Berlin d. 10ten Mai 1844
Theurer Sohn!
Ich habe mit Sehnsucht den ersten Brief von Dir erwartet und zögere nun doch 4 Tage mit der Beantwortung – viele Besuche, Kranken Haus Besuche und Conferenzen, und dazwischen Ruhebedürftigkeit und der liebe schöne Frühling der mich im Garten lockte, wo das Herz freier aufathmet, hat mich in den letzten Tagen von einer Stunde zu andern das Schreiben verschieben lassen –
Du verlangst nach Nachricht von Flottwell die Zeitung schweigt noch immer, aber daß Flottwell hieher kommt, steht fest und ist Stadtbekannt; er ist Finanz Minister und kommt schon in den nächsten Wochen hieher und bezieht die parterre Zimmer vors erste allein, bis Bodelschwings eine andere Wohnung gefunden haben und der Familie Platz machen. Der arme Manu bestätigt mit Schmerzen den Verlust seines geliebten Ober
Praesidentenund seiner Friderike – Wie Du aus seinem und Friederikes Brief ersiehst, nimmt er es noch schwerer als sie. Die arme Mutter kommt eben, wie ich merke, nicht aus der | Trübseligkeit, Krankseyn und Sorgen um kranke Kinder heraus – Da wird meines Amts seyn, immer Muth und Trost zuzusprechen. Gottlob daß Friederike heiterern Sinns das Leben weniger schwer nehmen wird – das ist für den Mann eine große Erleichterung und glückliche Mitgabe! Ich freue mich unseres Friederikchens und freue mich, daß sie mir, wenn sie hieher kommt, noch näher angehört. Ich will auch recht behutsamlich mit ihr umgehen und ihr nichts aufdrängen was noch nicht das ihre ist – wenn ihr und Flottwells z. B. Goßner nicht zusagt – – Ich habe mir in der Gemeinschaft in der ich jetzt stehe, von Gott die Klugheit die ohne Falsch ist, und Weisheit im Reden und Schweigen, und die Liebe, die alles duldet und trägt und nicht ins Wanken, sondern mit der That geendiget, zu erbitten – So merke ich jetzt erst hinten nach, daß ich an Dir, lieber Sohn, und meiner lieben Sybel durch meine Offenheit einen Raub begangen habe – was mich in tiefster Seele schmerzt.
Meine Individualität ist eine so ganz andere als die ihre, in ihr muß ich mir erst alles zurecht legen um nicht ungerecht gegen sie zu seyn. – Ihre Freundschaft und ihre Liebe ist eine Ideale – Ihre edle reine Natur, die sich jeden unreinen Hauches bewußt ist, reinigt sich immer wieder, Ein Kind Gottes findet | wenn es auch die rechte Mitte verloren hat, immer wieder den rechten Weg. – Sie wird sich und ihrem Sybel nie ungetreu werden, wenn die Poesie und Lebendigkeit ihrer Empfindungen auch Verwandtes in der Freundschaft sucht – und wenn sie ausspricht, was andere verschweigen. Laß Dir diese köstliche Freundschaft nicht rauben und verwechsle und vergleiche diese reine Seele nicht mit anderen Kindern der Welt. Sie ist noch dieselbe, wie in Warnemünde, nur durch das Beängstigende ihrer Stellung verkümmert und durch und durch verstimmt – Für Goßner hab ich zu viel – sie zu wenig Liebe und Duldsamkeit. Ein und dasselbe Wort klingt ihr anders als mir. Dieser Wiederspruch soll und darf uns aber nicht mehr entzweien und meine Liebe zu ihr trüben, da sie um so viel mehr leidet als ich, muß ich sie um so mehr schonen und lieben. Und diese Schonung und Liebe hatte ich wohl, Dir gegenüber nicht für sie, und weil ich gereizt und verstimmt war, verstimmte ich auch Dich. – Du hast einen kalten Abschied von mir genommen und in Deinem Brief keinen Gruß für sie geschrieben, sie sieht mich für die Ursache Deiner Verstimmung und geänderten Gesinnung an und glaubt mich und Dich verloren zu haben. Thue nun was Dich Dein Herz das immer das richtige thun möchte, thun heißt, schreibe ihr so ehrlich und offen wie sonst – Ich sagte ihr | Du bist in Deiner Verstimmung und Klagen unliebenswürdiger – und unfromm – das gibt wieder Wasser auf die Mühle der Moral die Karl der Fürstin gepredigt hat –
Die Sybel war indeß einmahl bei Goßnern und
… und hat sich offen gegen ihn ausgesprochen, und fand ihn herzlich gut und mild – er klagte sich selbst an wie er manchmahl schroff verstimmt sey – Sie sollte thun so viel sie könne und nur immer offen seyn. Nun ist sie wieder ruhiger und hat versprochen noch zu bleiben bis eine Bessere ihre Stelle besetzt –
Sollte die Fürstin in Rostock seyn, so sage ihr, ich hätte ihr den 9ten post restante nach Hamburg geschrieben, auch Gräfin
Schlieffen schrieb noch da hin an sie, da sie den 2ten noch dort war und nichts von ihrer Abreise, wie mir die Sybel sagt, schreibt – diesen Brief hat mir die Sybel nicht mitgetheilt, weil die undankbare Frau über mein Stillschweigen schmäht „da sie mir doch zweimahl geschrieben“ – Thue indeß doch für sie was Du kannst, sie ist unglücklich und eine Frau voll Energie und bester Gesinnung.
Auf Karstens Besuch hab ich gehofft ihn aber noch nicht gesehen.
Kobe schreibt uns er habe unsere Kündigung nicht empfangen und nicht aczeptirt – (die ich schriftlich seiner Frau gab den 1sten Januar) Mit diesem Brief ging ich zu Henning, dieser will seinen Rechts Beistand fragen und uns sagen ob wir ihn gerichtlich belangen – ich sagte ihm „wir halten uns an Sie“ Dieß war Dinstag seitdem läßt Henning sich nicht sehen. – Im Ministerium sollen noch | mehrere Veränderungen vorgehen. Man spricht daß Beusen
Eichhorns Stelle vertreten, Eichhorn Minister des Innern werden soll – Marheineke ist durch eine Recension in der Ministeriellen Staats
Zeitung hart mitgenommen. Seine Vorlesung ist mit 40 besucht – indeß Twesten 2 Zuhörer in demselben Collegium hat; Glück zu Deinem bescheidenen Anfang! 5 ist immer noch viel für Rostock.
Die Nürnberger haben mir auch alle geschrieben, diese lieben treuen Seelen! Sie hoffen noch immer daß ich komme.
Dönhoffs Grundstück ist nicht verkauft – der Bahnhoff soll vom Neuen Luisen Thor doch ausgehen – So bin ich nicht vertrieben.
Wie schön wär es, wenn wir durch die Hamburger und Schweriner Eisenbahn näher zusammen rückten! –
Nun grüße mir noch aufs Herzlichste die lieben Freunde die mit Liebe an mich denken, Röpers, Hoffmanns, die liebe D. Dadarding, Deine Wirthin –
Wie schön ist der Frühling! – Gehe nur fleißig spazieren und mache, daß ich eben so zufrieden mit Dir seyn kann, als Du mit mir! In treuester Liebe und Fürbitte
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Flottwell, Eduard HeinrichEduard Heinrich Flottwell11663107417861865Flottwell, Eduard Heinrich (1786–1865), preußischer Staatsmann, Minister und oftmaliger Oberpräsident, u. a. von 1841 bis 1844 Oberpräsident der Provinz Sachsen, 1849/50 Oberpräsident der Provinz Preußen, 1850 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Schwiegervater Immanuel Hegels (1814–1891).
Bodelschwingh, Charlotte, geb. Diest11866046217931869Bodelschwingh, Charlotte, geb. Diest (1793–1869), Tochter des Tribunalpräsidenten Friedrich Diest, Ehefrau des preußischen Politikers und Staatsministers Ernst Albert Karl Bodelschwingh (1794–1854).
Bodelschwingh, Ernst Albert Karl11866047017941854Bodelschwingh, Ernst Albert Karl (1794–1854), in Westfalen geborener Rechts- und Kameralwissenschaftler, der preußischer Staatsminister verschiedener Ressorts u. a. als preußischer Finanzminister von 1842 bis 1844 Vorgänger Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) war sowie 1849/50 Vorsitzender des Verwaltungsrates der Erfurter Union wurde; im Erfurter Unionsparlament war er Mitglied des Volkshauses und Vorsitzender des Verfassungsausschusses.
Goßner, Johannes Evangelista11854089017731858Goßner, Johannes Evangelista (1773–1858), in Schwaben geborener Theologe, der als katholischer Priester zur evangelischen Lehre konvertierte und Pfarrer wurde. Von 1829 bis 1846 war er Prediger an der Berliner Bethlehemskirche und wandte sich im ganzheitlichen Sinne der Mission zu. Die Goßnersche Missionsgesellschaft (Berliner Missionswerk) und das Berliner Elisabeth-Kinder-Hospital (Elisabeth-Krankenhaus) wurden von ihm u. a. gegründet.
Gallitzin, Marija Arkadjewna, Suworowa-RymnikskajaMarie Fürstin Galitzin108958823218021870Gallitzin, Marija Arkadjewna, geb. Suworowa-Rymnikskaja (1802–1870), Tochter des Arkadi Aleksandrowicz Suworow (1784–1811) und der Helena Aleksandrowna Suworowa-Naryschkina (1785–1855), Gemahlin des russischen Fürsten Michail Michajlowicz Golicyn, Enkelin des russischen Generalissimus Alexander Wassiljewitsch Suworow (1730–1800).
Schlieffen, N. N.-Schlieffen, N. N., Cousine der Marija Arkadjewna Gallitzin, geb. Suworowa-Rymnikskaja (1802–1870).
Karsten, Hermann Rudolf 12090769018011882Karsten, Hermann Rudolf (1801–1882), 1828 Diakon zu St. Marien in Rostock.
Kobe, N. N.-Kobe, N. N., Mieter in Berlin.
Henning, Leopold August Wilhelm DorotheusLeopold Henning10016287817911866Henning, Leopold August Wilhelm Dorotheus (1791–1866), in Gotha geborener Philosoph, der 1825 außerordentlicher, 1835 ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität Berlin wurde. Von 1827 an war er Redakteur der Zeitschrift der Hegelianer, der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“.
Eichhorn, Johann Albrecht FriedrichJohann Albrecht Friedrich Eichhorn10433526217791856Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich (1779–1856), in Wertheim geborener Staatsmann, der von 1840 bis 1848 preußischer Staatsminister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten war; in Erfurt war er 1850 im Unionsparlament für das Königreich Preußen Mitglied des Staatenhauses und dessen Alterspräsident.
Marheineke, Philipp Konrad11899389517801846Marheineke, Philipp Konrad (1780–1846), in Hildesheim geborener evangelischer Theologe, von 1805 bis 1807 außerordentlicher Professor an der Universität Erlangen, von 1807 bis 1809 an der Universität Heidelberg, dann dort bis 1811 und anschließend bis 1846 ordentlicher Professor an der Universität Berlin; er konformierte Karl Hegel. Er war in zweiter Ehe mit Friederike Marheineke, geb. Meves (1799–1880) verheiratet.
Twesten, August Detlev Christian11743931217891876Twesten, August Detlev Christian (1789–1876), in Glückstadt geborener Theologe und Philosoph, der von 1808 bis 1811 an den Universitäten Kiel und Berlin Philosophie, Philologie und Theologie studierte und 1813 promoviert wurde. Nach Tätigkeiten als Lehrer und außerordentlicher Professor an der Universität Kiel wurde er 1834 als ordentlicher Professor Nachfolger des Theologen Friedrich Schleiermacher (1768–1834) an der Berliner Universität, dessen Rektor er sechsmal war.
Dönhoff, Dr. N. N.-Dönhoff, Dr. N. N., Berlin, Potsdamerstraße 27.
Röper (Roeper), Johannes August ChristianJohannes Roeper11658384318011885Röper (Roeper), Johannes August Christian (1801–1885), in Doberan geborener Mediziner und Botaniker, der von 1816 bis 1823 an den Universitäten Rostock, Berlin und Göttingen studierte und im Jahre 1823 in Göttingen promoviert wurde. 1826 wurde er außerordentlicher Professor an der Universität Basel und war dort von 1829 bis 1836 Ordinarius. Anschließend war er bis 1885 ordentlicher Professor der Naturgeschichte und Botanik an der Universität Rostock sowie Direktor des Botanischen Gartens, dazu viermal Rektor und von 1846 bis 1880 Direktor der Universitätsbibliothek.
Hofmann, Charlotte, geb. Lameyer
Charlotte Hofmann, geb. Lameyer-1883Hofmann, Charlotte, geb. Lameyer († 1883), Ehefrau Johannes Christian Konrad Hofmanns (1810–1877), des ordentlichen Professors der evangelischen Theologie an den Universitäten Rostock und Erlangen.
Hofmann, Johannes Christian KonradJohannes Hofmann11870611X18101877Hofmann, Johannes Christian Konrad (1810–1877), in Nürnberg geborener evangelischer Theologe und Gymnasiallehrer, 1841/42 außerordentlicher Professor der Theologie an der Universität Erlangen, ordentlicher Professor an den Universitäten Rostock (1842–1845) und Erlangen (1845–1877).
Dadarding, D.-Dadarding, D., Karl Hegels Wirtin in Rostock.
Warnemünde54.1779039,12.0812875Von Rostock früh erworbener Ort an der Mündung der Warnow in die Ostsee, der den Zugang zum Meer sichern sollte und sich im 19. Jahrhundert zu einem Seebad entwickelte.
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Hamburg53.550341,10.000654Alte Hanse- und Hafenstadt an der Elbe, etwa 100 Kilometer vor deren Mündung in die Nordsee.
OberpräsidentKurzform für die Amtsbezeichnung „Oberregierungspräsident“, des höchsten Verwaltungsbeamten in den Provinzen des Königreichs Preußen.
Allgemeine Preußische Staats-ZeitungDas seit 2. Januar 1819 erscheinende Mitteilungsblatt der preußischen Regierung wurde ab 1. Juli 1843 unter dem Titel „Allgemeine Preußische Zeitung“ publiziert, ab 1. Mai 1848 als „Preußischer Staats-Anzeiger“ und ab 1. Juli 1851 als „Königlich Preußischer Staats-Anzeiger“.
Neues Luisentor; N. Luisen ThorSeit 1836 bestehender neuer Durchlaß der alten Berliner Zoll- und Akzisemauer.