ich schreibe Dir heute noch, besonders um Dir das Nähere unserer Reise zu melden. Ende nächster Woche brechen wir nach Berlin auf, und ich rechne sicher darauf, dort längere Zeit mir Dir zusammen zu treffen. Mit Gervinus aber wird es nichts, – wie Du schon befürchtetest; er hat das Rendez-Vous abgeschrieben, weil er wahrscheinlich sein Haus verkauft und um Ostern1 umziehen muß. Dazu sind noch andere Störungen gekommen, die ihn allerdings exculpiren. Mir thut das herzlich leid; ich hatte von diesem Zusammenseyn so Vieles gehofft, ja es war rein nothwendig geworden, wenn es zwischen uns wieder ein rechtes Verständniß geben sollte. Er hat sich mit Beziehung auf mein Buch2 sehr wunderlich gegen mich benommen, und ich fühle, daß sich auch bei mir das alte Band zu lösen beginnt, | welches bei ihm, scheint es, schon längst locker geworden. – Übrigens ist er plötzlich einmal wieder umgeschlagen; die destructiven Pläne sind bei Seite gelegt und eine ganz andere Wirksamkeit ist auf dem Tapet. Über das Nähere mündlich.
Ich habe mich in Gedanken daran amüsiert, wie Du von Deinen juristischen Freunden wohl mit der PuchtaschenRecension3, die mein Volksrecht4 todtschlagen sollte, turbirt worden bist. Wahrscheinlich ist meine Antwort5 jetzt schon in Deinen Händen; sonst laß sie Dir vom Bürgermeister6 geben. Exemplare habe ich nicht frei; und sie daher auch nicht an Freunde versendet; der Bürgermeister ist ausnahmsweise bevorzugt. – Über unsere künftigen Studien wollen wir in Berlin recht in Ruhe verhandeln. Dein Italienischer Städteplan7 intereßirt mich sehr; nur mußt Du Dich nicht zu lange bei den Außenwerken aufhalten, und zur bestimmten Ausführung schreiten. – Ich gehe auch, wie Du vermuthest, mit großen Unternehmungen schwanger; nur ist die Deutsche | Rechtsgeschichte zurück getreten, und dafür im System des deutschen Privatrechts8 in neuer Auffaßung zunächst im Vorwurf; doch noch etwas embryonenartig, so daß ich wohl erst im Laufe des Sommers zur Ausarbeitung komme. –
An Ackermann schreibe ich noch vor meiner Reise; vorläufig grüße ihn herzlich so wie die übrigen. – Ein Notarius Reichmann in Rostock hat mich dringend um weitere Stundung des Honorars gebeten; sage es bitte an Sohm, und ersuche ihn, nach den Umständen milde mit dem Mann zu verfahren. Sohm kann ihm dann ja auch sagen, daß ich auf diese Weise seinen Brief beachtet hätte.
Ich bitte dich, mir nach hierher zu schreiben, wann Du in Berlin anzukommen gedenkst. Meine Frau grüßt bestens.
Treulichst Dein GBeseler
17./8. April 1844. 2Gemeint ist die 1843 in Leipzig erschienene Publikation Georg Beselers (1809-1888) „Volksrecht und Juristenrecht“. 3Es handelt sich hier um die Rezension des zuletzt in Berlin wirkenden Juristen und Rechtshistorikers Georg Friedrich Puchtas über die Schrift Georg Beselers „Volksrecht und Juristenrecht“, die 1843 in Leipzig erschien. Puchtas (1798-1846) Rezension findet sich im ersten Heft der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik aus dem Jahr 1844, Spalte 1-30. 4Dies bezieht sich auf die 1843 in Leipzig erschienene Schrift Georg Beselers (1809-1888) über „Volksrecht und Juristenrecht“. 5Beseler entgegnete Puchta auf seine Rezension mit einer dreißigseitigen Publikation, die 1844 unter dem Titel „Volksrecht und Juristenrecht. Erster Nachtrag; G. F. Puchta.“ in Leipzig erschien. 6Erster Bürgermeister von Rostock war zu dieser Zeit der Jurist Det[h]loff Karsten (1787-1879), zweiter Bürgermeister war Johann Friedrich Bauer (1797-1863). Vgl. dazu Jansen, Stadtgeschichte von Rostock, S. 138 f. Mütterlicherseits war der erste Bürgermeister der Onkel von Georg Beselers (1809-1888) Frau Emilie Beseler, geb. Karsten (1816-1900). 7Beseler bezieht sich hier auf das Hegels’sche Publikations-Projekt einer umfassenden Untersuchung über „Die Geschichte der Städteverfassung von Italien seit der Zeit der römischen Herrschaft bis zum Ausgang des zwölften Jahrhunderts“, die im Jahr 1847 in zwei Bänden erschien. Zu ihrer Rezeption vgl.
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, besonders S. 133-150.8Es handelt sich hier um die Anfänge der Schrift Georg Beselers über das „System des gemeinen deutschen Privatrechts“, die in den Jahren zwischen 1847 und 1855 in drei Bänden in Leipzig erschien. Es sollte die Genossenschaftslehre bekräftigen und setze sich ein für die Hinwendung zu gleichsam nationalen wie gewohnheitsrechtlichen Rechtsquellen.
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
GreifswaldUniversitäts- und Hansestadt an der Ostsee gelegen im westlichen Pommern. Infolge des Wiener Kongresses war die Stadt Greifswald, die 1250 das Stadtrecht erhalten hatte und seit 1456 über eine Universität verfügte, 1815 an Preußen gefallen.
Privatbesitz
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Privatbesitz1000
Kreis
, Marion: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 84), Göttingen, Bristol, CT, USA 2012.
Kreis
, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung
2012
Gervinus (Gervin), Georg Gottfried jun.Georg Gottfried Gervinus11853891818051871Gervinus, Georg Gottfried jun. (1805–1871), deutscher Historiker, Literaturhistoriker und Politiker, Sohn von Georg Gottfried Gervinus sen. (1765–1837) und seiner Ehefrau Anna Maria Magdalena Gervinus, geb. Schwarz (1772–1837). Er war Ehemann von Victorie Gervinus, geb. Schelver (1820–1893), 1835/1836 Professor der Geschichte und Literatur an der Universität Heidelberg, 1836/1837 an der Universität Göttingen (einer der „Göttinger Sieben“), 1844 Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, 1848 Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung.
Puchta, Georg FriedrichGeorg Friedrich Puchtahttps://www.deutsche-biographie.de/sfz97609.html#ndbcontent11859696917981846Puchta, Georg Friedrich (1798–1846), war Jurist und Rechtshistoriker an der Universität Erlangen.
Karsten, Detloff Ludolf EobaldDetloff Karsten12090763117871879Karsten, Detloff Ludolf Eobald (1787–1879), Advokat und Prokurator in Rostock, von 1811 bis 1846 in verschiedenen Funktionen als Senator, Syndikus, Bürgermeister und Erster Bürgermeister in Diensten der Hansestadt mit abschließender Ehrung als Ehrenbürger, 1846 Regierungsrat in Schwerin, 1848/49 war er Mecklenburger Bevollmächtigter bei der provisorischen deutschen Zentralgewalt in Frankfurt am Main. Er war ein Bruder des Mineralogen und Metallurgen Karl Johann Bernhard Karsten (1782–1853). Als Bruder des Mineralogen Carl Karsten (1782–1853) war er Onkel von Georg Beselers (1809–1888) Frau Emilie Beseler (1816–1900), geb. Karsten.
Bauer, Johann FriedrichJohann Friedrich Bauer-17971863 Bauer, Johann Friedrich (1797–1863), war 1843 zweiter Bürgermeister von Rostock.
Ackermann, FriedrichFriedrich Ackermann11575594217991866Ackermann, Friedrich (1799–1866), war Jurist und Politiker. Er wurde 1837 Richter am für beide Mecklenburgischen Großherzogtümer zuständigen Oberappellationsgericht in Parchim, das 1840 nach Rostock verlegt wurde, Ende der 1840er Jahre dessen Vizepräsident und war 1848 Mitglied der Mecklenburgischen Abgeordnetenversammlung; er wurde 1851 in den Ruhestand versetzt. Seit Karl Hegels Berufung nach Rostock gehörte er gleich zu Beginn zu dessen Bekannten- und Kollegenkreis. Zu ihm notierte Karl Hegel in seinem Gedenkbuch zum Jahr 1841: „der jugendlich angeregte u. für alle höheren Interessen begeisterte Oberappelationsrath Ackermann, der leider bald durch nervöse Reizbarkeit gelähmt dem geselligen Umgang und seinen Freunden sich versagen mußte“. Vgl. dazu
Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch
, S. 145 f. (Zitat)
, sowie
Neuhaus, Brautbriefe Karl Hegels an Susanna Maria von Tucher
, S. 92 f. (auch Anmerkungsapparat)
.
Reichmann, Albert R.Albert R. Reichmann125404658518081864Reichmann, Albert R. (1808–1864), war Notar in Rostock und Vater des Sängers (Bariton) Theodor Reichmann (1849–1903).
Sohm, RudolphRudolph Sohmhttps://www.deutsche-biographie.de/sfz14747.html#ndbcontent11861523818411917Sohm, Rudolph (1841–1917), war Jurist und Kirchenrechtler, der an den Universitäten Straßburg und Leipzig wirkte; er nahm zum Alterswerk Karl Hegels (1813–1901) über die „Entstehung des deutschen Städtewesens“ einen gegensätzlichen Standpunkt ein.
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Professor, ProfeßorBerufs- oder Amtsbezeichnung und Anrede für den Inhaber einer Professur an einer Universität oder Hochschule, wobei nicht jeder Professor eine Professur bekleidet; früher auch Bezeichnung für einen Gymnasiallehrer (Gymnasial-Professor) bzw. Lehrer an einer Lateinschule.
Seiner/Se./Sr./S. / Hochwohlgeboren / WohlgeborenAnrede (in dritter Person) für ein Mitglied des niedrigen Adelsstandes („Hochwohlgeboren“) sowie im 19. Jahrhundert auch zunehmend Anrede für Honoratioren aus dem Bürgertum („Wohlgeboren“).
de hodiernoAus dem Lateinischen für: „vom heutigen Tag“ (bei Briefen).
Rendez-Vous, auch: rendez vousRendezvous im Sinne von Verabredung, persönliches Treffen gebraucht.
exculpirenExkulpieren aus dem Lateinischen von „exculpare“, im Sinne von: „entschuldigen, rechtfertigen, entlasten, freisprechen, befreien“ gebraucht.
Volksrecht und Juristenrecht (1843)Publikation des Juristen Georg Beseler (1809-1888) aus dem Jahr 1843 erschienen in der „Weidmann’schen“ Buchhandlung in Leipzig.
TapetZu früheren Zeiten üblicher Stoffbezug für einen Konferenztisch; in diesem Zusammenhang auch existierende, metaphorische Redewendung „etwas aufs Tapet bringen“ für: „etas ansprechen“ oder „etwas zum Thema machen“.
Recension, Recensionen (Rezension/-en)Rezensionen, hier für kritische Besprechungen wissenschaftlicher Publikationen.
System des gemeinen deutschen Privatrechts„System des gemeinen deutschen Privatrechts“ ist eine in drei Bänden von dem Juristen Georg Beseler (1809-1888), in Leipzig veröffentlichte Schrift. Der erste Band erschien 1847, der zweite 1853 und der dritte 1855.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis