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Karl Rosenkranz an Karl Hegel, Königsberg in Preußen, 23. Oktober 1846

Mein lieber Hegel,

Ich kann nicht umhin, Sie auf den zweiten Theil der jetzt erschienenen sämmtlichen Werke Hölderlins, die Theodor Schwab herausgegeben hat2, aufmerksam zu machen. Es finden sich darin viele indirecte und gar manche directe Illustrationen der Jugendgeschichte Hegels.

Hoffentlich sind Sie wohlbehalten von der Germanistenversammlung zurückgekehrt. Ich fuhr über Stralsund bis Stettin, einen Theil in Gesellschaft eines etwas pietistisirenden Superintendenten Schubert von der Insel Rügen, Verfasser einer Kirchengeschichte Schwedens. In Stettin kam ich Morgens zwischen 4 – 5 an und fuhr Mittags 1 Uhr weiter nach Danzig bei wunderschönem Wetter. In Danzig kam ich freitags Abends in guter Gesellschaft von Königsberger Bekannten an und fuhr am andern Morgen mit dem Dampfboot Gazelle hieher; fand auf dem Schiff Herrn Generalsuperintendenten Sartorius – wir beide blieben frei von Magenexpectorationen und hielten uns im neutralen Element des Essens und Trinkens ganz freundschaftlich.

Die Grüße des lieben Stannius an Seerig und Rathke habe ich dann am Montag Nachmittag, so wie die von Röper an Professor Meyer ausgerichtet und waren alle er- freut, durch mich von den Herren Näheres zu vernehmen. Auch Dr. Nadden habe ich von Röper gegrüßt. Selbiger Dr. Nadden hält jetzt Vorlesungen über Göthe’s Iphigenie, die viel besprochen werden.

Dann habe ich hier aber von Ihrer wunderschönen Stadt und Universität erzählt und unsere Physiologen, Chemiker, Physiker ganz lüstern gemacht zu sehen, was so ein kleiner Staat unter einem wohlmeinenden Fürsten mit guter Administration und Lust zum Fortschritt zu leisten vermag. Der Eindruck Rostocks und seiner Universität wird mir einer der heitersten, genußvollsten bleiben und seine Erinnerung unvergeßlich sein. Sei es nun der dort heimische Geist meines Vaters, sei es der schöne Markt, an dem ich wohnte und an den ich so gern zurückdenke, sei es das Freundliche, Mannigfaltige der Stadt mit ihren heiteren Umgebungen, sei es, bester Hegel, Ihre liebevolle Aufnahme, sei es die Freundlichkeit Ihrer verehrten Collegen, die ich kennen zu lernen das Glück hatte, oder sei es vielmehr dies Alles zusammengenommen, genug, ich erzähle hier zu Hause wer weiß wie oft von dem trauten Rostock und es will mir in dem weitläufigen und arbeitsseligen Königsberg gar nicht mehr gefallen.

Man ist doch hier gar zu isolirt, während Sie Kiel, Greifswald, Berlin, Hamburg und was nicht sogleich Alles in der Nähe haben.

Aus Verzweiflung bin ich schon wieder acht Tage in die Provinz nach dem Haff gereiset gewesen. In das Parteigezänk mag ich nun vollends erst nicht wieder herein und bin bisher so viel ich konnte drum herum gegangen, weil die Leute doch auch entsetzlich viel leeres stroh dreschen und sich durch Persönlichkeiten das Leben verleiden.

Was macht denn mein Specialcollege Schmidt? Noch schwebt mir der blasse, freundliche, kranke Mann lebhaft vor. Ich habe ihn doch wohl durch meinen Nichtbesuch nicht gekränkt?

Daß ich Wilbrand, der mir eigentlich außerordentlich am Sonntag Abend gefallen, nicht einen3 Besuch am Montag oder Dienstag früh gemacht (aus reiner Sorgniß, nicht so früh zu stören), ist mir hinterher auch recht leid gewesen.

Ich habe mich seit 8 Tagen wieder à tête et à corps perdu in die Arbeit gestürzt, denn was soll man sonst in diesem Winkel der Welt machen, zumal rings von dem Kartoffelfäulnißgespenst4 und dem ewigen Nothgewinsel angegrinst, welches der Radicalismus sorglich pflegt, in Erwartung, sich einst ein siegendes Proletariat à la Genève daraus zu erziehen.

In Erwartung, daß Sie mir bald einige Zeilen über Ihr Lebwesen schenken, mit herzlichem Gruß an die wackern Collegen und das theure Rostock

Ihr Karl Rosenkranz