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Georg Beseler an Karl Hegel, Greifswald, 14. Mai 1845

Lieber Hegel!

Unsere Correspondenz ist in letzter Zeit etwas ins Stocken gerathen; künftighin laß uns doch im lebhafterem Rapport bleiben, wenn auch nur schriftlich. Schlimm genug ist es, daß Du noch immer gezögert hast, die kleine Reise hierher einmal zu machen; ich hatte mir gedacht, Du würdest diese Pfingsten1 kommen, vielleicht mit Ackermann, – aber Du scheinst eben Philister geworden zu seyn. Hast Du einmal einige Tage Zeit und Reiselust, so komm! – Zunächst will ich mich über Deine guten Nachrichten freuen; Ihr scheint ja alle im gedeihlichen Wohlseyn und friedlicher, als es bei Euch Sitte ist, zu leben; auch die Fruchtbarkeit der Weiber bleibt dieselbe; ich denke mir, Du machst keine Anstalten zum Heirathen, weil Du einen Kindersegen, der über Deine Kräfte geht, zu gewinnen fürchtest. Concentrire dann nur Deine Potenz auf Dein Buch2, halte Dich aber von dem Vorurtheil frei, daß hier neun Jahre statt der bewussten neun Monate erforderlich sind, um das Kind mit auszutragen.

Die Arbeit wird gewiß in jeder Weise gut und ansprechend; nur fürchte ich immer, daß Du Dich zu lange in den Außenwerken aufhältst, und nicht entschloßen genug den Hauptpunct fixirst und Dich nicht entschließen kannst, zur rechten Zeit abzuschließen. Mir scheint, die Forschung muß zur Darstellung übergehen, wenn das Material da ist, welche das Quellenstudium gewährt hat, wißenschaftlich begründen zu können. Auf die Vollständigkeit dieser Begründung selbst, die mehr oder weniger Sache der Convenienz und Plagen ist, lege ich geringes Gewicht. Für Dich aber ist es vor Allem wichtig, daß Du bald etwas Tüchtiges leisten mußt; den Comparativ und Superlativ darauf zu setzen, behalte dir dann für spätere Leistungen vor. Das schreibe ich so hin, ohne freilich zu wißen, inwieweit es auf Deine jetzige Arbeit quadrirt; denn daß ich keine schwache von Dir wünsche, brauche ich nicht zu sagen. Also darauf los mit aller Kraft des Leibes und der Seele! – Ich komme jetzt wenig zur literarischen Beschäftigung für schriftstellerische Zwecke; das Rectorat3 nimmt zu viel Zeit in Anspruch. Doch bereitet sich während der Brache ein größeres Werk langsam nur: was ich früher gethan, wird dann als Vorarbeit nützliche Dienste leisten. Von der Zeitschrift für deutsches Recht4 erwarte ich täglich zwei Hefte; die lange Verzögerung ist mir unerklärlich; Reyschers Heirath mag die Verzögerung theilweise veranlaßt haben. Von mir kommen ein paar Aufsätze darin; auf den einen lege ich einiges Gewicht.5 – Daß Thöl von seinem Angriff abgestanden, ist mir ganz recht, obgleich ich mir wohl, wenn ich geantwortet hätte, einen leichten Sieg errungen. Denn an dem Puncte wenigstens, wo er mich treffen wollte, bin ich nicht zu verwunden. Überhaupt sehe ich das Volksrecht sich mit eigener Kraft seine Bahn verfolgen; der Gedanke ist einmal ausgegangen und wird schon seine Wirkung thun. Wie nachgiebig und defensiv stellt sich schon Stahl dagegen, der übrigens auch hier den eigentlichen Hauptpunct mißverstanden hat. Nicht das bloße Volksbewußtseyn vom Recht, sondern das im Leben und in den Lebensverhältnißen realisirte, sich bethätigende Volksbewußtseyn ist nur das Volksrecht. Die bloße Natur der Sache, der ein dem handelnden Subject abgehobener Begriff eines thatsächlichen Verhältnißes bleibt dagegen ein todtes Ding, ohne rechtsergänzende und rechtsbestimmende Kraft. So scheint mir Stahl auch Deines Vaters „Ideen“ aus wirkungsvollen Mächten in bloß abstracte Vernunftbegriffe um- gesetzt zu haben, – wovon dann freilich die logische Methode, die auch ich mir nicht zurechtlegen kann, Schuld gewesen seyn mag. Gerade Stahls Polemik hat mir aber Deines Vaters Rechtsphilosophie wieder lieb gemacht, ihre antike Staatsidee, vor welcher mir das fade Himmelreich ganz verblaßt. Wenn mich etwas hebt und hält, so ist es diese heidnische, griechische Freude an der Würde und dem Fortschritt des Menschlichen, und von diesem ist mir der schöne Staat edler Völker das Höchste. Dahin soll mein vaterländisches Bestreben gerichtet seyn, in aller Freudigkeit und Demuth. Das Beten und Sichkasteien und den Faden Lebensgenuß ohne höheres Ziel und Streben überlaße ich gerne den Weibern mit und ohne Hodensack. Leider Gottes sind die derweilen am Regiment, und es mag noch längere Zeit währen, bis in Deutschland die Herrschaft an die Männer kommt; aber kommen wird sie, die Zeit – –

Von Gervinus hatte ich jüngst einen lieben Brief. Den Ruf nach Jena hat er abgelehnt, fühlte sich froh in seiner Heidelberger Wirksamkeit. Im vorigen Semester hat6 er mit den politischen Träumern und Sternguckern gebrochen, so daß selbst der Erbprinz7 sich an ihm erbaut hat; jetzt soll in der nächsten Zeitgeschichte die Deutsche Politik ihr Theil bekommen. Er ist schon eine Macht in Heidelberg geworden, klagt nur über körperliches Leiden, „über das Wollen und Nichtkönnen“, wie Victorie es sehr naiv bezeichnet. Im Ganzen scheint er mir wohl und frisch, nach seiner Art wenigstens. – Dahlmanns8 sind zu Pfingsten nach Tübingen gereist, wo jetzt auch Herrmann bei Reyscher in der Lehre ist. Von diesem und Dorothee hatten wir hübsche Briefe, glücklich und heiter. Die Mutter Dahlmann bleibt ewig jung, und erfreut sich der nun ungetheilten Aufmerksamkeit des Alten.

Hier am Platz geht es uns gut in alter Weise. Frau und Kinder9 frisch und gesund, im Hause heiterer Frieden, und draußen eine ziemlich nichtsagende Geselligkeit. – Jahn hat einen Ruf als Academiker nach Petersburg erhalten10, was ihn hier gut stellen wird. Er wie Emilie und Baum grüßen freundlich. Empfiehl mich meinen Lieben und antworte bald.

Treulichst Dein GBeseler