XML PDF

Friederike Flottwell an Karl Hegel, Berlin, 21. August 1844

Mein lieber Karl, mein Versprechen Dir von der lieben Mutter Nachricht zu geben, erfülle ich zwar etwas spät, aber da Du von der Mutter selbst ein Bulletin erhieltest, fand ich meine Zuschrift für sehr überflüssig; nun aber, habe ich Dir noch so Manches Andre mitzutheilen, was Dich erfreuen und interessiren wird. Von der lieben Mutter Befinden kann ich Dir übrigens, Gott sei Dank, Gutes sagen; sie nimmt doch täglich an Kräften zu, hat sogar schon zum erstenmal gewagt sich heraus zu machen, und war, zu unser Aller Freude zu meiner Mutter Geburtstag2 bei uns, von Morgen bis zum Abend; was ihr trotz der vielen Unruhe bei uns recht gut bekommen; dann ist sie am Sontag3 früh nach dem Krankenhaus gegangen, um Gossner predigen zu hören, ist aber ganz incognito dort gewesen, „ohne die Freuden des Wiedersehens zu kosten“, wie sie sagt. Nachdem ich nur von der lieben Mutter berichtet, wirst Du es wohl nicht so ganz unnatürlich finden, wenn ich von Manuel spreche, nicht wahr? und so kann ich Dir denn sagen, und das mit freudigem Herzen, daß seine Versetzung hierher nun bestimmt ist, und er ungefähr zum 1ten September seine Uebersiedlung von Magdeburg hierher zu unternehmen gedenkt, und damit wird dann die böse Zeit unserer Trennung aufgehoben sein4, und Du kannst Dich dann beruhigen, über die gewaltige Zeitverschwendung mit dem lebhaften Briefwechsel, der uns aber doch unendlich – freilich Dir noch unverständliche – Freuden bereitet hat, und man bewahrt in solchen Blättern einen Schatz auf, der für jede Zeit einen unaussprechlichen Werth in sich birgt, und für den ich gern den Schmerz der äußeren Trennung ertragen habe, aber natürlich: jedes Ding hat seine Zeit; und so bin ich auch unendlich glücklich in dem Gedanken, diesen schriftlichen Austausch durch einen mündlichen zu ersetzen, und mit meinem geliebten einzigen Manuel wieder vereint zu sein. Einmal haben wir uns übrigens in der Zeit gesehen, Manuel kam zu Mutter’s Geburtstag herüber, aber nur auf einen Tag, und doch war es ein reicher Sonnenblick. – Nun habe ich Dir aber noch zu erzählen, daß wir unsre Clara wieder bei uns haben. Vater holte sie von Leipzig ab, – es war ein recht bewegter Augenblick für uns Alle, das wirst Du Dir denken, sie muß aber noch recht sehr geschont und gehütet werden vor Aufregung und Gemüths Bewegung, was freilich schwer zu erreichen ist in unserem Hause, daher haben wir beschlossen, auf der Mutter ihren eignen Wunsch und liebevolle Anerbiethung, sie noch auf einige Zeit ihr zu übergeben, – aber noch weiter gehen unsre Pläne, und indem ich sie Dir mittheilen will, tritt mir die Größe ihrer Unbescheidenheit und Egoismus’s recht vor die Seele. Denke nur, mein lieber Karl, während der Zeit von Vater’s Abwesenheit, der früher als er gewollt, durch königliche Ordre, seine Reise nach Preußen schon gestern anzutreten genöthigt war, wollen wir Allesammt 5 an der Zahl, inclusive Mariechen, der lieben Mutter, wie ein Heuschrecken Schwarm über den Hals fallen! – Du schlägst die Hände über dem Kopf zusammen, und meinst: nun haben sie so über die Fürstin raisonnirt, und machen’s jetzt nicht besser, sind im Gegentheil noch großartiger in ihrer Unizität. – Nicht wahr so wird Dein erstes Gefühl sein? – aber dann, denke ich, wirst Du milder werden, und mir glauben, daß wir Alle nach Kräften streben wollen, der lieben Mutter dies Opfer so viel als möglich zu erleichtern; sie selbst hat solche Freude an dieser Idee gehabt, und in ihrer grenzenlosen Liebe und Selbstverleugnung hat sie schon alle Arrangements dazu getroffen; die beiden Mädchen werden in ein andres Quartier untergebracht, in einem Gartenstübchen, nicht weit von der Mutter Laube, und wenn Manuel kommt, soll er entweder oben, oder im Gartensalon logiren. Was sagst Du nun dazu? – ich bin ganz selig in diesen Gedanken, und freue mich auf diese Zeit der Ruhe ungemein, – gebe Gott nur besser Wetter, worauf wir warten. Nun kann ich nur noch die herzlichsten Grüße von Deiner Mutter, der Meinigen und Elise und Mariechen zufügen, und von mir ein herzliches Lebewohl und die Versicherung treuer schwesterlicher Liebe!

Deine Friederike.

Schreibe doch bald, wie es Dir geht, die Mutter wartet sehr auf Briefe von Dir.

Das versprochene Gedicht (von Rückert?5) bitte ich mir noch aus; mein lieber lieber Karl! Adieu!