Du hast recht lange nichts von Dir hören lassen, und kommst uns wie verschollen vor; wahrscheinlich bist Du vergraben in Deiner Arbeit, und willst Dich durch andere Gedanken darin nicht stören lassen. Doch müssen wir Dir von unserer Reise, unseren Genüssen und Freuden erzählen, um Dich vielleicht dadurch dem Leben der Weltkinder wieder zu gewinnen. Unser Wanderleben hat nun ein Ende, und unser häusliches Leben nimmt seinen soliden Anfang. Am Donnerstag, den 4ten September kamen wir hier wieder an. Den Reisebericht muß ich kurz fassen: den ersten Tag gings bis Merseburg, wo wir den Sonntag, 10ten August bei Trinkler gemüthlich verblieben. Montag mit Hauderer nach Cösen, dort den Mittag und Nachmittag mit Assessor Lobedam zugebracht, herrliche Spaziergänge in dem reizenden Saalethal (Rudelsburg) und am Abend bei Sternenhimmel noch bis Camburg gefahren. Dienstag über Jena, Rudolstadt bis zu dem romantische Schwarzburg, wo sich bei Friederike die alte Migräne einstellte, so daß wir einen Tag in der stillen Einsamkeit des Thüringer Waldes liegen blieben. Bis dahin war schönes Wetter; bei Regenwetter fuhren wir in einer gemüthlichen Kalesche durch die traulichen Thäler des Thüringer Waldes nach Coburg; am Frei- tag kamen wir um 2 Uhr Mittags in Bamberg an, und da das Wetter nicht günstig war und die Sehnsucht uns vorwärts trieb fuhren wir schon um 3 Uhr auf der Eisenbahn nach Nürnberg ab1, wo wir um 5 Uhr ankamen. Hier war nun große Freude des Wiedersehens; die Mutter scheint sich etwas mehr bekräftigt zu haben; sie kann doch mehr leisten als in Berlin; dabei sieht sie wohl und frisch aus und hat einen guten Schlaf. Es belebt sie die Freude des glücklichen Zusammenlebens mit den lieben Nürnbergern, und kann sich ihr ganz überlassen, da sie von häuslichen Geschäften und Sorgen dabei gar nicht in Anspruch genommen wird. Auch wird darauf möglichst gehalten, daß sie die gehörige Ruhe pflegt. Sehr liebenswürdig in dieser Beziehung zeigen sich die beiden lieben Mädchen Susette und Lina – jene die Wawa und diese ihre Wauwau genannt –, welche sie auf das zärtlichste pflegen, zu Bett bringen, bewachen etc. Friederike hat alle Nürnberger sehr für sich eingenommen, und durch ihr natürliches heiteres frisches herzliches Wesen ihre ganze Liebe gewonnen, besonders auch von Gottlieb, Thekla, Rosenhayn und allen andern. Der guten Mutter hat dies außerordentlich wohl gethan; sie war ganz glücklich darüber –
Wir haben nun in Nürnberg die schönsten glücklichsten Tage verlebt, wie ich sie Dir nicht zu nd einzig in ihrer Art werden sie mir unvergeßlich bleiben. Es versammelte sich almählich der größte Familienkongreß, der je dort beisammen war. Den alten Großonkel aus Linz fanden wir noch vor, denn Tags nach unserer Ankunft überraschte alle die Tante Rosenhayn durch ihr plötzliches Erscheinen, welche unvermindert kräftig und frisch 2 Nächte von Prag aus durchgefahren war. Sie ist etwas ruhiger geworden, nicht mehr so vergnügungssüchtig, in ihrer Art eine ausgezeichnete Frau, welche ich wegen ihrer Entschlossenheit, Selbstständigkeit, Klarheit und Bestimmtheit des Urtheils, Lebhaftigkeit des Verstandes und der Wahrheit und Treue ihres Gemüths nur verehren und bewundern kann. Sie ist jetzt 67 Jahre alt. Am folgenden Dienstag2 kamen die Leitheimer, Wilhelm, Frida mit 5 Kindern und Mutter Montperny, ein etwas anderes Genre als die Nürnberger; überaus freundlich, höflich komplimentär mit vielen Redensarten; vornehmlich die Mutter, dabei aber eine gute sanfte Frau, nur sehr eifrig katholisch. Frida, ihrem Bilde sehr unähnlich, etwas verblüth, aber noch sehr anmuthig; etwas zu beweglich und von vornehmen Manieren, aber ein kindliches frohes und inniges Gemüth. Zuerst wollten sie nicht recht passen; allmählig wurden ihnen aber die Komplimente etwas abgewöhnt, und es überkam sie mehr Aufrichtigkeit und natürliche Herzlichkeit. Die Religion bleibt jedoch eine große Scheidewand; denn auch Frida ist mit ganzer Seele und Leidenschaft katholisch; ihre Kinder sind sehr anmuthig und wohlerzogen, doch keine Zierpuppen.
schreiben vermag uAls es dem alten Onkel Haller in dem Familienkreis so sehr behagte, fiel es ihm noch ein, auch seine Frau mit Tochter und zwei jüngeren Söhnen von Linz kommen zu lassen, so daß zuletzt, bei den Tuchers 17 Verwandte als Gäste lebten; die Berliner und die Rosenhayn im Garten, die Leitheimer und Linzer in der Stadt einquartiert. Die ersten 8 Tage blieben wir in Nürnberg, gingen dann mit den Leitheimern und den Rosenhayn nach Henfenfeld, wo aber Benoit fehlte, welcher nach Ostende und England gereist war; wir hielten uns dort 4 Tage auf, machten eine Partie nach Simmelsdorf, wohin die Nürnberger auch gekommen waren; ein nächtlicher Aufenthalt war dort nicht möglich, weil der große Schloßbau gerade im Gange ist. Mit Deininger bin ich in Weissendorf, zwischen Erlangen und Burghaslach an einem Tage zusammengetroffen, wo wir einige Stunden zusammen recht gemüthlich verlebten; er hatte sich mit Frau und 3 niedlichen Kindern, ich mit Friederike eingefunden; er lebt sehr glücklich in seiner Familie; etwas stiller und sehr milde ist er geworden. – Am 2ten September reisten wir von Nürnberg wieder ab, sahen uns noch im schönen Bamberg um, und obwohl wir in Crimmitzschau eine ganze Nacht zubrachten, kamen wir doch schon am 4ten September hier an, wo wir von Flottwells mit großem Jubel empfangen wurden. Am 5ten feierten wir Friederikes Geburtstag. – Die Mutter stellt Dir es ganz anheim, ob Du Zeit und Lust hast, sie abzuholen; sie will in der Mitte Oktober mit Fräulein von Holzschuher3, welche sie in Altenburg absetzt, die Reise nach Berlin antreten; recht schön wär es, wenn Du sie begleiten könntest; doch will die Mutter von Dir kein zu großes Opfer verlangen; ich kann ihr auf der Eisenbahn entgegenkommen. Uebrigens würde es Dir in dem alten Nürnberg auch gewiß sehr behagen; die Stadt hat mich wieder im höchsten Grade interessirt, und in dem glücklichen Familienleben der lieben trefflichen Verwandten muß man sich recht wohl fühlen. So belebt und angeregt, wie wir, wirst Du ihn zwar nicht mehr finden; wir haben Dich oft dort in unsere Mitte gewünscht. Friederike hat sich auf der Reise recht wacker gehalten; bei vielen Strapazen war sie immer sehr wohl und hat nur einmal in Schwarz- burg Kopfweh gehabt. – Schreibe nun auch bald wieder. Lebwohl Dein Bruder Immanuel