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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Magdeburg, 7. Juli 1844

Lieber Karl!

Ich weiß nicht, ob Du auf einem anderen Wege von der Krankheit unserer Mutter Nachricht erhalten hast, fühle mich aber jedenfalls gedrungen, Dir hierüber zu schreiben, um Dich nicht in Ungewißheit zu lassen. Deine Besorgnisse, welche Du in Deinem letzten Brief1 über die angestrengte Beschäftigung der Mutter im Krankenhause ausgesprochen hast, sind leider in Erfüllung gegangen; sie hat sich in Folge einer Erkältung ein rheumatisches Fieber zugezogen, welches am Sonnabend vor acht Tagen2 gleich sehr heftig ausbrach. Da sie dabei Schmerzen auf der Brust hatte, so ließ ihr Böhm die Ader und setzte einige Blutigel. Die letzte Nachricht erhielt ich von Frau von Klitzing, worauf ich an Böhm schrieb, um über die Krankheit bestimmte Nachricht zu erhalten. Er hat mir seitdem fast täglich durch seinen Bruder Max Schulze Rapport erstattet; der letzte Brief desselben vom gestrigen Vormittage, welchen ich so eben empfangen habe, zeigt mir an, daß der Puls von 120 auf 100 Schläge herabgegangen, daß die Schmerzen auf der rechten Brustseite nachgelassen und die bisher trockene Haut in Transpiration getreten sei. Inzwischen erklärt Böhm die Gefahr noch nicht ganz beseitigt.

Vater Flottwell, welcher am Sonnabend vor acht Tagen hier angekommen und mir noch einen Brief der Mutter überbracht hatte, ist am Mittwoch3 nach Berlin zutückgekehrt, fuhr gleich nach seiner Ankunft zur Mutter, sprach sie auch auf einen Augenblick, weil sie ihn zu sehen wünschte, und hat seitdem täglich Nachricht hierher gegeben, indem er häufig hinausfährt und ihm außerdem Böhm jeden Morgen persönlich über ihren Zustand Bericht erstatten muß. Die gute Sybel hat für eine gute Wärterin gesorgt und leitet die Pflege. In allen Beziehungen dürfen wir überzeugt sein, daß nichts in Pflege und Behandlung versäumt wird.

Ich würde schon längst nach Berlin geeilt sein, wenn nicht sowohl Böhm als Vater Flottwell es mir untersagt hätten, indem sie es für das notwendigste halten, jede Aufregung der Mutter zu vermeiden. Auch soll die Mutter es selbst nicht wünschen. Inzwischen werde ich doch, wenn die Nachrichten nicht besser werden, unter allen Umständen hinübergehen, da ich es in dieser greulichen Ungewißheit und bei der Nähe nicht länger aushalten kann, daß ich durch ein ruhiges Benehmen einer nachtheiligen Aufregung vortzubeugen mich bemühen werde, glaube ich versprechen zu können. Auch bin ich überzeugt, daß meine Anwesenheit im Uebrigen der Mutter wohlthuend sein wird. Ich werde Dir nun einen Tag um den Andern Vorfälle oder größere Gefahr aber unverzüglich schreiben.

Hier geht es leidlich; Friederike ist fast ganz wiederhergestellt, obwohl das Zahnweh noch häufig wiederkehrt; Elise leidet jetzt auch an Zahnweh. Die gute Mutter Flottwell quält sich mit dem Einpacken der Sachen. Ein Kahn mit dem größten Theil der Sachen ist bereits am Dienstag abgegangen; die übrige Sache soll morgen verladen werden. Das Hauswesen ist daher in der größten Destruktion, und mein Beistand ist auch hier in vieler Beziehung nothwendig. Donnerstag wollen sie nach Merseburg fahren, um dort noch Augustes Grab zu besuchen; die Mutter fährt dann am Sonnabend nach Leipzig, wo sie bei Clara mit dem Vater zusammentreffen will und am Sonntag fahren sie endlich alle zusammen nach Berlin.

Gott gebe, daß sie dann unsere theure Mutter auf dem Wege der Genesung antreffen. Vater Flottwell bewährt sich auch bei diesem Ereigniß auf das herrlichste; er sorgt und bekümmert sich um die Mutter, wie um seine leibliche Schwester.

Lebe wohl, lieber Karl
Dein Bruder
 Immanuel