XML PDF

Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 29. Juli 1846

Lieber Karl!

Ich übersende Dir hiermit einen Brief2 von Onkel Gottlieb, welcher uns eine sehr traurige Nachricht aus Nürnberg mitgetheilt hat. Unser guter Georg ist in München vom Nervenfieber befallen worden in Folge eine Reise, die er bei sehr heißem Wetter mit Benoit im Gebirge gemacht hat. Wie wir nach anderen Nachrichten von befreundeten Studenten gehört soll er übrigens schon vorher unwohl gewesen sein; er hatte seinen Freund Heim, welcher in Tegernsee am Schleimfieber krank lag, gepflegt; dort holte ihn Benoit ab. Nach der Rückkehr in München mußte er sich legen; es stellte sich das Nervenfieber ein, Siegmund eilte, sobald er die Nachricht erhielt, dahin; die Krankheit nahm aber eine schlimme Wendung und am 20sten dieses Monats Abends ist unser lieber Georg verschieden. Ich kann dies nicht ohne Thränen niederschreiben; uns alle hat diese Nachricht tief erschüttert; es war ein herrlicher Junge von seltener Vollkommenheit. Unser eigener Schmerz muß aber zurücktreten, wenn wir die Größe des Verlusts der armen Eltern bedenken und ihren Jammer mitfühlen; er müßte unendlich sein, wenn ihnen nicht der Glaube an die göttliche Vorsehung Trost und Kraft gäbe, sich dem Willen Gottes, als einer höheren Weisheit mit christlicher Ergebung zu unterwerfen. Sie haben nun den zweiten Sohn in dieser Weise verloren denn Christoph starb auch in München am Nervenfieber.

Wir haben gestern nach Nürnberg an Siegmund geschrieben. Unsere arme Mutter ist auch sehr angegriffen; sie hat den Georg wirklich wie ihren eigenen Sohn geliebt. Bei Flottwells wo er ebenso wie ein Kind des Hauses gehalten wurde, brach ein allgemeiner Jammer aus. Er ist in der That die Freude eines jeden Menschen gewesen, der mit ihm in Berührung kam und er war ein seltenes Bild jugendlicher Schönheit, Frische und Kraft, heiterer Fröhlichkeit und edler Begeisterung. Kein Fall hat mich so ernst an die Vergänglichkeit allen irdischen Besitzthums, und jeder Lebensfreude erinnert, wie dieser.

Bei Friederike wirken solche Alterationen um so schlimmer, als sie das Kind nährt; doch hat sie sich recht zusammengenommen, und es geht im Ganzen alles sehr gut. Bei dem schönen Wetter genießt sie viel die frische Luft und ist gestern schon im Thiergarten etwas spaziren gegangen. Am 23sten dem Geburtstag des Vaters3, war sie zum 1stenmal einen Mittag in der Stadt. Die Taufe hielten wir am 21sten still und erbaulich. Büchsel sprach recht gut; es waren auch Bährs aus Cöslin zugegen, welche sich noch hier aufhalten. – Unser Augustchen entwickelt sich zusehends. Gott erhalte uns diese Freude!

Flottwells Versetzung nach Münster ist entschieden; der Nachfolger ist aber noch nicht bestimmt, und bis dahin muß er noch bleiben. Der September wird darüber gewiß herankommen. Die Zeitungsgerüchte über Eichmann sind ganz unbegründet.

Was habt Ihr dort für Nachrichten von Wunderlich in Coblenz?

Friederike grüßt Dich herzlich. Schreibe uns bald, wie es Dir geht und wann Du wohl herkommen wirst.

Leb wohl Dein Immanuel.