XML PDF

Johann Hinrich Wichern an Karl Hegel, Horn, 31. Dezember 1843

Den inliegenden Brief, theuerster Freund, hatte ich gestern gerade versiegelt, als Ihr Schreiben  vom 28 dieses Monats ankam1 mit dem angeschlossenen Brief der Frau von Egloffstein. Ich habe mich darauf gleich mit all Ihren Bedenken und Befürchtungen an meinen Freund Palm gewandt, und von demselben hier beifolgende Antwort erhalten. Dieselbe wird Sie völlig beruhigen. Räthselhaft bleibt, wo die betreffende Brief post restante sammt dem Gelde (50 2) geblieben seyn könne. Ich will auf den Posten noch einmal nachsuchen lassen; es ging nur nicht gleich heute. Die Hauptsache scheint mir aber genügend aufgeklärt – und unser  Flüchtling wird bereits in Görlitz seyn. Ich muß aber noch hinzufügen: Mit diesem Brief zugleich geht ein Brief an Ihre Frau Mutter in Berlin ab, der zugleich eine Copie von Palms Briefe enthält, so daß Ihre liebe Mutter sogleich an Frau von Eglofstein antworten kann, was mir vor allem nöthig scheint, um der tiefbekümmerten Frau sobald als möglich ihren gerechten Kummer  zu lindern. Dann habe ich Ihrer Frau Mutter gemeldet, daß Sie den inliegenden Brief der Frau von Egloffstein zurückerhalten. Mir schien diese Art der Rundsendung des Briefes gerathener. Alle nöthige weitere Auskunft in der Sache könnte ich Ihnen gerne verschaffen, übrigens ist die Adresse meines Freundes Palm: Dr. Gustav Palm Evangelisches Institut in Eppendorf Adresse: Esplanade No. 38 Wallseite in Hamburg.

So signirt wird jeder Brief an ihn gelangen; doch wird es kaum noch Briefe in der Sache bedürfen.

Ihr einliegender Brief (No. 2) war ursprünglich eine Einlage in einem Brief an unsern lieben Freund Hoffmann. Grüßen Sie denselben und seine liebe Frau von mir, bis er selbst die Zeilen, die ihm zugedacht sind, erhalten wird.

Was Sie mir über die Theilnahme des Königs von Preußen für die Sache der inneren Mission überhaupt schreiben, dürfte mir freilich nicht neu seyn, aber um so neuer und – warum soll ichs nicht sagen? – überraschender, daß dieser fürstliche Mann von meiner Person Notiz genommen. Es ist mir dabei eine wahre Beruhigung, wie sehr das ohne mein Zuthun geschehen ist und ich will, wenn ich daran eine Folge knüpfen sollte, alles in der Hand des größten aller Herrn zu belassen mich aufrichtig bemühen. Bis jetzt kann ich auch nur glauben, daß jene Theilnahme nur eine vorübergehende hat seyn können, zumal Preußen mit denjenigen Tendenzen, denen ich meine Kräfte gern ganz opfern möchte, erfüllt ist. Ihr Wort bereitet mich aber jedenfalls vor auf die Wappnung gegen eine Art von Versuchungen, welche in dieser Form eine neue seyn müßten, aber die mich oft demüthigen, wenn ich bedenke, vor wem allein unser Innerstes und unser eigentliches Thun offenbar ist. Mit Ihnen und allen, die die Gewitterwolken und Blitze in der Athmosphaire unserer Jahrzehnte wahrnehmen, theile ich die große Hoffnung der Wiedergeburt des Lebens in der Kraft des Evangeliums, aber seye mir aufs ernsteste wiederholt, wie noth es thut, daß wir selbst die wir durch Gottes Gnade Mitarbeiter seyn dürfen, nicht vergessen, den Segen für uns selbst erflehen. In diesem Sinne wollen wir weiter gehen, vorwärts, und was uns auf dem Wege begegnet als aus der Hand des Herrn nehmen. Sie sehen übrigens, daß mir aus Berlin noch keine Aufforderung der Art geworden ist, sollte es aber seyn, so will ich es Ihnen mittheilen.

Dieß wird wohl der letzte von vielen 100 Briefen des Jahres 1843 seyn. Ich freue mich, daß Sie der letzte sind und hoffe, das neue Jahr wird uns nicht ferner, sondern noch näher bringen. Unter den vielen lieben und theuren Gaben, die mir das verflossene Jahr zugeführt, gehört auch Ihre Freundschaft und Liebe3, in der ich verbleibe

P. S. Den Brief an Palm erwarte ich natürlich nicht zurück.