Ich habe viel nachzuholen und zu erzählen – erst, daß ich durch Frau Professor Becker Brief und Uhr zugeschickt erhalten, und eben so Deinen Brief, den Gervinus durch Immanuel zugeschickt habe. Den 5ten September war der Geburtstag unserer lieben Friederike, dazu kam Manuel (der noch 14 Tage in Magdeburg bleiben muß) auf Flügeln der Liebe hieher, kaufte seinem Bräutchen eine goldene Uhr und Kette und ging auch noch mit Deinem eben angekommenen Brief zu Gervinus, dem er mit seiner hübschen jungen Frau auf dem Wege zum Concert für die …2 unter der Hausthüre begegnete, und diese dann wieder bis zur Sing Academie begleitete, wo ihm schon wieder Friederikchen entgegen nickte. – Es war daher nun ein langes Wiedersehen und Kennenlernen, doch fand er Gervinus viel stärker und wohler aussehend und die hübsche Frau fand er auch sehr hübsch und liebenswürdig, doch nicht so ätherisch wie er sie sich gedacht – Gar zu gerne hätte ich sie zu Friederikchens Geburtstag gebeten, aber Friederike war eifersüchtig daß ihr durch Gervinus‘ Gegenwart Manuel entzogen würde, es war ihr Gervinus‘ Gegenwart in dem Augenblick in dem sie bei mir Immanuels Ankunft erwartete schon eine gène3 – da ließ ich ihr ihren Willen und so waren sie am Geburts- tag Nachmittag beim schönsten Wetter in dem von Franzens bekränzten Salon bei mir allein – Mittags war Skaley und Macleains bei der Mutter, am Morgen schickte ich Blumen, Kränze und durch Manuel eine Sevigny, die ich als eine hübsche alterthümliche Fassung in Leitheim gekauft und mit den Brillanten eines Ohrenrings ächt gemacht habe – Der andere Ohrenring gehört für Deine Braut. – Wo werd ich sie finden? ists diese – oder eine Andere auf die ich noch warten soll? – Erzähle mir doch noch mehr von Frau von Senft und ihren liebenswürdigen Töchtern, vielleicht gleicht eine von ihnen dem Bilde, das ich im Traum gesehen –
Nun noch von der lieben Frau Gervinus – Sie waren erst bei mir, wie ich eben mit Flottwells nach Schönhausen fortgefahren war, daher ich ihnen einen Gegen Besuch machte, und sie auch verfehlte – Nun aber kamen sie Dinstag Abend wie wir eben mit Mutter Flottwell und den 3 Töchtern im Salon Kafee tranken und Manuel erwarteten wieder zu mir – und da hab ich mich ihrer Bekanntschaft recht sehr erfreut – sie schienen auch an mir und Flottwells Wohlgefallen zu finden, wir waren heiter und gesprächig beisammen bis zum Sonnen Untergang – indeß Friederike in sehnsüchtiger Erwartung am Fenster nach dem Garten hinsah und ihre Boten aussandte die ihr Manuels Ankunft zuerst allein verkündigen sollten – Die hübsche Frau konnte dieß alles mitfühlen und theilen, sie gingen aber doch, um nicht bei der Freude des Wiedersehens zu stören …4 fort, als Immanuel ankam. Sie ist stark geworden, ein vollwangig blühendes Gesicht, einfach, natürlich, anmuthig, heiter – wir sprachen viel von Dir – Wär es doch nur möglich daß Du noch während ihres Hierseyns bis den 20sten hieher kämst – meinten sie – Ich forderte sie auf nach Rostock und Warnemünde zu gehen, aber dazu sind sie nicht zu bewegen, so sehr sie es wünschen Dich wieder zu sehen – Beseler war auf einige Tage hier um Gervinus willen – hat mich aber nicht besucht weil die Zeit zu kurz war – Sie wollen auf einige Tage nach Stettin – fährt dorthin kein Dampfboot von Rostock aus? – Die Wasser Chur verdankt Gervinus seine Wiederherstellung – er sieht stark und wohl aus – hat sein Haus verkauft, weil er in Heidelberg wohnen und lesen will. Von Schmidt brachte er mir viele viele Grüße – er sieht ihn oft und trägt ihn mit Liebe – Aber Schmidt ist in Heidelberg auch nicht zufrieden – sehnt sich nach Berlin zurück – hofft noch im Ausland zu bleiben.
Ich habe Gervinus‘ gebeten mich zu besuchen so oft es ihre Zeit erlaubt und keine besondere Einladung und Gesellschaft zu erwarten, da ich noch nicht Gesellschaftsfähig bin als eine Reconvallescente – sie meinten aber sie sehen mir keine Kranklichkeit und Schwäche an und machten mir über mein Wohl Aussehen Complimente. Aber ich bin doch noch ein schwacher Held – Im Schweiß bei jeder Unterhaltung – und der Ruhe bedürftig. Ich habe Manuel und Böhm versprochen noch nicht ins Kranken Haus zu gehen – außer etwa zur Predigt – so sehr eine geistige Einwirkung und Ermuthigung von Seiten einer Mutter den Schwestern noth thäte. Die Neu Angekommenen fühlen besonders schmerzlich daß keine Mutter und Vorsteherin, bei der sie sich Raths erholen und die sie einführt, im Hause ist – die Thamm ist noch krank an einem Herz Übel – das versetzt mich wohl oft in ein recht schmerzliches Gefühl – Wenn ich auch schwach bin so kann ich doch noch wirken in Liebe – Warum nun ganz fort bleiben? – weil Ihr keine Garantie dafür habt daß ich mich wieder …5 und erliegen könnte? – Ich glaube Gott wird mir wenn Er mich dazu brauchen will Kraft dazu geben und will so lang ich diese Schwäche fühle, es wohl auch für eine Mahnung daß ich noch mag bleiben soll ansehen – aber mehr ein Gehorsam gegen Euch, als gegen Gott – entsage ich – und frage mich täglich ob ich recht thue und habe viel, für und wieder – „Wer sein Leben um Meinetwillen verlieret der wird’s erhalten“6. –
Ich habe indeß an Clara ein Pflegekind – sie wohnt seit des Vaters Abreise ganz bei mir und bleibt bis Manuel kommt – sie ist ein treffliches verständiges gemüthvolles Mädchen, die mir mit kindlicher Liebe7 ihr Innerstes aufschließt. In dem Gefühl wie viel ihr noch fehlt, wie weit sie noch zurück ist und wie urtheilnehmend, wie wenig sie sagen kann, bedarf sie einer kräftigen Ermuthigung und geistigen Pflege und Nahrung an der sie erstarken kann, nach der sie auch hungert und dürstet – Sie fühlt sich sehr zu Goßner, dem sie im Kranken Haus, von der Treppe aus, predigen hörte, und der sie so freundlich ansprach, hingezogen – aber ich muß um der Vorurtheile und um des Vorwurfs willen, daß sie die Frömmigkeit wieder verrückt machen könnte, sie von Goßner ferne halten – und denke, Gott kann auch mir das rechte Heilmittel für sie schenken, wenn ich dieses liebe Pflegekind zum rechten Arzt und Helfer bringe, zu dem sie ja auch selbst ihre Zuflucht nimmt.
Ich bin so heiter wie möglich mit ihr; unser Glaube ist ein freudiger – kein Kopfhängerischer. Bei mir allein ist es ihr auch am wohlsten, nur den Schwestern und der Mutter gegenüber ist sie oft still und zerstreut, was diese so besorgt um sie macht, da sie meinen, so hätte sich ihr Ubel angefangen – Doch gereicht es Allen zur Beruhigung daß sie so gern bei mir ist. Wenn Besuche zu mir kommen ist sie theilnehmend und spricht – ich sehe nichts Krankhaftes nur ein verzagtes schüchternes Glaubenskind, das noch nicht zur Freiheit der Kinder Gottes gekommen ist – sie reflektirt zu viel, findet überall Widerspruch: – so sagt sie mir wie sie in Leipzig nur zerstreut und oberflächlich gewesen wäre, Geringes habe ihrem Gemüth keine Nahrung gegeben, nur Jedoch Aeuserliches, durch Amusements und dergleichen sie von ihren …8 Ideen abgezogen – Das ist so die gewöhnliche Heilmethode! Desto nothwendiger ist aber für dies tiefere Gemüth, noch eine Zeit der Ruhe und Stille, in der sie zur Verschonung kommt und mehr …9. Dazu verhelfe ihr Gott! Daß die Mutter auf den Plan mit Allen zu mir heraus zu ziehen verzichtet hat weißt Du – Es ist um Clara und meinetwillen so besser – Sie kommen Nachmittag entweder Alle oder doch Eines – Da ist immer wieder die Freude des Wiedersehens und wir haben doch Vormittags und Freitag Abend Ruhe – Wir frühstücken jetzt bei den schönen Tagen in der Laube und sind viel im Salon, der, wenn er ausgelüftet und durchwärmt ist, besonders des Nachmittags ein lieblicher Aufenthalt ist.
Auf Deinen Vorschlag und Einladung nach Warnemünde wollte die Mutter und Friederike die ihren Manu erwartet nicht eingehen.
Die Sybel ist noch in Heringsdorf und ließ in dieser Zeit nichts von sich hören.
Es war Dir der Besuch von Marheineke in Warnemünde zugedacht aber sie sind nun nach Travemünde. Alexisbaad ist ihm wohl bekommen so daß er seine Schlag Anfälle nicht wieder bekommen hat, die sich anfangs so oft wiederholten daß die Arme Friederike unaussprechlich ängstig war.
Denke der arme Brecht hat seinen Sohn Alexander der Kreis Phisikus in Stetin war, hier am Nervenfieber verloren. Er kam von Helgoland krank hier an. Die junge Wittwe Mutter von 4 Knaben die ihn zurück erwartete wurde hieher berufen und kam zu seinem Tode – Zugleich legte sich die Mutter und starb 8 Tage nachher – Böhm war Freund und Arzt und hat sich an Brechts Fassung erbaut – der arme Franz hat alles besorgt und viel dabei gelidten –
Ich habe in Franz auch einen treuen Freund. Er nennt sich meinen Sohn und Fridolin. Grüßt Dich herzinnig – und freut sich so oft ein Brief und Gruß an ihn kommt. –
Dieser Brief blieb in meinem Schreibtisch liegen während 3 Tagen die ich bei Flottwells zubringe –
Die theure Mutter hat beim Einstieg in den Wagen einen schweren Fall gethan – Keine Verletzung, aber eine Erschütterung der inneren Theile, Herz Milz – sind besonders davon affizirt – Wir waren in großer Sorge – aber nd Doctoren und eine Wärterin – aber zur Beruhigung der lieben Mädchen bleibe ich in der Stunde der Noth bei ihnen – sie sind sehr gefaßt – thätig – und hoffen mit mir das Beste –
Gottlob scheint die Gefahr vorüber – alle Functionen stellen sich wieder ein – nur fühlt sie sich noch sehr matt – Es fehlt nicht an Pflege uDu sollst morgen das Weitere hören. Nur um die heutige Post nicht wiederum zu versäumen so viel in Eile.
Mitwoch.10