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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 12. März 1846

Mein lieber lieber alter Junge! Derzeitiger Professor aber für mich bleibst Du doch immer das Kind meines Herzens und ein Theil meines Herzens – und ist mir wie das Athemholen, so nächst Gott, der Gedanke an Dich – und meine Liebe für Euch Ihr lieben Drei!

Ich war wieder krank, es war ein Rheumatisches Übel, das ich wieder im Bette ausschwitzen mußte, bei dem ich nur 1–2 Tage fieberte und von dem ich nun wieder genesen bin – so daß ich schon wieder ganz wohl aussehe und in den letzten warmen Tagen im Garten spazieren ging, die Kräfte sammeln sich bei gutem Schlaff und Apetitt auch schon wieder. Sorge Dich daher nicht – oder komme in den Osterferien selbst und sieh nach Deinem Mütterchen und erfülle die Kindespflicht und pflege mich – bis dahin hat uns ohnehin Georg verlassen und ich stehe nun wieder ganz allein – Da wär es mir wohl eine rechte Freude, wenn es in Deinen Kram eben so paßte, wie in den Meinigen, daß Du die Arbeitstage der Ferien bei mir zubrächtest. Du solltest so ungestört seyn, wie zu Hause und mit langweiligen Abendtafeln und 5stündigen Diners sollst Du ganz und gar verschont seyn – und besseres dafür haben.

Unser Georg reist nächsten Sonnabend über 8 Tage in der letzten Woche des März – ich werde den guten Jungen der wie Kindesstelle im Hause vertritt und dessen Gesellschaft mir immer erheiternd und erfrischend und nie lästig geworden ist, recht sehr vermissen. – Ich habe dann wieder einen recht vereinsamten Hausstand.

Früher war mir wenn ich so allein stand der eigene Haushalt nur eine Retraite und Absteichquatier und ich war die überreiche Hausmutter im Krankenhaus, wo das Oelkrüglein sich immer wieder füllte um Vielen zu geben und wohlzuthun – nun aber ist es so – sag ich mit Seufzen, wie Ihr es immer gewünscht habt – nun bin ich dieser Sorgen überhoben und lebe nun nur noch so weit Ihr mich bedürft für Euch – und uns Alles zum Besten dienen muß und mir die Ruhe und Stille auf die ich durch meine Kränklichkeit angewiesen bin an dem inneren Menschen fördern soll – für mich selber –

Ob ich noch einmahl schreiben lerne, in der Schule der Einsamkeit? Es wird meinem dummen kranken Kopf, oft so unsäglich schwer diese Schwäche, die wie ich glaube nicht allein eine moralische, sondern wirklich auch eine phisische ist, macht mich also so unglücklich und versetzt mich in Kämpfe und Zweifel, ja in ein Verzweifeln an mir selber. –

Es ist in letzter Zeit im Kranken Haus manches vorgegangen was mich bekümmert und in Unruhe versetzt. Die Born macht mich zu ihrer Vertrauten, – da ist manches was ich nicht billigen kann und ins Gleiche bringen möchte, und dabei hat man oft, bei dem besten Willen wenig Dank – Ich habe mir daher gelobt mich ganz und gar zurückzuziehen – und will nicht meinen, daß ich bin, deren guten Rath nöthig ist – Es war mir so lange ich mitarbeiten durfte, ein Ideal christlicher Gemeinschaft für das ich begeistert, das mir das Schönste und Köstlichste war, mir eine Schule, eine erziehende heilsame, für die ich Gott loben und preisen werde so lange ich lebe. –

Es kann mir auch nicht entrissen werden was ich darin erfahren! – davon muß ich nun genug haben für dieses Leben und nur die Kraft haben auch ohne diese Brücke allein zu stehen, Mit Gott allein und Euch!

Goßner der theure geistliche Vater ist durch sein Unterleibsleiden, das sich im Ganzen wohl bessert nicht mehr so mild und zugänglich wie sonst, zu Zeiten – Er hängt in der Stille oft mit seiner entschiedenen Consequenz, oft einem Gedanken nach und bringt ihn diktatorisch zur Ausführung – wo ich mir doch sagen möchte da greift der alte Goßner fehl und kann es nicht dafür annehmen, daß ers mit Gott berathen und sichs erbetet hat.

So nun hat unser Dr. Reise den dummen Streich gemacht sich als Lichtfreund in den Zeitungen (vor etwa ¾ Jahr) zu unterschreiben – deshalb werden jetzt kleine Unarten die er begangen, mit der Entlassung gerügt – und seine Stelle, die er so ausgezeichnet ausgefüllt hat, mit einem christlichen Arzt – der in sehr geringer Achtung ob mit Recht oder Unrecht, steht, angenommen –

Ich lege Dir hier ein Blatt von der 2 welches ich wegen meines Krankseyns nicht früher vorsuchen konnte bei, welches von dem Zweck und Erfolg von Goßners Missionsthätigkeit berichtet. Wollen die lieben Frauen des Rostocker Missions Vereins für Goßners Mission etwas arbeiten, so wären Mannshemden von baumwollen Katun das erwünscheste, die Hemd Ärmel weit und forn mit einer Briese, sogenannte Jagd Ermel, da in Indien bei der Hitze alles weit seyn muß, Auch Handtücher und Halstücher fehlen in der Vorraths Kammer. Sage Frl. O.3 wie sehr wir uns ihrer Theilnahme erfreuen. Das Normal Kranken Haus steht schon unter Dach. Es wird aber, so sehr zur Eile getrieben wird, doch Jahr und Tag erst noch stehen bleiben müssen, bis es ausgetroknet und eingerichtet ist. Aber es bewerben sich schon genug Leute dazu, man will aber nur christliche Doctoren und Arbeiter so hat der lange Wald das Versprechen als 2ten August angestellt zu werden und heurathet schon darauf – weil sein Vater ein frommer Mann ist – Böhm hat sich wie er einen Ruff nach Weimar an das dortige Hospital abgelehnt hat, um die Chirurgische Klinik im Neuen Kranken Haus beworben, wo freilich nur die Geschicklichkeit und nicht die Frömmigkeit bevorzugt werden kann und der ehrliche Böhm doch wohl der beste ist. Die Hochwächter wird von Vielen Hoffreunden beglückwünscht als Vorsteherin – Die Königin hat ihr auch angedeutet, daß sie sie wünschte – aber von Anderen hör ich 4 will sie nicht – sie wünscht es sehnlichst. In unserem Kranken Haus könnte wohl auch bald eine Mit Vorsteherin und Gehülfin der Oberin gebraucht werden. Ein recht ländlich frommes Gemüth und praktisch wirthschaftlich – Die Theres aus Regensburg geht ab

Leb wohl theurer innig geliebter Sohn. – O könntest Du zu mir kommen! welche Erquickung wäre es für mich – Wie steht es mit Deiner Arbeit? geht’s bald an den Druck?5