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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 28. Januar 1845

Lieber Karl!

Die Mutter war in der letzten Zeit so viel von häuslichen Beschäftigungen in Anspruch genommen, daß sie bis jetzt und auch heute nicht dazu kommt, Dir zu schreiben. Ihre Kräfte sind auf ein kleines Maaß reduzirt und was sie am Vormittag rührig und thätig und vielleicht etwas im Freien tut, dann kann sie am Nachmittag nicht viel mehr unternehmen, am wenigsten Schreiben, was ihr einen besonderen Kraftaufwand kostet. Doch hält sie sich sonst gut und ist ganz heiter. Nur das Mädchen, die Amelie macht ihr viel Beschwerden, indem sie träge und ungeschickt, eine fast fortwährende Beihülfe der Mutter in dem kleinen Haushalt nothwendig macht. Nach beendigter Wäsche, welche jetzt noch im Gange ist, wird Dir auch die Mutter schreiben und Deinen Schlafrock übersenden. Ein alter Frack ist allerdings in jetziger Jahreszeit ein unzureichendes Kleidungsstück. – Um Deine übrigen Aufträge gleich zu erledigen, bemerke ich, daß, als ich am Morgen nach Deiner Abreise bei Marheineke anfragte und die Mährchen zurücknehmen wollte, dieße schon Deinem Pathen übergeben waren, weil sie Marheineke für sehr passend gefunden hatte; das Buch, welches er schon besaß, soll anderer Art und längst verkauft sein und das Deinige dem Jungen Freude gemacht haben. Ich unterließ daher die weitere Umtauschung. – Von den Manuskripten über die Ansbachsche Synode kann ich Dir keine Exemplare weiter schicken, weil ich keine mehr besitze. Doch ist die Beschwerde in einer durch den Buchhandel für 3 Sgr Silbergroschen zu beziehende Beilage des Herolds, Wochenschrift von Biedermann in Leipzig, abgedruckt worden.1

Kierulf hat uns einen Tag vor seiner Abreise besucht; unter diesen Umständen war es nicht möglich, ihm eine Gefälligkeit zu erweisen oder zu seiner Unterhaltung unserer Seits beizutragen, wenn wir auch sonst dazu im Stande gewesen wären. Er war über eine Stunde bei uns und zeigte sich sehr liebenswürdig. Unseren Gruß wird er Dir wohl schon überbracht haben.

Die letzten Wochen sind in ihrem regelmäßig unruhigen Verlauf rasch verflogen; das Frühjahr rückt näher heran, welches einen großen Wendepunkt in meinem Leben mit sich führen soll. Bald werde ich anfangen, die Vorbereitungen in Bewegung zu setzen. Mit nächster Woche beginnt Friederike ihre Kochstunde bei Madame Hehn, einer Münchnerin, welche der Königin bairische Dampfnudeln kochen muß; der Kursus, an welchem auch Frl. Agnes Heffter und Math. Bopp Theil nimmt, dauert 2 Monate, in jeder Woche drei Vormittage; er wird besonders wegen der gründlichen Anleitung zur ökonomischen Haushaltung gerühmt. – Du wirst erkennen, daß dies ein wichtiger Fortschritt ist; in diesen Tagen will ich nun auch das Miethen einer Köchin mit möglichst vielen vortrefflichen Eigenschaften in Anregung bringen. – Vorgestern besahen wir ein Klavier, welches bei der Gewarten-Verloosung gewonnen war und der Vater für Friederike kaufen wollte, für 125 Taler; es stand aber im Ton sehr gegen unseres zurück, daher der Vater mit Recht vorzieht auch bei Knesch eins zu kaufen.

Politische Neuigkeiten gäbe es manche zu erzählen, aber wenig Erfreuliches. Neulich lernte ich auch Herrn von Senfft-Pilsach, welcher bei Flottwells Abends einen Besuch machte, kennen; er war sehr artig gegen mich und erkundigte sich nach Dir; er gilt hier für einen frommen Diplomaten, einen Mann, welcher das Gras wachsen hört. Manche unerklärlichen Entscheidungen führt man auf seinen Einfluß Allerhöchsten Orts zurück. Er zeigte sich übrigens bei jenem Besuch als ein vornehm gebildeter Mann.

Man ist sehr gespannt auf die bevorstehende Eröffnung der Provinzial-Landtage und mancher Kurven gewärtig. Auch die Entscheidungen über die große Preußische Eisenbahn und die westphälische Eisenbahn2 nehmen die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch; im Staatsministerium sind beide berathen und erwarten die Königliche Bestimmung. Vor einigen Tagen habe ich eine lange interessante Unterredung mit einem General von 3 à la suite des Königs gehabt, den ich durch 4 kennen gelernt habe und welcher in nächster Beziehung zum König sich bei dießem eines besonderen Vertrauens, auch in allgemeinen politischen Angelegenheiten erfreut. Er ist ein sehr feinsinniger Mann von edlem wahren Charakter; sein Einfluß wird aber durch viele andere entgegenstrebende Einflüsse unwirksam gemacht. –

Bei Flottwells ist Alles recht wohl; Friederike läßt Dich herzlich grüßen und läßt sich bei Dir für das Compliment bedanken, welches Du ihr gemacht hast, indem Du Dich freust, am Abend nicht von der Braut heimzukehren zu brauchen. – In Gesellschaften waren wir in dieser Zeit wenig; im Theater gar nicht, in der Singakademie einigemal im Oratorium und Symfonie Konzert. Heute Abend gehen wir zu Minister Eichhorn. Der junge Benary soll sehr bedenklich an der Zuckerkrankheit darniederliegen – erzählte die Bopp – Die Enzyklopädie5 erscheint in einigen Tagen mit einem Vorwort von Rosenkranz, welches sich Duncker erbeten. – Die Mutter und Georg tragen mir die freundlichsten Grüße auf.

Lebe wohl Dein Immanuel