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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 2. November 1843

Wir wollten Dir in der Freude unseres Herzens gleich nach Empfang Deines lieben Briefs2 schreiben. Die liebe Sybel wollte Dir auch schreiben, daß wir vergangenen Sontag zum Heiligen Abendmahl gingen, damit Du uns in Gedanken dahin begleiten möchtest – Aber Du weißt, je mehr ich auf dem Herzen habe, je weniger gehts durch die Feder. – Die liebe Freundin kam über ihren täglichen Missionsdienst im Kranken Haus auch nicht zum schreiben.

Mit welcher Theilnahme wir (über die langweiligen Hr v. M. und v. Sch. hinaus Du die Erledigung ihrer confessionellen Gewissens Fragen)3 den Bericht und die Vorschläge des trefflichen Wichern gelesen uns zu Herzen genommen haben, kannst Du Dir denken. Wie leid ist es mir, daß ich nicht mehr in Rostock war, während dieser Geistes und Feuer Taufe, die 50 Pfarrer und u. a. meinen Professor für die heilige Sache der innern und äusern Mission so erwärmt und beseelt haben! Der Heilige Geist helfe weiter und zeiche4 die rechten Mittel und Wege und mache aus den Pfarrern Apostel „die Ihn predigen lassen“ (wie Goßner sagt)

Wir sehen wie es bei Goßner (und Wichern) einschlägt – es ist nicht sein Wort, sondern Gottes Wort das aus der Gemeine Dir, den die Liebe treibet und die der Herr brauchen will, ruft – Es würde jeder Pfarrer in seiner Gemeine keine Schwestern und Brüder finden. Es würden wie der Thau in der Morgenröthe Kinder geboren werden! – Ach warum schlagen doch nicht alle den Weg ein der uns vorzeigt, der darum vom Himmel gekommen ist, der der Weg selber ist – dessen Wort bleibet wenn Himmel und Erde vergehen! – und daß es gewiß und wahrhaftig so ist, können wir wenn wir nur ein Senfkörnlein Glauben haben, täglich erfahren – Wie freut es mich daß Euch Wichern so den Glauben und seine Früchte gepredigt hat und daß diese Eine Geistesflamme in alle Kerzenlichter so eingeschlagen hat – Wenn nur Einige den Weg den Wichern vorgezeichnet hat vereint mit ihm gehen!! Den Aufrichtigen läßt Gott gelingen; an den schwachen Jüngern, die der Herr erwählt hat, sehen wirs. – Dieß kann uns auf die Laien Gehülfen hinweisen wie Wichern in seinem rauhen Hause und Jünglings Verein – Goßner für seine Mission der Männer und Frauen Kranken Verein – Der Verein zur Besserung der Strafgefangenen / da sind hier mehrere Hundert christliche Familien und Underbringer die die entlassenen Strafgefangenen in Schlafstellen aufnehmen und ihr Verhalten conkreteren, unter 5 sich gefunden hat. Wichern sollte nun hieher kommen, er würde hier auch sehen, daß ein Anfang gemacht ist, aber es bedarf immer von Zeit zu Zeit einer Weckstimme, wenn man einschläft vor Traurigkeit daß das Feld so groß und der Arbeiter so wenige sind – und wenn alles so ganz anders geht, als wirs denken.

Hoffmanns Vorschlag Gemeinden Colonien mit ihren Geistlichen auszusenden ist auch das was im Kleinen, Goßner und die Brüdergemeine thun – sie schicken ein Häuflein Ungelehrter und so oft ein solches Häuflein fortgeschickt wurde, schickte ihm Gott einen fertigen Candidaten zu ihren geistlichen Anführern zu – Da brauchte es kein Missions Haus –

Aber das alles weißt Du ja – ich könnte noch lange von allen dem reden. Was darüber zu sagen ist habt ihr an Mittagen und Abenden mit Wichern verhandelt – Das ist mir weil Du der Sohn meines Herzens bist mehr werth als wenn ich selbst dabei gewesen wäre –  – Gott soll mir nur meine Kinder mit Seines Geistes Licht  und Leben erfüllen und ihnen alle gute und vollkommnen Gaben schenken. Ich bitte mehr für Euch als für mich selbst – Aber Gott ist reich genug uns Allen Alles in Christo zu geben –

Ich bin noch immer eine schwache Mutter – Ich gehe wohl bei diesem schlimmen Wetter täglich aus – gestern ging ich übers Feld und durch die Anhaltsstraße zu Goßner – aber mein Kräfte reichen nicht weit – ich bin noch nicht so wie ich war – und werd‘ es vielleicht nicht wieder. Meine Nervenschwäche scheint tiefer zu liegen – sie ist nicht Folge einer Krankheit sondern die Krankheit selbst – doch muß ich noch immer Gott danken daß ich schmerzensfrei bin und daß ich gut schlafe – und daß es mir an Ruhe und Pflege nicht fehlt –

Das Mädchen die mir Luisens Stelle ersetzt ist ein gutes anständiges Mädchen –

Ich denke jetzt wohl bisweilen daran ob ich nicht zu Neujahr meine Wohnung im Osten kündigen sollte, um auf Jahr und Tag oder im Jahr so lang Gott will Manuel nicht hier ist und meine Untüchtigkeit für Kranken Haus und Ruhebedürftigkeit es erfordert nach Nürnberg gehen sollte. Mein Mobiliar könnte im Kranken Haus und bei Freunden untergebracht werden; noch hats ja Zeit bis Neujahr – Manuel schicke6