Ich habe Dich lange darben lassen – aber um so dringender mahnt mich der 5te Juni an Deinen Geburtstag den ich eigentlich schon am Pfingsttag1 in der Stille gefeiert habe. Ich lege auf dieß glückliche Gestirn unter dem Du geboren bist2 einen besonderen Werth. „Was vom Fleische geboren ist, ist Fleisch – was vom Geiste geboren ist, ist Geist!“3 Gott lasse Seine Verheißung „Er wolle Seinen Geist ausgießen über alles Fleisch “4, auch an uns, wie an Seinen Jüngern erfüllt werden.
Ich denke indem ich dieß schreibe an Goßners Predigt am Pfingsttag – wo er sagte wie wir ein Tuch über den Garten spannen wollten und segne ich hier meinen Garten selbst …5 ! – – gerade so verhält sich die eigene Vernunft und der Unglaube zu dem Heiligen Geist und dem Lichte, das vom Lichte geboren und unsern von Gott abgefallen vom Teufel des Hochmuths verkehrte Vernunft erleuchten will –
So wünsch ich meinem geliebten Professor und mir und uns allen den Heiligen Geist zum Lehrmeister und Führer und meine, mein Pfingsttags Geburtstagskind müßte ihn schon zum Angebinde mitbekommen haben wenn sich die Herzenthüre nur aufmachen will und der Heilige Geist vor lauter Gelehrsamkeit, noch ein unbeschriebenes Blatt darin findet, wird Ees von den Seinen erkennen und Dir geben!
Ich will es aber nicht so machen, wie mein guter seelger Vater der uns vor der Geburtstagfreude erst noch unser Sünden Register vorhielt wobei wir dachten – was Du Dir wohl eben jetzt denken magst – oder vielleicht bist Du auch ein besseres Kind als ich es war. Ich komme ja nicht so oft mit dergleichen – sprich es nicht aus, was ich meinem Pfingstagkind alles erflehe denn ich weiß der Herr muß mir es zu Seiner Zeit geben –
Nun die Fürstin! ist seit Freitag hier, wollte die ersten Tage Keines von uns sehen, sie lag zu Bette im Rheinischen Hoff (Ecke der Leipziger und Friedrichstraße) Ließ mir sagen, ich sollte nicht kommen, sie würde mich selbst besuchen und kam am Sontag Nachmittag ins Kranken Haus zur Sybel und zu mir. Sie wollte nichts Unangenehmes berühren und war so heiter und liebenswürdig wie sie wohl aller Herzen gewinnen kann, und auch das Deine gewonnen hat, so gewahrest Du hier immer so – als „le terible Professeur!“ – Aber ich mußte doch ausrufen wunderbar! höchst wunderbar! Meine Strafpredigt nahm ich ganz dazwischen hin – und dachte der liebe Gott nimmt unsere sogenannten guten Werke nur für ein beflecktes Kleid an – was willst Du noch auf einen Dank rechnen, dafür daß Du für diese Frau 2½ Monate Dich ungetheilt hingegeben. Nur würde ich für den gehofften Dank und für die Liebe mit der ich mir und andern nur ihre liebenswerthen Seite und ihr Unglück hervorhob noch gar geklagt daß ich mich über sie beklagt hätte! und woher weiß sie oder sie vermuthet es, weil Dr. Orthman und Frl. v. Hochwächter manquiert6 haben, in den wenigen Stunden in denen sie Besuch machen, zu kommen – Daß sie die Hochwächter gleich aufgesucht und ihr versichert hat, was für ein treuer Hammel ich bin, hat sie, scheint mir wieder mit mir ausgesöhnt – – sie versichert mich wenigstens wieder aufs Neue ihrer Liebe.
Deine Adresse hab ich ihr mitgetheilt, sie wollte den ganzen Brief lesen und versicherte mir, Lob mache sie nicht eidel – Sie könne aber nur, wenn Du Christum angehörst (der Seinen Jüngern sagt „ihr seit meine Freunde“7) Deine Freundin seyn. Doch grüßt sie Dich herzlich und sprach mir mit vieler Liebe von Dir.
Sie reist den 8ten Juni – hat eine ältere Jungfer, die viel gereist ist und französisch spricht gemiethet. Der Wagen, den wir in allen Blättern und Gasthöfen ausgebothen, ist nicht verkauft – (…8 war er auch zu theuer –) Daher sie ihn, was das Beste ist behält – der arme Johann der sich freilich wohl schlecht zum Bedienten schickte – nicht aus Hochmuth sondern aus Unverstand – liegt nun an Nervenfieber Sache im Kranken Haus wo er Knechtsdienste verrichtete, mit dem Hundekarn die Vorräthe aus der Stadt holte, die Mistgabel in der Hand pp9 das Feld düngte und umgrub – Seine Anwartschaft auf die Mission ist noch eine sehr zweifelhafte, er ist noch nicht einmahl als Zögling aufgenommen – Seine Klagen über die Fürstin lassen uns ein just milleux10 finden, in dem beide Theile recht und unrecht haben – Er will lieber Hausknecht als einer Fürstin Bedienter seyn und hat recht daran –
Wie es unserer lieben Friederike und Flottwells geht, ersiehst Du aus beiliegenden Briefen11. Leider ist nach noch neueren Nachrichten durch Marheinekens, die von Hildesheim über Magdeburg vorgestern zurückreisten, Friederike an einem Gasterischen Fieber krank – der liebe Vater war in den Pfingsttagen dort und fand da Friederike in heftigstem Zahnweh, nerveus zitternd vor Schmerz – Elise noch immer matt und niedergedrückt – die Mutter bekümmert. So hat Manuels glücklicher Brautstand auch seine Trübungen – Der Vater Flottwell besucht mich öfter des Abends und hat mich aufgefordert für ihn das Bellvetère12 zu miethen, in dem er mit den Seinen des Abends den Thee bei mir trinken wollte. Ich bin in dieser frohen Aussicht schon im Besitz des lieben Still Plätzchens – hab den rothen Sopha und Tische, und Vaters Lehnstuhl, einen Mahagoni Schrank hineingestellt, Vorhänge aufgemacht und sitze nun in diesem heimlichen Gartenstübchen an der offenen Thüre – und schreibe an Dich – Dieß ist mir ein liebes Geschenk! Einen Abend war Flottwell mit M. L.13 schon darinnen – Sontags führte ich die Fürstin hieher und nachher kam Bunsen, mit dem sie sich lebhaft über alles Erlebte aussprach – Hirin ruh ich wenn ich vom Kranken Haus ermüdet zurück komme – Beide Thams sind in Marienbaad und wir beiden schwachen Frauen stehen dem Hause allein vor – Goßner und Tesmer helfen mit Rath aus. Hier gilts guten Muth behalten! Die liebe Sybel hat sich für October am Karlsbaad eine Wohnung gemiethet und geht den 1ten Juli mit ihren Kindern aufs Land und dann nach Heringsdorf – Wollte Gott uns eine kräftigere Hausmutter schicken! Sie setzt jetzt noch die letzten Kräfte daran – und nun wo sie scheiden will erwacht erst in ihr die Liebe, die ich so lange vermißte – Das Menschliche Herz ist ein verzagtes Ding, voll Wiederspruch!
Ich fragte sie ob sie nicht einen Geburtstagsgruß mitschicken wollte. Sie schickt ihn mir in Beiliegendem14 – erwiedere ihn freundlich.
Von der sonstigen Welt kann ich nicht viel sagen. Ich sehe nur Goßner an jedem Abend, Vormittag von 9 – 1 Uhr das Kranken Haus Nachmittag so oft die Sybel ausgeht wiederum Kranken Haus, frühstücke im Garten und ruhe und lese in den freien Stunden in dem Flottwellschen Salon. So verfliegt ein Tag nach dem andern unter manchen Sorgen, doch auch Segens- und Erquickungsstunden. Von den Nürnbergern schick ich Dir in meinem Geburtstags Paquetchen, das Morgen erst abgeht, Briefe mit – Manuels beide letzten Briefe folgen hier15 – daß wir doch am Geburtstags Morgen bei Dir sind! – Du liebes Geburtstagskind! Gott segne Dich! Gott gebe daß unsere liebe Friederike sich bald wieder erholt! Ich bin sehr besorgt um das theure liebe Kind – ihr leidiges Kopfweh und Zahnweh trübt ihr manche Stunde. Vater hoffte seine Familie bis 1ten Juli hieher kommen zu lassen aber Bodelschwing hat noch keine Wohnung – so mag es noch bis Michaelis16 währen. Er vermißt die Seinen schmerzlich – hat einen mühevollen Anfang – Doch ist er guten Muths – Er grüßt Dich herzlich.
Lebe wohl lieber Sohn! Es ist Mitwochs Conferenz und bald 3 Uhr!
Gott sey mit Dir! lieber lieber Sohn! Er segne und begleite Dich – lasse leuchten Sein Angesicht über Dir und gebe Dir seinen Frieden! Amen!17