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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 27. September 1845

Lieber Karl!

Ich danke Dir herzlich für die freundlichen Glückwünsche zu meinem Geburtstag1, dem ersten, den ich mit einer Frau gefeiert habe.2 Die Freude meiner Friederike an diesem Tage war auch meine Hauptfreude und machte ihn mir zum festlichen Tage. Daß ich sie zum Weibe gewonnen, mußte mich gleichfalls zum Dank gegen Gott stimmen, welcher mir im verflossenen Lebensjahre dieses Glück geschenkt und dadurch mein Leben auf so unendliche Weise bereichert hat. Dieses Glück fühle ich mit jeden Tage mehr, und entfaltet sich immer reicher.

Von der Mutter habe ich gestern einen Geburtstagsbrief erhalten, welchen sie am 22ten in Henfenfeld geschrieben hatte. Sie will, indem die Tante Rosenhayn am 29ten dieses Monats abreisen wird, am 7ten October aufbrechen, und zwar in Begleitung des Frl. von Holzschuher3, welche bis Altenburg und dem Frl. Lameyer, deren Freundin, Schwägerin von Hoffmann, welche bis Cöthen mit ihr geht. Wahrscheinlich werde ich ihr auf der Eisenbahn entgegenfahren. Sie macht einen Ruhetag bei Minister Praun in Altenburg, welcher sie dazu eingeladen hat und kann dann am 10ten oder 11[ten hier eintreffen. – Eigentlich könnte sie nun erst nach Abreise der Rosenhayn und aller übrigen Verwandten die Tage der Ruhe zur Erholung anfangen und genießen. In späterer Zeit aber möchten die Tage zu kurz und das Wetter zu rauh zur Reise werden; außerdem will sie das Dienstmädchen, auch eine Friederike, welche ich ihr zum 1ten October gemiethet habe, nicht zu lange allein in der Wohnung lassen. –

Von Georg sind in Nürnberg Briefe aus Bergen in Norwegen angekommen, worin er sehr entzückt über die herrlichen Küstenländer Norwegens schreibt. Dr. Böhm erzählte mir hier, daß er mit Professor Dönniges in Norwegen zusammengetroffen und die Reise fortgesetzt habe.

Inzwischen ist auch Vater Flottwell in Nürnberg gewesen; er machte auf seiner Reise nach der Rheinprovinz diesen Umweg, um unsere lieben Nürnberger zu besuchen. Er kam am 14ten Abends, nachdem er am 13ten Morgens hier abgereist war, in Nürnberg an und blieb dort den 15ten – Leider hatte er sehr schlechtes Wetter, gefiel sich aber sehr in dem Tucherschen Familienkreise; zu seiner Begleitung hatte er Hermann und Assessor Hoene mitgenommen. Er ging dann über Heidelberg nach Saarbrücken, wo er sich über mehrere Eisenbahn- und Kanalprojekte informiren wollte, ferner nach Trier, Coblenz, Siegen, Bonn bis Cöln, und wird über Mainz, Frankfurt und Erfurt zurückkehren, alles sehr im Fluge, da er am 3ten October schon wieder zurücksein muß. – Mutter Flottwell ist inzwischen am 22sten dieses Monats mit den Schwestern und Nichten nach Merseburg zu Trinkler gegangen, so daß wir nun ganz allein hier sind.

An meinem Geburtstage hatte uns Geheim Rat Schulze zu Mittag eingeladen, welcher von Bad Ems zimlich erholt zurückgekehrt ist. – Mit Marheineke geht es unverändert; er wohnt noch immer auf dem Creuzberge.

Ich weiß nicht, ob ich Dir schon im letsten Briefe geschrieben habe, daß Freund Reinhold Schmidt mit Frau und Kind wieder hier ist; er hat wirklich das Auswanderungsconsens aus Rußland erhalten und will sich nun hier niederlassen und das Preußische Staatsbürgerrecht erwerben. Seine Frau ist guter Hoffnung, was ihn beunruhigt, da die erste Entbindung so schwer war. – In Heidelberg konnte er es wegen der dortigen philosophischen Dürre nicht länger aushalten, hat aber sonst dort angenehm gelebt und besonders mit Gervinus und Schloßer viel verkehrt. Aus diesem Umgange sind ihm einige philosophische Ideen entsprungen, welche er nun in einem deutschen Jahrbuch veröffentlichen will. Uebrigens ist er ganz der Alte, findet aber auch hier überall nur politische und wenig philosophische Interessen und wird wohl sehr einsam stehen. Mit seinen Augen geht es noch dazu immer schlechter.

Beseler war vor 14 Tagen hier und hat auch mich besucht; er wird wohl inzwischen nach Rostock gekommen sein.

Von politischen Neuigkeiten kann ich wenig berichten; man sagt, daß Bodelschwingh doch Minister des Innern werden solle; im liberalen Sinn würde er nicht verwalten, vielmehr rücksichtslos gegen die öffentliche Meinung und mit barschen autoritairmäßigen Formen. Ueber den Reichsständen schwebt noch immer ein undurchdringliches Dunkel. – Der König und seine Umgebung bewegen sich in blindem Leichtsinn, ähnlich 4: die Verhältnisse des Staats werden in der That sehr verwickelt und das Ansehen des Throns und der Regierung möchte sehr gefährdet werden, wenn man die bisherige Verwaltungsmaßnahme durchsetzen will. – Die Landtagswahlen werden vor dem November nicht erfolgen. – 5  Wiedereintritt ist nicht unmöglich, doch ist viel von ihm nicht mehr zu erwarten. –

Deinen Brief an die Mutter habe ich vorgestern weiterbefördert. – Wenn Du schon im October herkommst, was uns sehr freuen würde, da schreibe es mir nur zeitig, damit ich im Hause der Mutter die notwendigen Einrichtungen treffen kann. – Die Prioritätsaktien, welche Du gekauft hast, sind ein gutes Papier – ich würde auch Anhalter Aktien kaufen und sie stehen jetzt 126 %. – Ueberhaupt scheint jetzt eine gute Zeit zum Einkaufen von Eisenbahnaktien zu sein und wird es auch zunächst bleiben, da die neuen Bahnen viel Capital wegnehmen. – Friederike hat jetzt große Wäsche, ist daher voll beschäftigt und kann nicht schreiben. Sie grüßt Dich aber herzlichst, und ist recht wohl und munter.

Leb wohl Dein Bruder Immanuel.