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Karl Hegel an Dr. Johannes Schulze, Rostock, 20. November 1843

Hochzuverehrender

Ich beeile mich, Ihre geehrte Zuschrift vom 15. November3 zu beantworten und die gewünschte Auskunft über den Dr. von Glöden mit möglichster Unbefangenheit zu geben, was ich um so leichter thun kann, als ich in keinem näheren persönlichen Verhältniß zu ihm gestanden habe.4

Als jetzt gerade vor 2 Jahren der Professor Kämmerer nach dem Anfang seiner Pandectenvorlesungen plötzlich starb5, meldete sich von Glöden, der damals hier privatisirte und wie es hieß sich zum Rechtsexamen vorbereitete, auf der Stelle zur Doctorpromotion, indem er zugleich um die Erlaubniß nachsuchte, seine Pandectenvorlesungen noch in demselben Semester übernehmen zu dürfen. Er bestand das Doctorexamen mit Auszeichnung, las das Collegium mit Glück und Beifall, und erwirkte durch Beides sowohl bei der juristischen Facultät als bei den Studierenden eine besonders gute Meinung von seinen Fähigkeiten, die sich auch späterhin sowohl durch seine schriftstellerischen Leistungen wie durch seine Vorlesungen bewährt gefunden haben. Man rühmt seine juristischen Kenntnisse, seinen Scharfsinn wie seinen mündlichen Vortrag. Diese gute Meinung von seiner Tüchtigkeit hat nun auch die Erinnerung an seine früheren jugendlichen Verirrungen, welche Sie zu erwähnen belieben, keinen Eintrag gethan, vielmehr scheint sie ihm bei den Studenten ein grösseres Relief von Genialität gegeben zu haben. Auch hat er durch sein häusliches Leben, so viel mir bekannt geworden, keinerlei üble Nachrede weiter veranlaßt, zumal er selbst sehr zurückgezogen lebt, seine Frau aber kaum in die Gesellschaft eingeführt ist. In dieser Beziehung allerdings haben die erwähnten Erinnerungen nachtheilig auf seine sociale Stellung eingewirkt. Dazu kommt jedoch, daß sein persönliches, förmliches und anscheinend überall berechnetes Benehmen kein rechtes Zutrauen fassen konnte, und daß er über seinen Charakter doch einige noch im Zweifel ließ – ich spreche hier von dem Eindruck aus, den er nicht bloß auf mich gemacht hat – bis er zuletzt vor kurzem in einer Weise herausgetreten ist, die ihm freilich eine entschiedene aber auch mißliche Stellung hier im Lande gemacht hat. Für den Fall, daß Sie von seiner neuesten Schrift, „über die Wählbarkeit zu einem Deputirten der Ritterschaft in den Engern Ausschuß“6 noch nichts wüßten oder sie nicht selbst gesehen hätten, möchte ich Sie bitten, dieselbe in die Hand zu nehmen, weil Sie sich daraus am leichtesten über den wissenschaftlichen und sittlichen Charakter des Mannes ein Urtheil bilden können. Daß er sich zum Advocat des Adels seines Standes in einer Sache aufwirft, von der er vielleicht überzeugt ist – wer möchte ihm das verargen! Aber daß er sich zum Diener der Vorurtheile und Leidenschaften dieser Partei in einer solchen Weise hergibt, daß er ihr zu Gefallen die Gegner ebenso unwürdig als unverschämt behandelt – ich will nichts von Infamie sagen –, aber Beseler – Beseler, der ihn noch vor zwei Jahren examinirt und dann auf jede Weise gefördert hat! –, daß er in seiner Widerlegung zu selbst für den Laien handgreiflichen Sophismen, zu Argumenten, an die er selbst nicht geglaubt haben kann, seine Zuflucht  nimmt7, das hat ihn trotz allen Scharfsinns und juristischer Gewandheit, die aufgewendet 8, bei unbefangenen und rechtlich denkenden Männern einen üblen Namen gemacht!

Theuerster Herr Geheim Rath. Ich glaubte Ihnen vor Allem ein aufrichtiges Urtheil schuldig zu sein, sonst wäre ich lieber zurückhaltender gewesen, sicher begründet ist es in sofern als ich überzeugt bin, daß die tüchtigsten und namhaftesten meiner Collegen namentlich auch der Juristen es ganz unterschreiben würden.

Indem ich um Ihr ferneres wohlwollendes Andenken bitte, verharre ich mit der dankbaren Liebe und ehrerbietigen Hochachtung, die Sie kennen an

Ihrem
ganz gehorsamsten
daß9

P. S. Für die guten Nachrichten über meine Mutter danke ich Ihnen recht sehr. Gott weiß, daß mir auf der Welt nichts mehr am Herzen liegt, als ihr Wohlbefinden.