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Karl Hegel an Immanuel Hegel, [Rostock], 12. Oktober 1845

Lieber Manuel!

Du hast richtig vermuthet, daß ich in diesem Spätherbst nicht mehr zu Euch kommen würde. Weihnachten scheint mir eine schönere Zeit des Besuchs zu sein. Dazu halten mich die jetzigen Ferien noch bei meiner Arbeit fest, die ich im rohen Entwurf in diesen zu vollenden denke. Den Winter werde ich zur Revision und Abrundung noch ganz verwenden müssen und im nächsten Sommer hoffe ich das Ganze, das Werk mehrerer Jahre, gedruckt zu sehen.1 Es erstreckt sich über einen Zeitraum von nahe 12 Jahrhunderten, welchen ich in den Quellen geschichtlicher Kunde d. i. gleichzeitigen Schriftstellern und Urkunden sowohl, wie in den neueren Werken, die in Deutschland, Italien und Frankreich darüber erschienen sind, mit gleichmäßiger Berücksichtigung dieser Länder, durchgenommen habe. Meine Geschichte beginnt mit dem Ende der römischen Republik und hört auf mit der Zeit Friedrich Barbarossa’s, da die italienischen Städte sich ihre Freiheit gegen den Kaiser erkämpften. Ich glaube damit nicht nur für die Entwickelung des italienischen Städtewesens, woraus das moderne Staatsthum hervorgegangen ist, sondern auch für die Verknüpfung des Romanismus und des Germanismus, der alten und der neuen Welt, eine neue Ansicht auf- und festgestellt zu haben. Ich sehe das Resultat, daß das neue italienische Leben in den städtischen Republiken auf rein germanischen Grundlagen, mit schwacher Färbung römischer Traditionen, welche erst durch das Wiedererwachen classischer Studien im 12 ten Jahrhundert auf neue und phantastische Art angeregt wurden, nicht gesucht, aber gefunden und ich hoffe, zu entschiedenster Überzeugung gebracht. Wenn ich der Sache durch ihre Bestätigung in allen einzelnen Momenten der Entwicklung nicht so völlig gewiß geworden wäre, so könnte es mich bedenklich machen, daß dadurch ein Hauptwerk Savigny’s mit Allem, was sich dieser Autorität seit lange auf Glauben angeschlossen hat, – seine Geschichte des Römischen Rechts2 zum großen Theil wie ein Kartenhaus umgeworfen wird.

Es würde mich freuen, über diesen leidigen und unfruchtbaren Romanismus auch in der historischen Wissenschaft einen entscheidenden Sieg zu gewinnen, mir das fortschreitende deutsche Leben und die deutsche Rechtswissenschaft ihrerseits ihn immer mehr in die Enge treiben. – Wir leben in einer bewegten und anregenden Zeit und ich hoffe, wir werden noch Großes, wirkliche Fortschritte und Thaten, in ihr erleben; vielleicht erhält Deutschland durch die politische Entwicklung in Preußen einen neuen Aufschwung zu der Größe, die ihm durch die Geisteskraft seiner Nation angewiesen ist. Die Elemente, die sich noch dagegen stemmen, zeigen durch ihre schwankende Unsicherheit, daß sie werden überwunden werden. –

Ich habe dieser Tage oft an Euch gedacht und einige Mal haben mir die Ohren geklungen. Die theuerste Mutter ist nun doch glücklich und wohl angekommen? ich möchte recht bald darüber eine beruhigende Nachricht von Euch erhalten. So findet sich nun Alles wieder zusammen; und da auch Deine Schwiegereltern zurückgekehrt sind, so wird Dein häusliches Leben zwischen den beiden elterlichen Häusern nun erst seine bestimmte Gestalt und Ordnung annehmen. Möchte sich das zur allseitigen Zufriedenheit einrichten lassen! wenn aber dieser Wunsch einen Zweifel in sich zu schließen scheint, so ist dies nur so zu verstehen, daß doch die großen Entfernungen des Weges einige Bedenklichkeit in dieser Beziehung nicht völlig ausschließen.

Grüße Freund Schmidt recht herzlich von mir. Ich wünschte, er hätte statt seiner „Bedenken über die Philosophie“ ein andres Thema gewählt.3 Es gilt jetzt nicht die Waffen gegen die Philosophie zu schärfen, die ohnehin daniederliegt, sondern ihr Princip, das des freien und vernünftigen Denkens zu vertheidigen gegen den Obscurantismus und Positivismus, hinter den sich ebenso häufig das Legitimitätsprincip und der Absolutismus verbergen, wie hinter dem Rationalismus die sogenannten „destructiven Tendenzen“, welche man jetzt beständig im Munde führt. Philosophischen Trost wird wohl Freund Schmidt auch in Berlin nicht finden.

Ich hatte vor kurzem Beseler einige Tage bei mir, nachdem er Dahlmann in der Nähe von Lübeck besuchte. Es hat mich gefreut, daß Du ihn in Berlin gesehen hast. Ein tüchtiger Mensch aus ganzem Stück! der mir immer mehr werth wird, je länger ich ihn kenne; ein fester Charakter, nichts kleinliches an ihm, mit allen Kräften gespannt auf die Aufgaben der Gegenwart und was für Kräfte! den meisten Menschen, die ich kenne, durch Verstand und Fassungskraft und mehr noch durch die Sicherheit und den Takt, womit er das Richtige sieht und ergreift, überlegen. Ich wünsche und hoffe, daß er bald einen größeren Wirkungskreis erhält; er würde jeden Posten im Staate, sei es als Lehrer, sei es auch als Staatsmann Ehre machen. Davon bin ich fest überzeugt. Er war von Dahlmann begeistert, er hat ihn in voller körperlicher und geistiger Kraft gefunden, nachdem er so eben sein Werk über die französische Revolution abgeworfen.4 Du hast das doch gesehen und gelesen? Thue es doch bald, wenn Du es noch nicht gethan. Es verdient in gegenwärtiger Zeit nichts mehr von Allem, was erschienen ist, gelesen zu werden. Welche Herrschaft über den viel behandelten und nie so bewältigten Stoff! welche Kraft des Urtheils! welche politische Lehre für die Gegenwart auf jeder Seite! Wenn man daraus nichts lernt, so lernt man niemals etwas aus der Geschichte. – Dieser Mann müßte auch wo anders stehen, als wo er ist. Doch für jetzt haben noch die Mittelmäßigkeiten den Vorzug, die alten Landstraßen – man spricht ja immer noch vom Heiligen 5 als einem tüchtigen Meister!

Beschwerlich waren mir bei dem erfreulichen Besuch nur die vielen Gastereien, Fressereien geradezu, die er herbeiführte, nachdem sich Hofmanns eben nur zur Stadt hinaus und bei allen Freunden, wo meist dieselben herhalten mußten, durchgefressen hatten! Was sind wir Deutsche doch für ein Freßvolk und die Mecklenburger vollends, gegen welche die Berliner hungrig sind!

Wunderlich hat mir auch von Euch Grüße gebracht. Freilich ist das Schicksal seines Bruders sehr beklagenswerth, wenn das Übel seiner jungen Frau wirklich ein bedenkliches ist, woran man hier immer noch nicht recht glauben will, da man sie nur als kräftiges, breitschultriges und blühendes wie heiteres Mädchen gekannt hat.

Die Kartoffelkrankheit ist auch hier zu Lande sehr verbreitet und macht meinen Collegen Röper und v. Blücher, Botaniker und Chemiker, mit ihrer Untersuchung viel zu schaffen. Von eigentlicher Hungersnoth ist indeß nichts zu fürchten, da die Getreideernte über die Maaßen reichlich ausgefallen ist. Röper, der auf Vorschläge und Mittel aller Art bedacht ist, um den Armen zu helfen, ist nun auch auf den Einfall gekommen, diesen ein Rezept von bairischen Dampfnudeln verschreiben zu wollen, wozu sie ihr Mehl auf die schmackhafteste Weise verwenden könnten. Er wünscht deßhalb ein Rezept von der lieben Mutter. Theuerste Mutter, wie erweitet sich Deine Wirksamkeit! Doch habe ich meinen Freund schon auf die Schwierigkeit der Dampfnudelbereitung aufmerksam gemacht, die ich aus der Erinnerung ihrer bisweiligen Festigkeit (auch Friederikchen soll ja, wie Fama sagt und es der Polterabend bewiesen hat, ein Mal Unglück damit gehabt haben) hinlänglich kenne. Auch habe ich nicht verfehlt, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er sich bedeutend lächerlich machen könnte und seinen Feinden Stoff des Spottes geben würde. Das wird ihn wohl auch abhalten, mit dem Recept hervorzukommen. Indeß bitte ich innig um das Recept, um meine Schuldigkeit zu thun und wenn nicht für die Armen des Landes, die sich ihre Klöße schon zu bereiten wissen werden, wie sie ihnen am bequemsten und schmackhaftesten scheinen, doch für den Privatgebrauch befreundeter Hausfrauen.

Ich habe nur noch die herzlichsten Grüße hinzuzufügen an die liebe Mutter und das süße (wie man in Holstein sagt) Friederikchen, an Deine Schwiegereltern und Schwägerinnen. Wie stehts mit Hermann? ist er glücklich zum Studiosus avancirt? dann laß ich ihm Glück wünschen. Der wackere Georg ist wohl von seiner nordischen Fahrt noch nicht zurück? Mich freut’s, daß 6 im Hause bleiben. Grüße sie ebenfalls. – Senfft’s sind gestern von hier abgereist, Frau und Töchter in Begleitung des Erziehers der Söhne und eines zahlreichen Gesindes. Unter 5, 6 Tagen, meinte dieser würden sie wohl nicht bis nach Berlin brauchen. Frau Senfft ist schwach und angegriffen und gewohnt sich immer wachzuhalten. Seit der Verlobung von Ida mit einem Rechtscandidaten, der eben von Wunderlich und seinen Collegen examiniert wird, ist’s richtig – der Vater hat nichts dagegen – doch strenges Geheimnis, – indes jedermann weiß! – Ich möchte recht bald etwas von Euch über die liebe Mutter erfahren.

Euer Karl.