Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 6. Juni 1844

Die Mutter kommt immer zu spät, das ist die alte Geschichte! –

Und so geht erst am Vorabend Deines Geburtstages2 mein kleines prosaisches und pur nützliches Geburtstags Geschenk an Dich ab – Zum Glück ist mein Brieflein Cito Cito3 noch den 5ten Juni abgegangen4 – so war doch die Mutter und ein Stückchen von Manu am Geburtstag bei Dir –

Die Tanten5 kommen nun noch hintendrein und begleiten die Sommer und Winter Weste und die Kragen – Laß sie Dir gefallen und trag sie zum Andenken an die alte Mutter. Unser lieber Manu kommt von dem Brautstand schon in die Ehestandssorgen hinein. Er pflegt seine Friederike und ist der Trost und Beistand von Mutter und Elise – der Minister der gestern Abend noch bei mir war, las mir die in den 3 letzten Tagen geschriebenen Briefe vor – Manu ergänzt und berichtigt den Bericht der Mutter – Friederike leidet fort und fort an Erbrechen, kaum bleibt eine Tasse Brühe – ist unsäglich matt, Kopfweh, Zahnweh – Schweiß – Schlaflosigkeit – ach ich fürchte sie ist sehr krank – | dürfte ich meinem Gefühl folgen, so machte ich mich augenblicklich auf und sehe selbst nach meinem lieben kranken Kind – aber helfen kann ich nicht – der besonnene Manuel leitet das Ganze und je mehr Köpfe je mehr Stimmen! – Die Behandlungs Art des Dr. Reiche, zu dem sie so viel Vertrauen haben, mißfällt mir – er hat an Klara viel versäumt. Elisa kann sich vom Gastrischen Fieber nicht erholen – Aber wo man nichts ändern kann muß man schweigen und sich damit trösten, daß doch nichts ohne Gottes Zulassung geschieht. Soll Friederike wieder genesen, was wir ja hoffen wollen, so kann Gott ja auch Reiches Mittel zu ihrer Genesung segnen.

Es ist Flottwell ein unschätzbarer Trost und Beruhigung daß er Manuel bei den Seinen weiß – seine Frau würde verzagen hätte sie nicht Manu – der alles über sie vermag – sie beredet sich …6 zu essen – der sie beruhigt – und dessen Liebe ihr so wohl thut – so schreibt sie selbst –

Flottwell kann nun doch zum 1ten Juli die Wohnung mit seiner Familie beziehen – Gott gebe daß bis dahin alle genesen | sind – Von Clara sind die besten Nachrichten da!

Wie viel will ich morgen an Dich denken Du lieber Sohn! und für Dich beten!

Ich bete mit nur für Zeitliches – nur für geistiges. Trachtet nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit so wird Euch alles Andere von selbst zufallen!7 –

Auch eine gute fromme Frau! –

Die ich Dir von Herzen wünsche –

Du hängst Dich an die schönen Seelen die Dir nicht werden können! und siehst Du einen kleinen Fleck oder Runzel, mißfällt Dir bei näherer Bekanntschaft dieß und das – so bist Du gleich im Extrem und wirfst das Kind mit dem Baad hinaus. O mir ist bange für die Frau, die Dir, wenn sie einen Scheffel Salz mit Dir gegessen hat8, nicht mehr so ideal erscheint wie in den ersten 5 Tagen –

Nun nichts für ungut – grüße alle und behalte das Beste! Du Sohn der Wahrheit! Leb wohl lieber lieber Sohn!

Gott sey mit Dir! und