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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Nürnberg, 13. September 1845

Wo soll ich nur anfangen und wie alles versäumte nachholen Du theuerer Sohn! – Ich denke mit Sehnsucht, ja mit recht wehem Herzen an Dich, – daß  Du uns bei unserem glücklichen Zusammenseyn fehltest und daß die Ansprüche so Vieler auf mich, Deine gerechten Ansprüche verkümmert haben, da die schwache Mutter Dir in dieser Zeit nicht einmahl schrieb – Aber es war dem armen dummen Kopf unmöglich – die viele Unruhe machte mich der Ruhe um so bedürftiger und nur so konnt ich es aushalten, und alles Liebe und Gute was uns in so reichem Maaße hier zu Theil wird, mitgenießen – und über dem vielen Hinlegen und Ausruhen zu dem ich verwiesen wurde und über den vielen Lieben denen ich in dieser Zeit doch auch so viel wie möglich angehören wollte, kam es eben Tag für Tag nicht zu schreiben – Vergib es mir, Du weißt ja doch mit welchem Herzen ich an meinen herzliebsten Sohn denke, und daß ich Keinem von Allen so angehöre wie Dir –

Friederike hat Dir wohl schon von ihrem glücklichen Hierseyn geschrieben2, wie wohl es ihr und Manuel hier war – welch ein liebes herzliches Zusammenseyn mit Tanten Cousinen Onkels und Vettern – deren Allerliebste sie war – Sie hat aller Herzen gewonnen und besonders mit Thekla und Gottlieb die innigste Freundschaft angeknüpft – und belebte durch ihre Heiterkeit die Gesellschaft, so daß eine ungewohnte Stille eintrat wie sie beide fehlten, weil Allen der Abschied von ihnen schwer war – und wenige Tage nach einander die Abreise der lieben Leitheimers3 und des guten Onkel Georg der mit den Seinen auch Susette mit fort nahm bevorstand – Nun verläßt uns auch die Rosenhain den 20ten und dann kommt endlich die Reihe an mich – Da wird denn wohl von allen den Lieben Hier sehr gewünscht Du möchtest doch auch noch kommen – Gottliebs4 Luise Siegmunds5 besonders beide Erstere die Dich so lange nicht mehr gesehen laden Dich dringend ein, mich abzuholen und können Dich jetzt ruhiger und ungetheilter genießen als zu der Zeit als das Haus voll war – und wie sehr würde es mich freuen – aber zureden – dazu bestimmen will ich Dich nicht – Die Zeit die Du Hier zubringen könntest ist für eine so weite Reise doch zu beschränkt – für weitere Ausflüge ist die schon sehr herbstliche Zeit, die kurzen Tage die Kälte die wir jetzt haben (die aber doch auch sich wieder mildern wird) nicht einladend – Die Sorge um mich soll Dich auch nicht bestimmen denn ich bin doch Gottlob kräftiger als ich war wie ich fortreiste und bin nicht allein da mich Frl. von Holzschuher6 die ein sehr liebes verständiges Mädchen von 20–22 Jahren ist bis Altenburg begleitet – Die Eltern hätten das mir gemachte Ansinnen keinen Falls angenommen, da sie bei ihrem Onkel Herrn Minister7 von Braun in Altenburg bis zur Zurückkunft ihrer Berliner Freundin bleiben soll – Von diesem bin auch ich eingeladen bei ihm auszuruhen – Die Eisenbahn bis Zwickau ist nun eröfnet, so kommen wir schon die 2te Nacht nach Altenburg – Nun wart ich auf Deine Entscheidung – aber wie gesagt – es muß Dich selbst freuen und Dir wünschenswerth seyn. Ich glaube wohl daß Du indeß wieder viel gearbeitet hast – es ist mir auch als wärst Du mir nicht so von innen heraus frisch, froh und frei da möcht ich Dich so gern frei haben in diesem labend warmen lieben Kreis – Gottlieb hat so oft ich ihn wiedersehe mehr an Tiefe und Klarheit gewonnen – so ist es mir – Es liegt ihm die Sorgen und Angelegenheiten der protestantischen Kirche wohl als ein wackerer Streiter am Herzen – er hat auf die Beschlüsse wieder eine kräftige Erwiederung geschrieben – wird zum Landstand8 gewählt wohl aber nicht die Bewilligung des Königs erhalten – Er macht einen Mittelpunkt um den sich viel treffliche Männer anschließen – Ja ich wollte Du kämest hieher – denn ich kann es gar nicht verschmerzen daß Du mir und meinen lieben Geschwistern hier fehlst – Du warst so lange nicht mehr in Nürnberg und zieht Dich nicht so eine Veranlassung so kommst Du in Jahr und Tagen nicht wieder dazu –  – Glaube aber nicht daß ich sonst Was in betto habe – ich habe hier Keine gefunden von der ich mir denken könnte daß sie Dich ganz befriedigt – Susettchen ist bis Ende October in LinzLina ein liebes gemüthliches Kind – aber in so nahem Verwandtschaftskreis gilt es hier, wie ich gelegendlich gehört habe für etwas sehr Bedenkliches –

Ich denke daher wahrhaftig nicht daran und wünschte auch nicht daß wir uns da einen Korb holten und das Herz festhalten – Fürchte daher nicht daß Dich solche Gedanken und Wünsche Dir hier entgegenkommen –  –  – Marietta war hier, ist aber schon abgereist – wie dank ich Gott daß hier Dein guter Genius Dich gewarnt hat910 Schwester Frl. Lameier hab ich hier kennen gelernt – sie ist ein liebes aber ein colosales und wie mir scheint sehr entschiedenes charakterfestes Mädchen – Einen Antrag der ihr gemacht wurde eine Stelle als Erzieherin anzunehmen hat sie abgewiesen, sonst hätten wohl Siegmunds gerne auf sie reflegtirt –  –

Den 18ten bis 24ten dieses Monats wird die Naturforscher Versammlung hier seyn, Manuel hat Reiche angemeldet – dieser und Jusdinus Kerner und Dr. 11 aus Weinsberg werden Gottliebs Gäste im Haus seyn – Die gastfreien Brüder haben so immer das Haus voller Gäste und die lieben Frauen beschicken die Sorge dafür mit so viel Leichtigkeit und Liebe – So haben sie für die Verwandten 19 Gastbetten gerichtet und alle so comfortabel eingerichtet daß jedes sich wohlfühlte – Onkel Gottlieb mit Frau und Tochter und 2 Söhnen – die Leitheimer mit Mutter Frau und Mann und 5 Kinder 2 Domestiken – die Rosenhayn Manuel und Friederike und mich – die beiden erstern Familien im Haus – uns im Garten – wir frühstückten bei Siegmunds und aßen mit allen gemeinschaftlich ohne Kinder 20-Personen abwechselnd bei Siegmund und Gottlieb – die einen Tag den Kindertisch von 16-Kindern den andern die Großen bewirtheten – Es ging dann auch nach Henfenfeld auf 4 – 5 Tage und einen Tag nach Simmelsdorf – Doch von dem allen hat Dir wohl Manuel und Friederike berichtet – Es war eine recht glückliche Zeit – kein Hauch von Trübung, alle in herzlicher Liebe froh dieser schönen Vereinigung – Daß ich diese bewegte Zeit so gut überstanden beweist wohl daß meine Nerven erstarkt sind – Freilich wohl machte ich nicht alles mit und pflegte dazwischen der Ruhe – Nun gehe ich noch mal nach Henfenfeld – bleibe indeß noch bis zur Abreise der Rosenhayn hier –

Von der Nachricht die ich von Dir erhalte und die Du mir nicht lange mehr vorenthalten darfst ob Du kommst oder nicht? – hängt meine Rückreise ab – kommst Du nicht so geh ich in der 1ten Woche October – theils wegen meines Mädchens die mir zum 1ten October vermiethet wird und die ich wieder zum 15ten fortschicken kann, wenn sie nichts taugt theils wegen Georg der Mitte October zurück kommt. Die12