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Karl Hegel an Georg Beseler, Rostock, 29. April 1846

Theuerster Beseler!

Unsrer Verabredung gemäß übersende ich hiermit eine kurze Auseinandersetzung des Plans und der Eintheilung meines Werks, welche Du der Weidmann’schen Verlagshandlung der Herrn Carl Reimer und Hirzel mit Deiner Beantwortung vorzulegen die Güte haben willst. Die neue Schrift von Bethmann-Hollweg, welche ich in Berlin vorgefunden habe, hat mich überrascht, ja ich bin im ersten Augenblick darüber erschrocken, weil sie mir in der Wiederlegung der Savigny’schen Ansicht, in einem Theil meines Buchs, zuvorkommt und Manches vorwegnimmt, denn ich bin fern davon zu bestärken, daß sie nicht mit gründlichem Fleiß gearbeitet wäre. Doch habe ich mich bei näherer Einsicht bald beruhigt, da ich gefunden, daß Bethmann-Hollweg von dem allzugünstigen und zugleich bequemen Vorurtheil für Savigny ausgeht, als habe dieser das ganze Material der Geschichte bereits völlig ausgenutzt und als sei es daher genug, wenn man ihn wiederlegen wolle, sich an die von ihm aufgebrachten Beweise seiner Ansicht zu halten. Da ich, wie ich auch in dem beiliegenden Programm, gesetzt habe, vielmehr die geschichtliche Entwicklung im Zusammenhang vorlegen will und ich deshalb überall auf eine genaue Untersuchung der wirklichen Zustände eingehn muß, so siehst Du wohl, daß unsre Wege sehr auseinandergehn. Hollweg weiß, nachdem er Savignys Beweise für die Fortdauer römischer Städteverfassung unter der Herrschaft der Langobarden gewichtet hat, nichts weiter über den Zustand der Römer zu sagen; wie aber wenn Savigny das Material keineswegs genügend durchsucht hätte, wenn sich noch vieles Andre, was er nicht beachtet hat, für seine Ansicht beibringen ließe, welchen Werth hätte dann noch die Wiederlegung? Darauf müßte Hollweg aufmerksam gewesen sein, wenn er entweder selbst das geschichtliche Material für diese Periode durchstudiert oder auch nur die neueren italienischen Werke, namentlich das von Troya, gelesen hätte. Mehr Werth hat seine Arbeit in den späteren Abschriften, namentlich die Untersuchung über die Immunitäten und hier hat er mir einiges vorweggenommen doch nicht so, daß meine Arbeit nicht vollkommen daneben bestehen könnte: ich glaube die Sache doch noch besser herausgearbeitet und etwas weniger trocken behandelt zu haben. Denn es fehlt dem ganzen Buche doch allzusehr am geschichtlichen Fleisch und Blut: es gibt ein bloßes Knochengerüste. Auf der andren Seite kann mir diese neue Erscheinung nur willkommen sein: sie erregt zum Voraus das Interesse für den von mir behandelten Gegenstand und ist ein erster Angriffsposten gegen Savignys Autorität durch eine andre gleichfalls schon anerkannte. Wenn schon der Unfriede im feindlichen Lager ausgebrochen ist, so wird es sich nur um so leichter überrumpeln lassen.

Ich glaube die Verlagshandlung kann sich ein vortheilhaftes Geschäft von meinem Buche versprechen, da es nicht blos in Deutschland die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird: es ist auch für Italien und Frankreich geschrieben und findet dort gleichfalls das allgemeine wissenschaftliche Interesse hinlänglich vorbereitet. Du kannst das der Buchhandlung bemerklich machen, wenn Du es für gut findest. –

Ich habe mich in Berlin 8 Tage, etwas länger als meine Absicht war, aufgehalten. Meine Mutter erhielt gerade die traurige Nachricht von dem Todes ihrer liebenswürdigen jüngsten Schwester die in Nürnberg sehr glücklich verheirathet war, Mutter von 7 Kindern. Auch mir ging dies sehr nahe und ich blieb bei meiner Mutter, um sie zu trösten. Ich habe indessen mein Manuscript, so weit ich es Dir schon vorgelegt, noch einmal durchgesehn und viel am Ausdruck und Stil geändert: jetzt erst ist es druckfertig geworden. Meinen Bruder und Schwägerin fand ich sehr wohl und heiter und die letztere ihrer Entbindung nahe. Viel Rostocker waren dort: Wunderlich bei seinem Bruder, der sich nach Ehrenbreitstein versetzen läßt, Kierulff, der allzu sichtlich nach der Berliner Professur verlangen trägt, Stannius kam dazu und reiste, unzufrieden über Berlin, früher als ich. Auch Ihering war schon dort, neuvermählt, in den Flitterwochen.

Dort erfuhr ich auch, was Du schon durch Deinen Schwiegervater wissen wirst, daß die Verfassungsangelegenheit einen bedeutenden Schritt vorwärts gemach that. Was ich davon weiß, theile ich Dir sub Rosa mit. Die für diese Angelegenheit ernannte Commisson, bei welcher einige Schafsköpfe, wie der Landtagsmarschall von Rochow und der Herr von Voß1, sichere Leute, das große Wort und den bedeutendsten Einfluß haben, ist mit dem gesammten Staatsministerium zur Berathung über den von Bodelschwingh verfaßten Entwurf zusammengetreten und diese Berathung ist um die Mitte dieses Monats geschlossen worden. Es handelt sich nur um eine bestimmtere Constituirung der bekannten Ausschüsse, welche dann mit erweiterten Befugnissen, namentlich Zustimmungsrest zu neuen Staatsanleihen und Steuern, regelmäßig berufen werden sollen. Doch hält der König auch noch an seinem Gedanken fest, diese erweiterten Befugnisse nur einer Generalversammlung aller Provinzialstände in Berlin einzuräumen, welche dann nur außerordentlicher Weise zusammenberufen werden sollten, vergehen die Ausschüsse regelmäßig, aber in der alten Beschränkung. Auf keine Weise soll von Constitution, Repräsentativverfassung, Zweikammersystem die Rede sein. Die Meinung ist, daß die Ansicht des Königs und zunächst jene Generalversammlung ins Leben treten wird. Die Ministerialveränderungen, von welcher ich Dir gesprochen, waren fürs erste wieder ausgesetzt worden.

Hier in Rostock haben die Rechtssprüche der Facultät sehr überrascht. Kein Mensch wußte hier etwas davon außer dem Herausgeber und dieser spielt wunderlicher Weise das Incognito fort, wie Vogel Strauß. Es sind übrigens auch Arbeiten von Thöl dabei namentlich die letzte aus dem Mecklenburgischen Lehnrecht2. Von der Schrift gegen Dich fehlt noch der letzte Bogen.

Der neue Regierungsrath3 geht morgen nach Schwerin ab, Petersen ist zum Bürgermeister4 gewählt. Unser neuer Theologe, Delitzsch, hat mir besser gefallen, als ich erwartete: er sieht, wenn auch etwas jüdisch, gescheit aus, die Unterhaltung ist angenehm, er benimmt sich einfach und mit Takt. Die Frau ist eine rechte Leipzigerin und paßt am besten zu ihrer Landsmännin Fritzsche, wie es scheint. Ihering habe ich noch nicht gesehen.

Grüße Deine liebe Frau und Kinder, Jahn und die andern Freunde, denen ich allen wie Dir für die schönen und frohen Tage unsers Zusammenseins in Greifswald mich dankbar verpflichtet fühle. Dein Schwager und seine Familie befinden sich in bestem Wohlsein.

Herzliches Lebewohl von Deinem
Carl Hegel.