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Georg Beseler an Karl Hegel, Greifswald, 22. Mai 1847

Lieber Hegel!

Es ist Schade, daß wir gerade jetzt nicht zusammen sind; eine solche Zeit, wie durch die preußischen Reichsstände1 bestimmt wird, müßte man gemeinsam verleben. Nun auch Jahn fort ist, fühle ich mich in dieser Beziehung recht allein, obgleich es am lebhaftesten Intereße und an voller Übereinstimmung der Ansichten nicht fehlt. Ist doch selbst der sonst so verrannte Hastenpflug wie umgeändert; er sagte mir neulich, diese Sachen übten einen ganz verjüngenden Einfluß auf ihn aus; er faße einmal wieder eine rechte volle Hoffnung auf die nationale Entwicklung Deutschlands; die Stände seyen bewunderungswürdig an Macht2, Einsicht und würdevoller Haltung; die alte Ministerregierung sey für immer beseitigt. Das ist auch die allgemeine Ansicht und der bestimmte Wunsch selbst der kleinen Regierungspartei auf dem Reichstag3, daß bedeutsame Köpfe und Charaktere die Leitung bekommen; wahrscheinlich erfolgt bald ein sehr umfaßender Ministerwechsel; ob dann auch ein Systemswechsel4? Ich glaube, daß auch jetzt niemand den weiteren Gang der Dinge vorher sagen kann, – wenigstens nicht auf die ersten paar Jahre; seit der unglücklichen Thronrede des Königs5 ist jede Wahrscheinlichkeitsrechnung, insofern sie auf eine bloß der Willkühr überlaßene Sphäre sich erstreckt, gefährlicher geworden, wie schon überhaupt die politischen Prophezeiungen sind. Indeßen geht die allgemeine Ansicht dahin, daß Alles einen guten Ausgang nehmen wird, und ich baue namentlich, so auffallend Manche das finden mögen, auf die großherzige Gesinnung des Königs. Wer so die Oeffentlichkeit begründen und aufrecht erhalten kann, wie er in dieser Sache unter dieser Umgebung, von dem ist Erlös zu erwarten. Und werden doch selbst Prinzen durch die Macht geistiger Einflüße und einer großartigen Bewegung mit fortgerißen!

Du wirst von Deinem Bruder gehört haben, daß ich mit dem Meinigen die Ständeeröffnung in Berlin6 mit erlebt habe; schöne, bewegte Tage! Mein Bruder ward von Auerswald und Brünneck zu Rathe gezogen, ob sie bleiben und ausharren sollten, und es freut mich, daß er mit dazu beitragen konnte, sie in diesem Entschluß zu bestärken. – Ich hatte eine intereßante Unterredung mit dem Minister Eichhorn, der einen Versuch machte, mich politisch zu bekehren, was ihm freilich nicht gelingen konnte; indessen schieden wir doch als beßere Freunde, wie es in den letzten Jahren der Fall war. Seine Tage von Aranjuez7 mögen auch gezählt seyn.

Von Gervin erhalte ich frische und entschloßene Briefe8; seine Patentschrift9 hat die allergrößte Wirkung gehabt, und er betreibt die Zeitungsangelegenheit10 mit einer Energie und Beharrlichkeit, wovon ich mir die besten Früchte verspreche. Von meiner Seite soll es ihm an Unterstützung nicht fehlen, wenn ich auch in der nächsten Zukunft kaum freie Zeit für ihn habe. Mit Dahlmann ist er unzufrieden, und wie mir scheint, nicht ganz mit Unrecht.

Daß Dir Dein Buch11 so viel Lob und Ehre einbringt, freut mich herzlich, wenn ich es auch erwartet und vorausgesagt habe. Ich zweifle nicht, daß sich auch bald reelle Folgen des guten Werks zeigen werden. Jetzt bist Du wohl eifrig mit dem zweiten Bande beschäftigt, zu dem ich Dir das beste Gelingen wünsche. Auch ich habe jetzt den Druck beginnen laßen, und denke zum September mit dem ersten Bande heraus zurücken.12 Eine große Kraft habe ich auf den ersten Theil, die allgemeine Quellenlehre verwandt, und dieselbe einer sehr sorgfältigen Revision unterzogen, ohne die leitenden Puncte meines Volks- und Juristenrechts13 irgend wie aufzugeben. Darf ich dem Urtheil eines sehr competenten und ganz unbefangenen Freundes vertrauen, dem ich das Manuscript zur Prüfung mittheilte, so ist es mir gelungen, meine Lehre mit unwiderleglicher Klarheit und Präcision zu entwickeln und begründen. Ich selbst habe das Gefühl, daß ich hier etwas Reiches geliefert habe, und freue mich auf die Zeit des Erscheinens. Freilich wird es mir jetzt oft schwer, die rechte Arbeitsstimmung mir zu bewahren; aber am Ende gelingt es doch immer, und mein alter Spruch, man müße vor Allem das Nächste thun, hilft mir über manche Schwierigkeit hinweg.

Ihr verliert nun Wunderlich, dem es wohl schwer werden wird, Keller in Halle zu ersetzen. Wer kommt denn für ihn zu Euch? – Wir sind mit dem Verlust von Baum bedroht, obgleich die Sache noch nicht entschieden ist. Sonst haben wir wieder guten Zuwachs erhalten; der Breslauer Theologe Geß gefällt mir sehr wohl. – In Lübeck sehen wir uns wieder; werden Deine Rostocker zahlreich hinkommen? ich bin doch neugierig, wie es dieses Mal mit der Versammlung gehen wird; die Protokolle der vorjährigen sind jetzt gedruckt, und werden ehestens erscheinen.14

Frau und Kinder15 sind wohl, und grüßen bestens. Grüße Freunde und Verwandte von mir, und schreibe bald
Dein GeorgBeseler