Fragst Du mich theurer Sohn, warum ich Dir so lange nicht geschrieben, so weiß ich, wie ich auf tausend Fragen nur sagen kann „Herr sey mir armen Sünder gnädig“2 auch für meine Schreibunterlassungs Sünden keine Entschuldigung. Mein Herz und die Sybel hat mich oft genug ans Schreiben gemahnt – ich schrieb aber nur an Manu und meine lieben Nürnberger3 und Du lieb Herz gingst leer aus, weil eben die Lust und Kraft zum Schreiben nicht weiter reichte. Mit meinem Befinden geht es leidlich – die frisch gemolkene Milch die ich Morgens und Abends trinke ernährt mich, so daß ich sichtbar …4 und zimlich wohl aussehe, aber die Nerven lassen mich noch bei jeder kleinen Anstrengung, oder Aufregung fühlen, wie schwach ich bin – ich habe auch noch die nerveusen Wallungen, die mich auch des Nachts wecken, und meinen Schlaf verkürzen – Doch kann ich schon wieder in die Kirche und an den Conferenzen und Predigten im Kranken Haus ohne Anstrengung theil nehmen.
Einen Sontag war ich Mittags bei Schlesingers und Nachmittags bei Pinders, ein andermahl des Abends bei den lieben Göschels die Dich insgesamt herzlich grüßen, aber dergleichen Parthien ermüden mich doch noch immer, wenn ich auch fahre, obgleich es mich freut die lieben alten Freunde einmahl wieder zu sehen und einmahl wieder was Anderes zu hören – aus anderen Bereichen an denen ich doch noch theil nehme, in alter Liebe und Treue – Mariechen Sybel ist zu einem recht lieben Mädchen herangewachsen; sie hat das kerngesunde gute Naturel der Mutter und ist nicht mehr Onkel Christian so ähnlich wie früher. Karl macht sich auch ordentlich heraus hat sogar einen Preis bekommen – Schlesinger ist über die schlechten Einkäufe die Wagen in Italien gemacht hat – (große Namen und schlechte Bilder) die er restoriren muß, verstimmt. – Die gute Pinder erwartete so eben ihren Mann, der mit Parthey in litterarischen Angelegenheiten nach Paris gereist ist, die Kinder stürmten wie ich die Klingel zog jubelnd heraus in Erwartung des Vaters – das ist ein braves liebes Weib, über die ich mich jedesmahl freue, wie ich sie unter ihren Kindern sehe – Betty ist wirklich Schwester …5 Hochhammer geworden, auf dem Hundsrück am Rhein –
Die Parthey hat mich mit Annchen und Veronica auch besucht – Annchen das liebe Kind kränkelte leider noch immer – Ein anderer Besuch den mir Immanuel gemeldet und zugeführt hat war Flottwell, dessen Bekanntschaft mich sehr gefreut hat. Er ist wie ihn Immanuel beschreibt. Es war ein Beweiß seines Wohlwollens für Immanuel, er sprach mir mit vieler Liebe von seinem Charakter und seiner Tüchtigkeit, er würde die Stütze meines Alters seyn, wobei ich Immanuel bemerkte, ich dächte noch nicht ans altwerden und verließ mich nicht auf so gebrechliche Stützen, darüber verweißt mir Immanuel meinen Übermuth in mein Glaubensmuth faßt es im anderen Sinn – läßt mich Gott alt werden und läßt Er mir die lieben Stützen so will ich Ihn dafür loben und danken, und meinen Stützen keine gebrechlichen …6 – Ich habe von den lieben Nürnbergern indeß viele Briefe bekommen – ich lege Dir einige davon bei7 – Sie möchten mich gerne wieder haben. Marie schreibt mir „Du kannst uns und wir können Dich nicht entbehren“ – Was Du mir darüber schreibst ist mir aus dem Herzen geschrieben – aber ich will meinen Entschluß nicht übereilen, meine Wohnung für April noch nicht aufgeben – mein Contract dauert ohnehin bis Michaeli8 – So könntest Du mich in meiner heimelichen Wohnung mit Immanuel hier noch einmahl, an Weihnachten! oder Ostern besuchen und in den Herbstferien, wenn es so seyn soll, nach Nürberg bringen – Das Scheiden von hier wird mir schwer, so viel Liebes mich dort erwartet – so viel süßer es ist so geliebt so gepflegt zu werden und Liebe mit Liebe zu vergelten – aber die ernstere Schule in der ich hier bin, in der ich der allergeringste Schüler bin, ist eine viel heilsamere und lehrreichere für mich – bin ich aber eine Invalide fürs Krankenhaus, so kann ich mit dem wenigen was ich kann, dort vielleicht doch noch etwas mehr leisten, als hier – Also wie Gott will. – Eure Gutachten und das meine soll erst noch unterschrieben werden und liegt bis zu Unterschrift at acta.
Nun muß ich aber noch eine Hauptsache, die Dich von Flottwell interessiren wird, erwähnen – Immanuel hat ihm Deinen Brief über Wichern vorgelesen, den Du persönlich kennst9 und den Inhalt der Vorträge von Wichern, den Gedanken an die Förderung der innern Mission, hat Flottwell angeregt durch Deinen Brief, wie er mir sagte, dem König mitgetheilt, worauf der König beschlossen hätte, Wichern hieher kommen zu lassen, mit ihm Rücksprache zu nehmen. Es wäre wünschenswerth, daß er ähnliches hier anregte und ins Leben brächte. Ja, wenn man mir in einer Fabrique die Gehülfen zu christlichen Missions Gehülfen so gleich zustützen könnte! –
Doch freute mich, wenn ich bei dieser Gelegenheit, zu der Du die Veranlassung gegeben hast – Wichern kennen lernte und er uns gleichen Segen bringt wie Euch!
Thekla schrieb mir den Tod der guten Tante in Stuttgart. Sie waren noch 14 Tage vor ihrem Ende bei ihr – Gottlieb ist Haupt Erbe – hat aber 33000 fl.10 Legate auszuzahlen. Darunter neben allen Geschwistern (und deren Kinder) vom Onkel 2000 fl. von dem Antheil unserer seligen Mutter fällt mir ein 7ter Theil zu – Gottlieb überläßt seinen 7ten Theil der Friz und Sophie und fragt uns ob wir damit zufrieden sind, wenn er ihn nicht unter uns alle vertheilt –
Marie schreibt auch ganz glücklich über Georg und Susette – ich kann nur nicht alle Briefe Dir schicken – – So naht denn nun das liebe Weihnachts fest. Dießmahl werd ich mich stiller und ruhiger desselben erfreuen wie früher – den Aufbau in den Schulen besorgen jetzt Andere – So koennt ich Euch Beide Ihr Lieben recht ungestört genießen. Aber ich will Dich zur kalten Winterzeit nicht zum Reisen veranlassen und mich auf die Osterferien vertrösten. Mein Manu ist dann allein Hahn im Korb und bekommt das größte Stück Kuchen – das Weltkind! – Es steht aber doch nicht so schlimm mit ihm. –
Xeller hat mir seinen Jacob Böhm ins Haus gebracht 1) Christosophia oder der Weg zu Christus11 2) De incarnatione verbi12 – Ich lese das Erstere in Gedanken mit Dir – habe mir mancherlei Auszüge gemacht die ich Dir mittheilen wollte – aber so losgerissen vom Ganzen würd es Dir doch nicht viel besagen. Er hat Lichtblicke die mich überraschen und nicht wieder loslassen – Sein Mistisches13 lege ich bei Seite – Sein Erkenntniß und Glaubenskraft besonders das Capitel von der Wiedergeburt pagina 110 hat mir viel mehr Klarheit und manchen wichtigen Aufschluß gegeben – Ich will Dich aber nicht bereden ihn zur Hand zu nehmen – der Heilige Geist bedarf nicht des Jacobs Böhm Dich in alle Wahrheit zu leiten – dazu bahnt er sich in uns seine eigenen Wege.
Es freut mich daß Du die Collegien mit so ehrenwerthen Studenten zusammen gebracht hast und kann mir denken daß sie Dir viel Arbeit machen. Gehe nur täglich und überarbeite Dich nicht – Wie geht es Deinen Freunden mit den gesellschaftlichen Anforderungen? Ist Euer Lese Kränzchen im Gange – Gott segne Hoffmanns und Karstens Arbeit für die Missions – bleibt nur als brave Meklenburger „Ein Wort, ein Mann“14 der Sache für die ihr alle standet, „wie Ein Mann“ getreu.
Ach wenn doch nur schon mein Brief in Deiner Hand wäre; es ängstigt mich indem ich den Datum Deines Briefs den 12 November15 sehe. Mit neuem Jahr will ich es so Gott Kraft dazu gibt gewissenhafter mit Schreiben nehmen – vergib theurer Sohn wenn Dir mein Schweigen eine Stunde lang Sorge gemacht hat – Wie schwer hält es den alten Menschen los werden. –
Herr Hilf! –
Nun muß geschieden seyn. Der Brief der lieben Sybel und Manu und die Nürnberger mögen Dich für lange Dürre schadlos halten. Nun überströmen wir Dich. –
Die Königin war nach der Jahresfeier unseres Kranken Hauses, die in der Kirche gehalten wurde (Du hast es wohl in der Staatszeitung gelesen?) in unserem Kranken Haus – Sie konnte erst um 10 Uhr kommen um 9 war die Gemeinde versammelt da erhielt Goßner ein Billet das ihre spätere Ankunft meldete; er wartete – und predigte wie sie ankam unumwunden manches für sie verletzende – Er konnte es nicht verschmerzen daß am Sontag vorher zur Kirchzeit Morgens 8 Uhr an ihrem Namenstag das Opernhaus eingeweiht wurde. Das mußte sie wenn auch nicht gerade gut doch so daß sies verstehen konnte hören. Nach der Kirche sie glaubte man hätte schon angefangen und es war um 11 Uhr aus hatte sie die Prinzeß der Niederlande16 ins Kranken Haus bestellt – diese unsre eine Stunde dort im ungeheizten Zimmer auf sie warteten – man erwartete nicht so hohen Besuch – wir und alle Wärterinnen waren in der Kirche und die Kranken nur durch Gehilfinnen versehen. Glücklicher Weise hörte einer der Aerzte die Order ins Kranken Haus beim Fortfahren der Konigin wie der …17 mit unseren Mädchen noch auch die docters – aber die Predigt und die Erhaltung der Prinzess der Niederlande hatten sie sehr verstimmt. Wir erfreuten uns eines freundlichen Wortes –
Unser theuerer Mann Gottes fürchtet sich nicht die Wahrheit zu reden wenn sie auch wehe thut –
Unsere liebe Freundin kann sich ihrem eigensten Naturel nach, auch nicht in so eine Linie schicken – ihre Empfindlichkeit, ihr ängstliches unpraktisches Wesen, das durch Liebe verwöhnte Kind, was ihre Gefühle nicht zu beherrschen im Stande ist – paßt nicht hieher – Ich habe viel mit ihr zu tragen und zu leiden. Scheut sie sich auszusprechen, so seh ich ein Gesicht voll inneren Kampfes, wie am letzen Tag in Rostock – Nun ist Marie und Klara die Eine im neuen, die Andere im alten Haus Aufseherin – alles geht vortrefflich – die viele Sorge, an der sie so schwer trug, ist ihr nun abgenommen, die Tham besorgt die Oberaufsicht über die Küche und Waschkammer – eine Schwester ist Herausgeberin.
Nun ist auch Mariechen bei …18 Busse im Unterricht und lernt mit Lust und Freude – nun könnte alles gut seyn – nun aber fühlt sie wieder, indem ihr so viel abgenommen ist, daß sie Goßner nicht genügt. Seine Art ist es nicht viel Complimente zu machen – grüßt sie nicht, grüßt er auch nicht – So stehen wir. – Dieß hat mich indeß tief geschmerzt und macht mir ihre Besuche nicht mehr zu wohlthuender – denn sie sieht dies alles mit anderen Augen als ich an – Ich setze dieß meinem Brief, nachdem ich ihr ihn vorgelesen, noch hinzu – antworte auf Extra Blatt – ich möchte der lieben Seele, damit, daß ich sie bei Dir verklage nicht wehe thun – Sie hat schon ein bos Gewissen das sie in sich selbst straft – und kann nicht anders als sie ist – Ich wünschte sicher dieß Verhältniß zu lösen – Sie paßt nicht ins Kranken Haus und zu Goßner. Nur weiß ich nicht wie – Sie war nach dem Tod des Mannes und im Wochenbette Geisteskrank. Daher auch dieser Tiefsinn bei allem was sie bewegt. Dieß wäre Grund genug, wenn sie nicht freudiger wird, sie ihrer Gesundheit im KrankenHaus zu …19 Adieu. Leb wohl lieber Sohn! Sey vorsichtig in Deiner Antwort