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Heinrich Wilhelm Stieglitz an Karl Hegel, Triest, 19. Dezember 1844

Theurer Freund! Daß ich ungeachtet meines Schweigens nicht müßig in Beziehung auf Ihre Wünsche war, werden Ihnen die umstehenden Zeilen des Professor Pirona aus Udine zeigen1, an den ich gleich nach Empfang Ihrer Junisendung2 mich wegen der Friauler Urkundensammlung gewendet hatte. Weniger ersprießlich waren meine Nachforschungen über Varchi und Nerli3, die in Venedig jetzt gar nicht vorhanden sind, in Padua aber kurz vor meiner Anfrage zu ziemlich hohem Preise verkauft waren – sie aus Florenz oder Mailand kommen zu lassen würde nicht rathsam seyn, da bei Nachfragen der Preis immer geschraubt wird, während man durch Zufall manchmal billig zu dergleichen kommt; ich habe Ihre Wünsche deshalb so wie auch über andere italienische Schriften die in Ihren Bereich fallen, genau an Favarger mitgetheilt, und dieser Wackere wird nicht verfehlen, Ihnen in vorkommenden Fällen Nachricht zu geben; überhaupt dürfen Sie in Allem, was italienische Litterattur betrifft sich zuversichtlich und in der Gewißheit bester Bedienung an ihn wenden. – Durch Favarger wird auch das gewünschte Exemplar des Zajotti’schen Werks (deutsch)4 an Sie gelangen, von welchem ich nicht befürchte daß es Ihr günstiges Vorurtheil zerstören werde; im Gegentheil, ich hoffe, Ihre gute Meinung wird dadurch in Ueberzeugung umgewandelt und Sie in dem Vorsatz bestärkt werden zu dessen würdiger Einführung ins Leben auch durch ein öffentliches Wort beizutragen. Wie sehr es mich erfreut, daß ein so Tüchtiger und Redlicher dieß Amt übernehmen will, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Sie werden aus dem mit reichen Auszügen aus Zajottis früheren Schriften begleiteten Vorwort so wie aus seinem nachgelassenen Werke gewiß den Mann schätzen und lieben lernen. Ihn ganz zu kennen muß ich Sie aber auch aufmerksam machen auf mein „Nachwort“ zu „Triest“ in dem eben jetzt bei Cotta erscheinenden „Istrien und Dalmazien“5, in welchem ich Alles ausgesprochen was ich unter österreichischer Censur nicht als zulässig erwarten durfte. Lassen Sie auch dieß „Istrien und Dalmazien“ Ihrer geistigen Obhut empfohlen seyn – es wird doch wohl ein Exemplar den Weg zu Ihrem äußersten Thule6 finden? – und nehmen Sie zum Voraus Dank für Alles was Sie Ferner Getreuer für meine Geisteskinder thun und zu thun gesonnen sind. Auch dem braven Immanuel meinen Dank für seine Bemühung um Zajotti, die mir aus den Magdeburger Subscriptionslisten deutlich hervorgeht – und zugleich meinen herzlichen Glückwunsch zu seiner schönen Zukunft, die ihm Gott gesegnen möge. Und Ihrer trefflichen Mutter, deren Andenken mir stets lebendig ist, müssen Sie mich auch vom Grund der Seele empfehlen. Recht erfreut haben mich die Mittheilungen über Sie und Ihre Lieben. Möchten Sie auch über sich einmal so erfreuliche Kunde geben wie über Immanuel!7

Sie wünschen Näheres von mir zu wissen, lieber Hegel. Was kann ich Ihnen aber von einem Menschen erzählen, dessen eigentliche Lebensfreude nur noch in Arbeit besteht, und dessen seit Jahren mit dem innersten Herzblut und der ganzen Fülle des Erlebten und Erlernten gewährten Hauptarbeit immer noch in Rückstand ist? – Wenn Ihnen mein „Venedig“8 einmal zu Handen kommt, dann haben Sie vorläufig den besten Theil meiner selbst. Ich hoffe, es wird an der nechsten Zukunft dem Erscheinen entgegenreifen, während es dieß ganze Jahr in seinem Wachsthum gehemmt war durch die Beschäftigung mit Zalottis Nachlaß und durch die letzte Ueberarbeitung der istrisch-dalmatinischen Wanderungen. Auch aus diesen werden manche Partien Ihnen darthun, daß ich mit innerem Schauen mich der venezianischen Geschichte hingebe, wie denn der Besuch gerade jener Gegenden durch mein Interesse für Venedig bedingt war. Zu meinem Lagunenasyl gedenke ich morgen zurückzukehren, nachdem der Zweck meines dießmaligen triestiner Aufenthalts – die Einleitung alles zum Druck des Zajotti’schen Werkes Nöthigen – nunmehr erfüllt ist. Wie lange ich dann noch südlich der Alpen weilen werde? – Darüber haben höhere Geister zu bestimmen, denn es hangt ab von der Vollendung meiner Venezianerarbeit – Dann erst darf ich zu Weiterem schreiten, das als lebendiger Keim wie in mir geschlummert – Uebrigens habe ich meine9 Wohnung in München niemals aufgegeben und gedenke zu seiner Zeit dorthin zurückzukehren. In Venedig treffen mich Briefe im Laufe des kommenden Jahres noch ohne Weiteres – durch Buchhändlergelegenheit auch sicher per Adresse Favarger, der mir auch dieses Blatt besorgt.

Ein von verschiedenen Orten Deutschlands mir zugekommenes Gerücht, das auch in einigen Blättern soll gedruckt gestanden haben, brauche ich bei Ihnen wohl nicht erst zu widerlegen. Sie und die mich wahrhaft kennen haben nie der Muthmaßung Raum gegeben, als könne nach dem neunundzwanzigsten December 183410 es mir jemals in den Sinn gekommen mich wieder zu verheirathen. Darum auch kein Wort weiter darüber. Die Entstehung jenes Gerüchts geht aus meinem innigen Freundschaftsverhältniß mit dem Zajottischen Hause hervor und hat, als ich nach des trefflichen Freundes plötzlichem Tode sogleich hieher zu der Familie eilte, bei denen sich zur Gewißheit herausgebildet, die an starke Freundschaft ohne äußere Zwecke nun einmal nicht glauben können. Ich beneide solche nicht. –

Und nun Gott befohlen, mein theurer Hegel! und darin der Inbegriff aller guten Wünsche. Daß Nachrichten von Ihnen mir stets ein willkommenes Geschenk seyn werden, brauche ich Sie nicht erst zu versichern; auch nicht, daß ich unveränderlich bleibe Ihr herzlich zugethaner

Heinrich Stiglitz