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Georg Beseler an Karl Hegel, Greifswald, 18. Dezember 1846

Lieber Hegel!

Du hast wohl recht, daß es Einem schwer wird, sich nach den Herbstfreuden am Rhein und in Frankfurth1 wieder an die engen Verhältniße in Mecklenburg und Pommern zu gewöhnen. Mir ist zu Muthe wie dem Menschenkinde, welches vom Apfel der Erkenntnis gegessen hat, und sich mit den primitiven Seelenzuständen der Unschuldswelt nicht mehr befriedigen kann, nur daß ich eben keine Sehnsucht nach dem verlassenen Gut empfinde. Dazu kommen die großen politischen Ereigniße2 die sich vorbereiten, und denen man müßig zusehen muß; – das Einzige, was da vor Unmuth oder Erschlaffung schützt, ist ernste Arbeit, und die hast Du an Deiner Städteverfaßung3, ich an meinem Privatrecht4, woran ich rüstig schaffe, freilich durch ungenügende litterarische Hülfsmittel vielfach gehemmt. Indeßen ich habe gelernt, mit schwachem Material zu wirtschaften, und so gestaltet sich doch nach und nach ein tüchtiges Werk unter meinen Händen, das wie ich hoffe seine Wirkung nicht verfehlen soll. Die armseligen Angriffe der Gegner und Neider verfließen, diesen ernsten und warmen Bestrebungen gegenüber, in Schemen und endende Irrwische.

In Schleswig haben sie eine tüchtige Schlacht5 geschlagen, und mein Bruder ist mannhaft kämpfend voran gewesen. Ich hatte neulich einen Brief von ihm, voll frischen Muthes und in tüchtiger Stimmung ihre besondere und die Deutsche Sache erfaßend. Wie erbärmlich kommen mir im Vergleich mit diesen Sachsen und Friesen Eure Mecklenburgischen Bürgermeister und Ritter bürgerlicher und adlicher Abkünfte vor, die sich mit kindischem Eigensinn von dem Entwicklungsgange des deutschen Wesens abschließen wollen. Denn die Verwerfung der Grenzzölle und der indirecten Abgaben ist doch wohl nur aus Furcht vor einer Annäherung an den Zollverein geschehen! Relativ richtig mag es seyn, daß die Burgadelichen in die Veste des engern Ausschußes eingedrungen sind, die der Ritter von Hohenkirchen6 so mannhaft vertheidigt hat; aber in consentlichen Beziehungen wird wohl nicht viel dadurch gewonnen seyn. – Die Schleswig-Holsteiner dagegen kämpfen für die deutsche Sache7; ihr Sieg wirkt auf das Ganze zurück, und so wie ich überzeugt bin, daß der Anschluß Schleswigs an den Bund jetzt entschieden ist, wie viel Zeit und Arbeit auch noch auf die Durchführung deßelben verwandt werden mag: so zweifle ich auch nicht, daß die politischen Zustände Deutschlands und namentlich Preußens durch jene Vorgänge einen mächtigen Anstoß erhalten haben. – Hier bei uns ist Alles noch in der Crisis begriffen; die Crakauer Geschichte8 hat einen tiefen Blick in die rath- und thatlosen Zustände thun laßen. Wohin aber die nächsten Schritte gerichtet seyn werden, ist noch voller Geheimniß: entweder man spielt va banque à la 18199, oder man macht – halbe, nichtssagende Conceßionen. Letzteres ist das Wahrscheinliche, und also Fortsetzung des Kampfs im Innern, während schon der Donner in der Ferne rollt, der das große Ungewitter des Völkerkriegs ankündigt und daran mahnt, Alles aufzubieten, ein begeistertes, zu voller Kraft und Energie verbundenes Volk auf die Wahlstätte zu fahren! – Wenn die kleineren Staaten nicht ganz verblendet und dem sicheren Untergang geweiht sind, so lösen sie jetzt die Bande der Wiener Conferenzbeschlüße, und suchen einen volksthümlichen Boden zu gewinnen. Aber es scheint in gewißen Sphären ja auch jeder Funken staatsmännischer Begabung erloschen zu seyn.

Faß Deine mecklenburgische Geschichte10 nur frisch an; ich habe sie bestimmt und ohne Vorbehalt abgelehnt, so daß Du mir nicht in den Weg kommst. Was der Dahlmannsche Blutegel11 mir gethan haben sollte, wüßte ich nicht; habe ihm auch nichts verübelt, wenn nicht seine dürre Mißgestalt, für die er doch kaum verantwortlich gemacht werden kann. In Berlin habe ich ihn nicht besucht, weil er mir zu weit ab wohnte. – Kurz ich habe nichts Bestimmtes gegen ihn, was Du ihm gelegentlich notificiren kannst. Es scheint, die Leute glauben, an die Frankfurter Friedensfeste12 müße sich nachträglich Kampf und Hader ansetzen: erst Dahlmann contra Pertz, welch’ letzterem ich seine Tracht Schläge auch gönne; dann Reyschers rüpelhafter Ausfall gegen G13, der bei aller Milde dem Gegner doch auch blaue Striemen zu versetzen14 wußte. Nun verklagt Grimm Mittermaier bei mir, weil er die Aufzeichnungen des Schnellschreibers nicht schickt, ihm auch nicht auf Mahnbriefe antwortet, – da wird einem der Kopf ganz warm. Aber ich rathe und schreibe zum Frieden, und denke, je frischer der Eifer und Hader der Einzelnen, desto munterer geht die Sache selbst, und darauf kommt es ja auch nur an, daß die Kräfte sich regen und sich nähren, und die gelehrte Stagnation besiegt wird.

Der alte Sins hat nun auch dran müßen! – versichere die Familie meine lebhaften Theilnahme. Verwandte und Freunde aber grüße bestens. Bei uns steht Alles wohl; sonst ist hier viel Krankheit, Profeßor Berndt Junior wird wohl ehestens dem Nervenfieber erliegen.

Emilie grüßt Dich freundlich; antworte bald einmal.
Dein GBeseler