Geliebter Sohn! Meine Gedanken waren den 14ten November2, eben so wie die Deinen auf das Ewige, in dem der geliebte Vater uns fortlebt, und auf die Vergangenheit, die ich eine reiche Vergangenheit nennen möchte, hingerichtet. Ich war in den Abendstunden allein, wo sich wohl unsre Gedanken im Aufblick zu dem lichten Abendhimmel begegneten. „Ja der Herr führt es wunderbar, aber er führt es herlich hinaus!“3 Da verstummt jede Klage und wird zu Lob und Dank!
Sehen wir schon hier in dem wie es Gott geführt hat, eine Nothwendigkeit, einen Zusammenhang, (und sehen wirs mit Glaubens Augen) so wird es uns zur seligen Gewißheit, daß wir Gottes Kinder sind, die Er geliebt hat, wo wir ihn noch nicht kannten und liebten, mit Wohlthaten überhäuft wofür wir Ihm nicht dankten – mit Schmerzen unseren Willen gebrochen, doch waren es nur unerläßliche Schmerzen und nur Gedanken der Liebe! „Die Geburtsstätte eines neuen und gewissen Geistes“4, der frei werden soll, und wiedergeboren zur „herrlichen“ Freiheit der Kinder Gottes5 gelangen soll – wo es heißt Alles ist Euer! Es gibt nur das Wort der Wahrheit, das vom Himmel gekommen ist, glauben d. h. Ihn in uns aufnehmen, – Ihn, nur Ihn und damit Alles!
Ich wollte Du könntest in meinen Jubel mit einstimmen, Du lieber Herzens Sohn! –
aber Du freust Dich doch meines Glaubens!Ich war wieder ein wenig in der Kreuzes Schule – und möchte mich in solcher Zeit von den Leuten die sich um mich sorgen und mich bedauern gar nicht sehen lassen, je stiller es um mich ist, je wohler wird es mir – ich habe die seligsten Stunden, wenn ich mit meinem Gott allein bin und keiner mir und Ihm darein schwätzt und mich bedauert. Darum verspreche mir daß Du Dich nicht unnütz sorgst und beunruhigst, wenn ich alt gebrechlich Haus klagen muß, daß mir schon wieder Was fehlt – der alte Bello ist weg, ich huste gar nicht mehr, aber dafür habe ich Reuphmatismus6, und mußte wieder 8 Tage zu Bett liegen und sollte ihn ausschwitzen und da ich noch nicht ganz frei davon bin, hab ich noch Stuben Arest – – besorge aber dabei schon wieder meinen Haushalt, sorge für meinen Immanuel und für den lieben Georg, dazwischen erfreut und erquickt mich Friederikchens Besuch – und so freue ich mich der Liebe meiner Kinder und des frischen lebensfrohen Georgs den ich so lieb habe als wär er mein eigenes Kind – und vergesse darüber die kleinen Plagen. Nur das schmerzt mich, daß ich die mir so liebe Nachbarschaft und Verwandtschaft Goßner und die Kinder im Kranken Haus – der Haushalt in dem ich mich hinein geleibt und gelebt habe, entbehren muß – Goßner und Frau von Born, die jetzt an der Sybel Stelle im Kranken Haus ist, kommen wohl öfters zu mir, und es handelt sich da um manche Sorge; die Mädchen sind durch die lange Abwesenheit einer Hausmutter der Zucht und Aufsicht entwöhnt, sie regierten und es ging auch ohne Aufseherin und Mutter so daß sie meinten es könnte so fort gehen – und sind nun alle in Opposition gegen Frau von Born, die eine treffliche umsichtige aber strenge Frau – Mir ist dabei zu Muthe wie einer geschiedenen Frau in deren Haushalt nun eine Stiefmutter regirt – höre viel Klagen und kann nicht helfen. – Die Sybel kam erst Mitte October hier an – Sie war nach ihrem Aufenthalt in Häringsdorf, wo sie viel mit der Göschel und Gräfin Hahn und Reichenbach verkehrte, bei Ober Amtmann Karbe und andern Predigern pp perge perge und ist voll Freude und Dank über diese neuen Bekanntschaften und die Treue der alten Freunde. Ist mit ihrer neuen Wohnung und ihrer gefälligen Miete auch ganz zufrieden – hat einer älteren Pensionärin für Kostgeld ein Zimmerchen eingeräumt. Sie war einige mahl bei mir – und ich war auch ein mahl bei ihr, aber so wie es in Warnemünde war wird es nicht wieder! Sie ist in Liebe vom Kranken Haus geschieden und eingeladen so oft sie kommen will, aber sie kommt nicht – ich richtete ihr Deinen Gruß aus und sie grüßt wieder und möchte wohl auch auf den Schul und Confirmanten Bänken in Deinem Collegium sitzen!
Das freut mich, daß der liebe Magister so freundlich diese Vorlesungen vermittelt hat und wünsche einen recht befriedigenden Fortgang daß die schönen Damen mit Dir und Du mit ihnen im Vorhoff des Himmels versetzt werden, mit Dante7 –
Es war ja wieder eine Missions Versammlung bei Euch wie wir aus der Zeitung ersehen?
Der liebe Wichern war noch einmal auf ¼ Stunde bei mir – ermüdet von vielen Besuchen und vergeblichen und unfruchtbaren Bemühungen – doch war, was er angeregt hat vorbereitend und nächsten Sommer denkt er wieder zu kommen, wo es dann vielleicht an der Zeit ist mehr zu reden und zu handeln. Seine trefflichen Berichte hab ich nun erst mit um so größerer Theilnahme gelesen – schade daß sie so gar sehr ins Breite gehen, für das größere Publikum was einen kurzen Überblick über das Ganze mit größerer Theilnahme aufnehmen würde. Er gibt für den der ihm mit Treue folgt, freilich ein vollständig Bild von der trefflichen Einrichtung des rauhen Hauses – ein Muster zur Nachahmung! aber die Seele des Ganzen muß er selbst, oder ein anderer Wichern8 seyn –
Weiteres hat Dir mein geliebter Manu geschrieben – Könntest Du nur zu Weihnachten kommen, das ist unser Aller Wunsch! es würde Dich erfrischen zu neuem Fort Ackern! Denk ich!
Leb wohl lieber Herzens Sohn! und schreib bald wieder.