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Johannes Franz an Karl Hegel, Berlin, 21. September 1844

Theuerster Freund!

Wenn ich so arm an Freundschaft wäre, als ich karg an Worten bin, so würde ich mich fürchten, bei Ihnen in einen üblen Schein zu gerathen. Denn so lange schon habe ich gezaudert, ohne meine Versprechen zu lösen. Aber seit Ihrer Abreise von hier war ich durch die traurigen Erfahrungen der Böckh’schen Familie sehr in Anspruch genommen, und den Unfall, der das Flottwell’sche Haus jüngst betroffen2, wollte ich Ihnen nicht zuerst melden, um meine Correspondenz nicht mit einer üblen Botschaft einzuweihen. Glücklicher Weise hat sich das Übel so gewendet, daß ich Ihnen die allmähliche, wenn auch langsame Wiedergenesung der verehrungswürdigen Frau Minister anzeigen kann. Wie Sie wissen, wohnt gegenwärtig Ihre Frau Mutter bei ihr. Die kommt nur selten auf eine Stunde nach Hause. Ich besuche sie dort, so oft ich in die Stadt komme. Sie hat nun nur Gedanken für das Flottwell’sche Haus und das schöne Verhältniß, in welchem sie zu demselben steht.3 Diese geistige Beschäftigung wirkt wohlthätig auf sie. Ich finde sie im Ganzen sehr wohl und zu ihrem eigenen Vortheil verändert. Sie zeigt sich beruhigter in ihren Bewegungen und weniger aufgeregt. Das Nervenhusten scheint allmählich in eine natürlichere Thätigkeit zu kommen, wozu die geregelte Ruhe in dem Flottwell’schen Hause, wo sie eben so sehr geistig pflegt, als sie körperlich gepflegt wird, viel beizutragen scheint. In diesem Verhältnisse taucht nicht selten ein Lieblingsgedanke auf, nämlich der, daß Ihnen das Geschick vergönnen möge, bald ihrem Bruder nachahmen zu können. Wir sprechen häufig davon, und es ist natürlich, daß sie dabei gern lange verweilt. In dieser Hinsicht will ich denn auch hier die bescheidene Frage aufwerfen, ob vielleicht, da von Rostock wenig zu erwarten ist, Warnemünde eine schönere Aussicht dargeboten habe. Wenigstens scheint es mir nicht unwahrscheinlich, daß sich dort bisweilen die Liebesgötter magischer zusammenfinden.

Von Ihrem Befinden bin ich durch Ihre Frau Mutter immer hinlänglich unterrichtet worden. Da oft ein Brief von Ihnen kommt, werde ich freundlich zur Genossenschaft gezogen. Die Correspondenz Ihres Bruders geht, wie Sie leicht abnehmen können, nicht direct sondern bedient sich angenehmer Umwege. Nachrichten über ihn kann man sich gewöhnlich nur bei seinem zweiten Ich abholen. Dagegen hat er sich am 5ten dieses Monats persönlich gestellt. An diesem Tage haben wir das Vergnügen gehabt, die Frau Minister4 kennen zu lernen, deren Liebenswürdigkeit alles über- trifft, was man sich gewöhnlich von den hochgestellten Frauen vorstellen kann. Auch Fräulein Clara hat einen nicht minder guten Eindruck auf uns gemacht, als ihre Schwestern. Kurz, was sie und Ihr Bruder uns von dieser Familie erzählten, haben wir alles in hohem Maße bestätigt gefunden.

Meine Frau grüßt Sie freundlichst. Wir wünschen recht sehr, Sie bald wieder hier sehen zu können, nur mit dem Unterschied, daß Ihre Ankunft nicht wieder durch ähnliche Unfälle bedingt sein möge, wie sie es das letzte Mal war.  

In der Hoffnung, fortwährend so günstige Nachrichten über Ihr Wohl zu erhalten, wie bisher, verbleibe ich mit Freundschaft und Ergebenheit

Ihr getreuer
Franz