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Georg Beseler an Karl Hegel, Greifswald, 10. Dezember 1845

Liebster Hegel!

Du magst eine eigene Vorstellung von meiner Courtoisie erhalten haben, da ich Monate vergehen laße, ehe ich Dir für Deine mir erwiesene Gastfreundschaft danke. Aber so geht’s, wenn man erst ins Aufschieben kommt. Indeßen bin ich doch einigermaßen entschuldigt, da ich immer hoffte, Dir über den Verlauf der Berliner Sache1 Nachricht geben zu können. Bis jetzt aber ist noch nicht das Geringste erfolgt, und ich weiß nicht, ob die Sache, wie vieles Andere im Kabinett liegen geblieben ist, oder ob der Minister2 sie vertrödelt hat, oder ob er sie absichtlich ignorirt, wie er zuweilen schon gethan haben soll, wenn es ihm unbequem ist, Versprechungen zu halten. Im letzten Fall würde es dann eine gemeine Insult3 gegen mich seyn, die ihm wahrlich nicht unvergolten bleiben sollte. Ich bin nun entschloßen, nichts mehr in der Sache zu thun, um mir nichts zu vergeben, und den Verlauf ruhig abzuwarten. Mit Neujahr gebe ich das Rectorat4 ab, und werde dann die wiedergewonnene Muße benutzen, ernstlich und mit Nachdruck an mein großes germanisches Werk5 zu gehen. Vielleicht soll es so seyn, daß ich dieses erst vollende, ehe ich in einen größeren Wirkungskreis übertrete. Meine gute Laune und meine Energie habe ich mir auch jetzt wieder bewahrt, und noch die letzte Zeit meines Rectorats benutzt, um einige tief eingreifende Maaßregeln für die hiesige Univer- sität, deren ganze Stellung dadurch wesentlich verändert werden wird, zur Genehmigung an die oberste Behörde6 zu bringen. So habe ich auch dieses Jahr nicht nutzlos verlebt, und den großen Vortheil für mich gewonnen, den preußischen, so verzwickten Geschäftsgang practisch genau kennen gelernt zu haben.

Unsere politischen Reformen harren noch auf die Stunde der Entbindung. Daß in der reichsständischen Sache ehestens etwas geschieht, ist wohl nicht zu bezweifeln; über das wie und wann weiß ich aber nichts Näheres.7 Dagegen habe ich aus guter Quelle erfahren, daß Preußen gleich nach Neujahr in Widerstreit mit Oestereich eine sehr wichtige Proposition an den Bundestag bringen wird, und auf die Majorität auf demselben rechnet. Ich habe Grund zu vermuthen, daß es sich um die Aufhebung der Karlsbader Beschlüße handelt, – was dann freilich von unberechenbarer Wichtigkeit wäre. Doch dieß bleibt unter uns. – Daß es in diesem Zwitterzustande nicht länger bei uns bleiben kann, sieht noch gerade jeder ein: wenn man aber hört, wie frühere Mitarbeiter des politischen Wochenblatts jetzt constitutionelle Gesinnungen äußern, so weiß man ungefähr, was die Glocke geschlagen hat – oder schlagen wird. Das Verhältniß unsers Königs zum rußischen Schwager ist zur bittersten Animosität umgeschlagen.

Bei unserer Gewitterschwüle ist dann freilich Euer lärmender Landtag8 ein greller Gegensatz. Ich fürchte nur die Bürgerlichen, froh des Siegs, werden darüber vergeßen, ihn dauernd zu benutzen im Interesse des Lands und des politischen Fortschritts, und sich eben als gute, alte Mecklenburger bewähren. Die Augiasarbeit, zu der sie berufen sind, verlangt andere Capacitäten, als dort regieren. Und nun diese engherzige Ausschließung des armen Lübecks! Diese Sünde wird dem egoistischen Volk einmal schwer vergolten werden. – Glöden hat die Effronterie gehabt, mir die Ankündigung seiner Zeitschrift9 zuzuschicken, ich weiß nicht, ob in der Absicht, mich zur Theilnahme aufzufordern. Er meint wohl noch mit mir in einem leidlichen Verhältniß zu stehen, oder es wieder herstellen zu können. Der Mann ist eben so naiv wie er frech ist. – Thöls Entwürfe gegen mich machen mir Spaß; reize ihn doch an, daß er sich ein Herz nimmt und heraus kommt. Wenn ihm sein Opus10 gelingt, giebt es mir vielleicht ein Thema zu einem Artikel in meiner Zeitschrift11, was mir ganz gelegen wäre.

Daß Du mit Deiner Arbeit12 noch nicht vom Regal gelaufen bist, ist mir nicht ganz angenehm. Du brauchst nicht die Mode der Engländer mitzumachen, an jedes gute Segelschiff eine archimedische Schraube anzuhängen. Dein Fahrzeug wäre wohl auch ohne dieß tüchtig geworden. Doch will ich nicht schelten, da es doch nichts mehr hilft, und bitte Dich nur von Neuem, möglichst bald abzuschließen. Du mußt gegen Deine retardirende Natur angehen, Dich selbst gegen Dich selbst aufbieten.

Gervinus contra katholische Mißion13 wird Dich gefreut haben, nicht bloß, weil es doch ein tüchtig freies Stück Arbeit ist, sondern auch, weil er endlich einmal sich aus seiner Lethargie aufgerafft hat. Ob er gerade für den nächsten Punct das Richtige getroffen, wird zum Theil vom Erfolg abhängen; aber es ist schön, daß er einmal den Gespensterspuk faselnder Orthodoxer mit männlicher Rede verscheuchte, und ihnen gegenüber auch die nationale Errungenschaft geistig-sittlicher Freiheit hingewiesen hat. In Berlin scheinen sie auch nicht wenig verblüfft über diesen kecken Waffenruf zu seyn. – Von Dahlmann hatte ich neulich mittelbar Nachricht durch einen früheren Zuhörer, der nach Bonn gegangen ist. Er scheint wohl und guter Dinge zu seyn. Meine Mecklenburgische Geschichte14, von der ich aber mit Bürgermeister15 Karsten16 nicht gesprochen habe, ruht in Frieden.17 Ohne die Landtagsprotokolle18 läßt sich eben nichts machen, und wie die zu erlangen, weiß ich noch nicht. – Frau und Kinder19 sind frisch und munter, und auch der Freundeskreis schlägt sich durch. Emilie und Deine Freundin Sophie20 grüßen herzlich. – Ich Sophie Beseler sage Dir dies selbst. (Ein ipsa fecit mit wenig geführter Hand.) – Grüße alle Verwandte und Freunde, besonders meinen Schwager21, dem ich für seinen Brief bestens danke. Über die Berliner Angelegenheit theile ihm das oben Gesagte mit.

Ich wollte hier zum ersten Male eine ökonomische Brief-Couvert-
Methode versuchen, aber wie Figura zeigt, ist es mir nicht gelungen.

Antworte bald.

Treulichst Dein GBeseler.