Auf Deine Anfrage kann ich nicht so bestimmt antworten, als ich wünschte. Daß mein Bruder unter Umständen seine Advocatur niederzulegen bereit ist, um sich der öffentlichen Sache1 ganz hingeben zu können, bezweifle ich nicht; doch möchte bald und energisch das Nöthige geschehen, um ihn in die erforderliche Unabhängigkeit der Stellung zu versetzen. Als ich in Holstein war, hieß es, man wolle dort noch einmal den Versuch machen, mit Landesmitteln und für sich allein die nöthigen Fonds aufzubringen; mit welchem Erfolg das geschehen, weiß ich nicht.2 Wenn Du in Mecklenburg etwas Bedeutendes an Agitation und Beiträgen zu Stande bringen könntest, so möchte Dein Plan räthlich seyn.3 Schon um die Sache zu beleben und die Baiern4 zu unterstützen.
Was Gervinus thun wird, weiß ich nicht; ich sprach nur oberflächlich mit ihm über diese Angelegenheit; er schien mir aber kein besonderes Intereße daran zu nehmen.
In Summa: ich kann Dir keinen bestimmten Bescheid ertheilen, und möchte Dir anheim geben, an den Schwager | meines Bruders, Dr. Hanßen in Schleswig zu schreiben, und ihn um Aufklärung zu bitten, wie die Sache dort ihren Fortgang nimmt, und ob die Betheiligung anderer Deutscher bei derselben nöthig und wünschenswerth erscheint. Du kannst ganz offen an ihn schreiben, da er tactvoll genug seyn wird, meinen Bruder selbst nicht damit zu behelligen. Dieser leidet wohl viel bei der von den Kielern unverantwortlich leichtfertig betriebenen Sache5; um so mehr ist es zu wünschen, daß jetzt, wo unabhängig von diesen ein neuer Anlauf gemacht wird, eine vorläufige Verständigung eingeleitet wird. Hält Hanßen, der ja mit einigen näheren Freunden conferiren wird, Deinen Feldzugsplan in Mecklenburg für angemeßen, und Du kannst dort ein tüchtiges Committee mit Aussicht auf Erfolg zusammen bringen, so brich in Gottes Namen los.6 –
Emilie mit dem Kinde befindet sich sehr wohl in der Pflege der Mutter; sie grüßen bestens.
Von Thöls Anwesenheit auf dem Wechselcongreß erwarte ich nichts Gutes; hoffentlich rennen sie ihn mit seinen scharfsinnigen Theorien bald über den Haufen.
Treulichst
Dein GBeseler.
1Diese ist hier im Kontext des Vormärzes zu sehen. Am 10. Oktober 1847 hatte ein Treffen vornehmlich süd- und westdeutscher liberaler Politiker in Hessen im Rahmen der sogenannten „Heppenheimer Tagung“ stattgefunden mit dem Ziel der Schaffung eines deutschen Nationalstaates inklusive der Gewährung von Bürgerrechten, deren Ausarbeitungen als Keimzelle der Forderungen gemäßigter bürgerlicher Kräfte im Kontext der März-Revolution im Folgejahr angesehen werden kann und somit auch als Wegbereiter für die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49. Die Berichterstattung über diese Tagung erfolgte besonders über die in demselben Jahr bereits gegründete „Deutsche Zeitung“ unter Leitung und Redaktion von Georg Gottfried Gervinus, die von anderen Tageszeitungen übernommen wurde und woraus eine weite Verbreitung des vormärzlichen Gedankenguts resultierte. Vgl. dazu auch DB . 2In Holstein bahnte sich seit 1846 die vom deutschen nationalliberalen Geist getragene Schleswig-Holsteinische-Erhebung an, die in der Folgezeit Unterstützung von der Mehrheit der Staaten des Deutschen Bundes vor dem Hintergrund der deutschen Nationalbewegung fand und von 1848 bis 1851 dauern sollte. In diesem Zuge kam es 1848 zum ersten sogenannten Schleswig-Holsteinischen Krieg der beiden Herzogtümer Holstein und Schleswig, das – im Gegensatz zu Holstein – ein dänischen Lehen war, mit dem Königreich Dänemark. 3Aus diesen Zeilen zu schließen, wollte auch Karl Hegel in Rostock die Nationale Sache öffentlich voranbringen. 4Auch im Königreich Bayern gab es entsprechende Kräfte im Umkreis der deutschen Nationalbewegung. Der Unmut um die Lola-Montez-Affäre des Bayerischen Königs Ludwig I. vornehmlich in München sowie die liberale Mehrheit in der Abgeordneten-Kammer der bayerischen Ständeversammlung 1847 wirkten hierbei als Katalysatoren. 5Zum Konflikt um Schleswig-Holstein vgl. dazu hier: Anm. 2 oben. 6Dies ist bereits als Vorzeichen für Hegels Teilnahme an der politischen Bewegung in Mecklenburg seit Anfang März 1848 zu sehen. In diesen Kontext passen auch seine vorangegangenen Besuche der beiden Germanistentage, die 1846 (Frankfurt) und 1847 (Lübeck) jeweils im September stattgefunden hatten und auf welchen er seine nationalliberal gesinnten Freunde wie Georg Beseler (1809-1888) oder Georg Gottfried Gervinus (1805-1871) getroffen hatte. Vgl. dazu vornehmlich die Aufzeichnungen Karl Hegels in dieser Zeit in seinem Gedenkbuch:
Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S. 152 ff., und
Hegel, Leben und Erinnerungen, besonders S. 128-162, sowie
Neuhaus, Einleitung Gedenkbuch, S. 87-96, und
Kreis, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung, S. 98 f. und S. 155. Das Hegelsche politische Engagement mündete überdies in seiner Tätigkeit als Abgeordneter des Erfurter Unionsparlaments 1850, worin seine bereits zusätzlich in einer früheren Edition vorliegenden „Brautbriefe“ an seine Verlobte Susanna Maria von Tucher (1826-1878) vielfältige Einblicke geben; vgl. dazu
Neuhaus, Brautbriefe Karl Hegels an Susanna Maria von Tucher, S. 96-125 und S. 198-211.
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
GreifswaldUniversitäts- und Hansestadt an der Ostsee gelegen im westlichen Pommern. Infolge des Wiener Kongresses war die Stadt Greifswald, die 1250 das Stadtrecht erhalten hatte und seit 1456 über eine Universität verfügte, 1815 an Preußen gefallen.
Privatbesitz
.
Privatbesitz1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel
, Karl: Leben und Erinnerungen. Mit einem Portrait in Heliogravüre, Leipzig 1900.
Hegel
, Leben und Erinnerungen
1900
Neuhaus
, Helmut: Einleitung, in:
Ders.
, Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013, S. 11-107.
Neuhaus
, Einleitung Gedenkbuch, S. 11-107
2013
Kreis
, Marion: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 84), Göttingen, Bristol, CT, USA 2012.
Kreis
, Geschichtswissenschaftliche Bedeutung
2012
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Die Brautbriefe Karl Hegels an Susanna Maria von Tucher. Aus der Verlobungszeit des Rostocker Geschichtsprofessors und der Nürnberger Patriziertochter 1849/50, (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Heft 87), Wien, Köln, Weimar 2018.
Neuhaus, Brautbriefe Karl Hegels an Susanna Maria von Tucher2018
Beseler, Wilhelm HartwigWilhelm Beseler11865863818061884Beseler, Wilhelm (1806–1884), Jurist und Politiker, Bruder des Juristen und Politikers Georg Beselers (1809–1888).
Gervinus (Gervin), Georg Gottfried jun.Georg Gottfried Gervinus11853891818051871Gervinus, Georg Gottfried jun. (1805–1871), deutscher Historiker, Literaturhistoriker und Politiker, Sohn von Georg Gottfried Gervinus sen. (1765–1837) und seiner Ehefrau Anna Maria Magdalena Gervinus, geb. Schwarz (1772–1837). Er war Ehemann von Victorie Gervinus, geb. Schelver (1820–1893), 1835/1836 Professor der Geschichte und Literatur an der Universität Heidelberg, 1836/1837 an der Universität Göttingen (einer der „Göttinger Sieben“), 1844 Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, 1848 Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung.
Hanßen (Hanssen, Hansen), N. N.Hanßen-Hanßen (Hanssen, Hansen), N. N., war ein 1847 in Schleswig wohnender Schwager Wilhelm Beselers (1806–1884) und Ehemann einer Schwester Luise Christiansens.
Rosenstiel, Charlotte Adelheid, verh. KarstenAdelaide Rosenstiel, verh. Karsten-17881861Rosenstiel, Charlotte Adelheid (1788–1861), Ehefrau des Mineralogen Karl Karsten (1782–1853), war die Tochter des preußischen Staatsbeamten und Direktors einer Berliner Porzellanmanufaktur, Friedrich Philipp Rosenstiel (1754–1832), und der Elisabeth Decker, Erbin des Oberhofdruckers und Verlegers Georg Jakob Decker († 1799).
Thöl, Johann HeinrichJohann Heinrich Thöl11875716418071884Thöl, Johann Heinrich (1807–1884), in Lübeck geborener Rechtswissenschaftler, der von 1826 bis 1829 an den Universitäten Leipzig und Heidelberg studierte, 1829 promoviert wurde und sich 1830 habilitierte. Von 1842 bis 1849 war er ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Rostock, dann bis zu seinem Tode an der Universität Göttingen. In den Jahren 1848/49 war er Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung.
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
HolsteinZwischen Nord- und Ostsee sowie Elbe im Süden und Eider im Norden gelegenes Land mit wechselnder Zugehörigkeit zum Königreich Dänemark und zum Heiligen Römischen Reich bzw. Deutschen Bund.
MecklenburgNeben dem Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin gab es das kleinere Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz.
Bayern (Baiern)Das Königreich Bayern bestand von 1806 bis 1918.
Schleswig54.51851,9.5653284Etwa 125 Kilometer nördlich von Hamburg und etwa 40 Kilometer östlich von Husum am westlichen Ende der Ostseebucht Schlei gelegene ehemalige Residenzstadt des Herzogtums Schleswig.
Kiel54.3227085,10.135555Im 13. Jahrhundert gegründete Hansestadt an der Ostsee, etwa 90 Kilometer nördlich von Hamburg gelegen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts dänisch war und 1815 mit dem Herzogtum Holstein zum Deutschen Bund kam. Durch die Eisenbahnlinie zwischen Kiel und Altona wurde 1844 der Ostseehafen über die Elbe mit der Nordsee verbunden.
Professor, ProfeßorBerufs- oder Amtsbezeichnung und Anrede für den Inhaber einer Professur an einer Universität oder Hochschule, wobei nicht jeder Professor eine Professur bekleidet; früher auch Bezeichnung für einen Gymnasiallehrer (Gymnasial-Professor) bzw. Lehrer an einer Lateinschule.
Advocatur Anwaltskanzlei.
Schleswig-Holstein, Konflikt umIn Holstein bahnte sich seit 1846 die vom deutschen nationalliberalen Geist getragene Schleswig-Holsteinische-Erhebung an, die in der Folgezeit Unterstützung von der Mehrheit der Staaten des Deutschen Bundes vor dem Hintergrund der deutschen Nationalbewegung fand und von 1848 bis 1851 dauern sollte. In diesem Zuge kam es 1848 zum ersten sogenannten Schleswig-Holsteinischen Krieg der beiden Herzogtümer Holstein und Schleswig, das – im Gegensatz zu Holstein – ein dänischen Lehen war, mit dem Königreich Dänemark, dem mit dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864, der sich bereits 1863 ankündigte, und der Preußisch-Österreichische Krieg (u. a. auch als Deutscher Krieg oder Deutsch-Deutscher Krieg bezeichnet) zwischen Österreich und Preußen (1866) weitere militärische Auseinandersetzungen folgten.
Wechselcongreß (Wechselkongreß)Im Herbst 1847 in Leipzig stattfindender juristisch-finanzpolitischer Kongress der Staaten des Deutschen Bundes als möglicher Beginn einer gemeinschaftlichen deutschen Gesetzgebung.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis