucher-Brauerei in Nürnberg. Siehe auch: Hegel, Maria Helena Susanna.
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Thöl, Johann HeinrichJohann Heinrich Thöl11875716418071884Thöl, Johann Heinrich (1807–1884), in Lübeck geborener Rechtswissenschaftler, der von 1826 bis 1829 an den Universitäten Leipzig und Heidelberg studierte, 1829 promoviert wurde und sich 1830 habilitierte. Von 1842 bis 1849 war er ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Rostock, dann bis zu seinem Tode an der Universität Göttingen. In den Jahren 1848/49 war er Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung.
Wunderlich, Agathon Gottlob Friedrich WalterAgathon Gottlob Friedrich Walter Wunderlich11735444918101878Wunderlich, Agathon Gottlob Friedrich Walter (1810–1878), in Göttingen geborener Sohn des Klassischen Philologen Ernst Karl Friedrich Wunderlich (1783–1816) und Bruder des preußischen Konsistorialpräsidenten Oskar Wunderlich († 1882). Er war von 1842 bis 1847 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Rostock, vorher vier Jahre an der Universität Basel und ab 1847 an der Universität Halle, bevor er 1850 Richter am gemeinschaftlichen Oberappellationsgericht der vier Freien Städte des Deutschen Bundes in Lübeck wurde.
BonnAuf eine römische Gründung zurückgehende alte kurfürstliche Residenzstadt am Rhein mit menschlichen Besiedlungsspuren, die ca. 14.000 Jahre zurückreichen, nach französischer Herrschaft ab 1815 eine Stadt des Königreiches Preußen, etwa 30 Kilometer nördöstllich von Köln gelegen.
OstseeDas auch „Baltisches Meer“ genannte Gewässer ist im Westen über Skagerrak und Kattegat mit dem Atlantischen Ozeans verbunden und erstreckt sich im Nordosten Europas zwischen Dänemark, Schweden, Finnland, Estland, Lettland, Litauen Rußland, Polen und Deutschland.
RheinlandKulturlandschaft am deutschen Mittel- und Niederrhein, die staatlich und von der entsprechenden Verwaltung her nicht genau abgrenzbar ist. Historisch wurde der Begriff erst im ausgehenden 18. Jahrhundert geprägt in Folge der Auseinandersetzungen mit dem revolutionären Frankreich unter Napoleon und im weiteren Verlauf nach dem Wiener Kongress von 1815, als die auf dem linken Rheinufer gelegenen Gebiete auf Bayern („Kurpfalz“), Hessen und Preußen verteilt wurden.
Jena50.9281717,11.5879359Residenz- und Universitätsstadt an der Saale, etwa 80 Kilometer südwestlich von Halle gelegen.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Hamburg53.550341,10.000654Alte Hanse- und Hafenstadt an der Elbe, etwa 100 Kilometer vor deren Mündung in die Nordsee.
Preußen, Prusse Königreich Preußen (französisch: Prusse), auch Ostpreußen als östlichste Provinz des Königreichs.
DeutschlandKulturgeschichtlich ist damit der Raum deutscher Nation und Sprache gemeint, wo „Teutschland“ im Laufe der Frühen Neuzeit eine Kurzbezeichnung für das „Heilige Römische Reich teutscher Nation“ wurde. Im 19. Jahrhundert wurde „Deutschland“ immer mehr zur inoffiziellen Bezeichnung für die deutschsprachigen Gebiete Mitteleuropas, zunächst das Gebiet des 1815 gegründeten Deutschen Bundes, dann des 1871 gegründeten Deutschen Reiches.
MecklenburgNeben dem Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin gab es das kleinere Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz.
Seiner/Se./Sr./S. / Hochwohlgeboren / WohlgeborenAnrede (in dritter Person) für ein Mitglied des niedrigen Adelsstandes („Hochwohlgeboren“) sowie im 19. Jahrhundert auch zunehmend Anrede für Honoratioren aus dem Bürgertum („Wohlgeboren“).
Hofrath, HofratFunktionstitel aus der Zeit des Heiligen Römischen Reiches, auch Amts- und Ehrentitel (z. B. im 19. Jahrhundert in bestimmten monarchischen Staaten).
Professor, ProfeßorBerufs- oder Amtsbezeichnung und Anrede für den Inhaber einer Professur an einer Universität oder Hochschule, wobei nicht jeder Professor eine Professur bekleidet; früher auch Bezeichnung für einen Gymnasiallehrer (Gymnasial-Professor) bzw. Lehrer an einer Lateinschule.
SaumseligkeitBummelei, Trödelei.
SchabernackAuf das Mittelhochdeutsche zurückgehender Begriff für: übermütiger Streich, Scherz, Spaß.
corpus jurisRechtssammlung.
corpus delicti (rei)Lateinische Wendung aus dem juristischen Sprachgebrauch für: Beweisstück einer Straftat vor Gericht (z. B. Tatwaffe etc.); im Zusatz mit „rei“ von „res“ in etwa: Beweisstück der Sache, Tat, Angelegenheit etc.
DeprecirenDeprezieren, Abbitte leisten, Abbitte tun, sich entschuldigen, abbitten, um Entschuldigung bitten.
Hofräthin, FrauEhrenvolle Anrede und Bezeichnung der Frau eines Hofrates.
vaterländischAuf das „Vaterland“ bezogen, ihm zuzuordnen, zu ihm gehörend etc.; im 19. Jahrhundert auch gebräuchlich für die politische Gesinnung derjeniger Menschen, die sich ein vereintes Deutschland im Sinne eines Bundesstaates wünschten.
VaterlandHeimatland, Geburtsland.
MorgenrötheMorgenröte, Morgenrot, Sonnenaufgang.
Universität RostockIm Jahre 1419 gegründet, war sie die erste Universität im Norden des Heiligen Römischen Reiches und die älteste im gesamten Ostseeraum.
HerrschaftSeit dem 13. Jahrhundert gebräuchlicher Begriff zur personengebundenen Bezeichnung der Herrenstellung sowohl über Sachen als auch Menschen, so dass dieser Begriff auch Eigentum und Gewalt umfasst sowie der Legitimation davon dient; im weitern Verlauf der Geschichte widerfuhr dem Begriff eine abstrahierende Theoretisierung, so dass dieser auch institutionalisierte Macht wie Staatsgewalt umschreibt, auch unter Neubildung alternativer Herrschaftsformen.
JurisprudenzRechtswissenschaft.
Brodstudium, BrotstudiumStudium zur Erlangung eines bodenständigen, sicheren bzw. als sicher angesehenen bzw. empfundenen Berufes.
ProvinzialistenEher pejorative Bezeichnung von Menschen, die in einer Provinz leben und/oder entsprechend provinziell (im Sinne von: von wenig geistig-kulturellem Interesse zeugend etc.) denken.
TischgenosseMännliche Person, mit der man für gewöhnlich regelmäßig das tägliche Mittagessen oder auch andere Mahlzeiten, zumeist in einem Gasthaus oder einer anderweitigen Lokalität, einnimmt.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis