Liebster Karl, es ist mir zu sehr Bedürfniß Dich auch ein bischen Theil nehmen zu lassen, an meines Herzens Freuden und Leiden, als, daß ich heut meines Manuels Brief könnte abgehn sehn, ohne mein Herz auch mit auszuschütten, über die herrliche Zeit die wir in Nürnberg zugebracht haben, und Dir zu sagen, wie hundertmal wir wünschten Dich, mein lieber Karl, mitten unter uns zu haben, damit Du Dein Herz auch so erfrischen und erfreuen hättest können, wie wir es gethan haben. –
Liebe, treffliche, seelenvolle Menschen habe ich, in den theuren Verwandten kennen gelernt2, die mich mit solcher Liebe in ihren schönen Kreis aufgenommen haben, daß ich ganz erfüllt davon bin; aber auch sie Alle, haben sich so gründlich und fest in mein Herz einzuschließen gewußt, wie ich es kaum hätte denken können; und so fühlen wir gegenseitig: daß wir uns einander angehören, in recht inniger, verwandtschaftlicher Liebe! – Geh nach Nürnberg, willst Du Gemüthlichkeit, Herzensgüte und Alles mögliche Gute und Liebenswürdige genießen, und daß Du nicht schon oft da warst, kann ich nicht begreifen, da Du die Menschen ja Alle kennst? Ich glaube vor Allem das Gottlieb’sche Paar besonders lieb gewonnen zu haben, obgleich, wenn ich an Siegmundt, an Wilhelm’s u. s. w. denke, könnt‘ ich meinen sie Alle gleich zu lieben, – doch ein gewisser Herzenszug führt mich zu den Erstern immer wieder zurück; Gottlieb so wie Thekla sind gar zu prächtig, und ich hoffe wir bleiben, trotz der Entfernung in rechtem regen, innern Verkehr, um ihren Einflüssen zu trotzen. Die für Manuel auch noch, neue Tante Frieda, ist ein höchst liebreizendes Wesen, mit einem ächt kindlichen reinen, frommen Gemüth, etwas excentrisch in ihrem bigott katholischen Glauben, aber diese Gluth dafür ist ihr so von Kindheit an eingetreufelt, und durchdringt mit solcher Freudigkeit und wahren Frömmigkeit ihre Seele, daß es nur rührend war, mit ihr über diesen Punkt zu sprechen, was wir sehr häufig thaten, weil sie ein großes Bedürfniß dazu hat, und mir solch Vertrauen schenkte, daß sie mir ihr Herz ganz offen hinlegte, wodurch sie mir sehr theuer und lieb geworden; durch die steifen, alt französischen Sitten und Manieren ihrer Gräfin Mutter (die aber au fond eine sehr gute wohlwollende Frau ist) hat Frieda auch äußerliche Formen angenommen, die wenig zu den natürlichen, herzlichen Nürnbergern passen, es verliert sich dies aber nach und nach, je wärmer sie wird, und die Kälte der Form schmilzt dann an der Liebe ihres Gemüths. Sehr liebliche Kinder3 hat sie, die aber auch sehr in den Gränzen der Artigkeit und Zartheit erzogen werden, was oft der Anlaß war zu heftigen pädagogischen Gesprächen zwischen den andern Vätern und Müttern. Aber diese große Kinderei ist sehr amusant, daneben die täglich eine Kindertafel von 14 Stück! unter ihnen (oder vielmehr außer ihnen) sind mir die beiden erwachsenen Jungfrauen Line und Susette zwei liebenswürdige Erscheinungen, jede in ihrer Art, man möchte am Besten sagen: die Eine ergänzt die Andre, und sie sind auch die beiden inséparables, selig wenn sie zusammen sind4; leider ist nun Susette mit Hallers nach Linz gegangen auf einige Zeit (wo auch eine erwachsene Tochter ist, ein gutes nettes Mädchen, Wilhelmine)5; ich denke mir die beiden Mädels am Liebsten vereinigt; Line mehr das stille, innige, liebende Gemüth – und Susette lebhafter, gesprächiger, geistvoller und dabei auch so Herzensgut. – Sie haben mich Beide ganz verwöhnt durch Liebe und Aufmerksamkeit, so auch die Mutter, die sie um die Wette pflegen; Gottlob war die gute Mutter so heiter und frisch, wollte immer Alles mit machen, durfte es aber nicht unter dem gestrengen Commando der prächtigen interessanten Tante Rosenhayn, die ihr stets den Daumen aufdrückte, wollte die Mutter über ihre Kräfte hinaus, – was oft vorkam! –
Das ist auch eine seltne Frau, von einer Großartigkeit des Charakters die zu bewundern und zu ehren ist; nun Du kennst sie ja genau, und theilst gewiß meine Meinung und Verehrung für sie? – ihr Abschied hat uns recht bewegt, wobei sie, diese sich ganz beherrschende Frau, ihre Gefühle so in die Augen treten ließ und auf den Lippen zeigte, daß wir ganz erstaunt und ergriffen von ihrer Herzlichkeit und Wärme waren; ach überhaupt war der Abschied von Allen so, als ob wir jahrelang zusammen gelebt hätten, und ich empfinde oft eine rechte Sehnsucht nach ihnen! –
In Henfenfeld war es auch sehr schön, die liebe Tante Luise erwies uns auch so viel Liebe und Freundlichkeit, daß es Einem recht wohl dort war; ich hoffe die Mutter zieht auch wieder hinaus, wo sie doch mehr Ruhe genießt, als in dem großen lebendigen Familienzirkel in der Stadt. Tante Sophie ist auch so gut, obgleich außen alte Jungfer, aber doch in liebenswürdiger Art; die arme Meier6 machte, bei all‘ dem Glück, was die Geschwister in ihrer Ehe und Hause genießen, einen wehmüthigen Eindruck, obwohl sie selbst so wenig wie möglich dazu thut, um es hervorzurufen, so bleibt Einem das Gefühl, wieviel sie entbehrt, und was sie im stillsten Innern ihres Herzens leiden mag, doch ein steter – Mitleidssporn! ihre 4 Töchter7 hat sie nun bei sich. Alles, bescheidene, anspruchslose Mädchen, ohne alles Äußere, aber gewiß recht liebenswerthen und achtungswerthen Eigenschaften; sie lieben die Mutter zärtlich, und unterstützen sie mit allen Kräften. –
Über all das Schöne und Sehenswerthe was ich sonst in dem alten Nürnberg gesehn, und kennen gelernt, mag ich nicht anfangen, denn sonst fände ich kein Ende, und da find ich auch nicht die geeigneten Worte zu, um Dir gegenüber, über diese Denkmäler der reichsten, interessantesten Kunst Zeit zu reden, aber entzückt bin ich über diese Herrlichkeiten – vor Allem der Lorenzer Kirche! Jeden Tag gab es so viel Neues, Schönes, daß ich oft ganz wirr war, von all‘ den Eindrücken, die bei mir gleich etwas Revolution in meine Empfindungen hervorbringen, eh‘ ich sie alle in mir bemeistern kann. –
Eine alte Bekannte von Dir, sah ich auch dort, Marietta Sick, ehemals Wisch8; sie hat mir ziemlich gut gefallen – aber! Du weißt schon ‘mal, wie schwierig ich bin, und zumal wenn ich Jemand mit besonderen Gedanken und Vergleichen betrachte. Sie wohnte den Sommer (in Abwesenheit ihres Mannes) von Ludwigsberg in dem geschmacklosesten Ding von ganz Nürnberg, diesem maurisch-orientalischen Sommerpalais ihres Vaters auf der Rosenau, ein verrücktes, abgeschmacktes Gebäude, an dem Nichts hübsch ist, als die reizende Aussicht vom Dach, weil Einem da oben nicht mehr das Menschenwerk stört. – Einen der heitersten Tage hatten wir in Simmelsdorf, was mir auch ganz besonders gut gefallen hat; wir, Wilhelm’s, die Rosenhayn und Tante Luise mit Line, fuhren von Henfenfeld aus herüber, und alle Andren Tuchers kamen von Nürnberg hin; wir trafen uns gegen 10 Uhr in Simmelsdorf, genossen etwas Leibliches, und setzten uns nun in Trab; gingen 20 an der Zahl, durch das reizende Thal nach Helene herauf, wo wieder ein ländliches, höchst vergnügtes Frühstücksmahl eingenommen wurde, die Kirche besehen, und dann wieder, längs den Bergen oben, zurück über Bitel9 nach Simmelsdorf, wo wir um ½ 5 Uhr ankamen, etwas erhitzt von der Mittags Sonne, aber auch entzückt und sehr heiter Alle gestimmt, was doch die Würze bei Allem ist – und war. Ein schöner Mittag erwartete uns, und dann zog wieder Jedes seinen Weg, in dem Gefühl einen frohen Tag verlebt zu haben! – Auch machten wir von Nürnberg aus eine Parthie nach Grindlack10. – Von unsrer herrlichen Reise durch das liebe schöne Thüringer Land, hätte ich Dir noch viel viel zu erzählen; ich blieb in einem Jubel über diese Gegenden, die prachtvoll belaubten Berge, u. s. w. u. s. w. – ich muß aufhören, denn sonst wirfst Du am Ende das Blatt ungelesen fort, es wird des Guten zu viel! Also adieu, Du lieber guter Karl! gehab Dich wohl, und bleibe auf Deiner Reise nach Nürnberg, zu der ich Dir hoffentlich Lust genug gemacht habe, nicht zu kurz in Berlin.
Viele Grüße von den Eltern und Schwestern für Dich sind mir aufgetragen.
Wir haben auch die Prediger Port und …11 Lamayer kennen lernen.
Hier zu Hause, ist uns wieder sehr sehr wohl und behaglich, das magst Du glauben, aber das Reisen war auch schön.
In herzlichster und treuster Liebe Deine Forella12.