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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 7. März 1848

Mein theuerer Sohn! Du empfängst erst morgen die Zeitung die heute schon aller Herzen mit Freude erfüllt – die Rede und Bothschaft unseres Königs an den vereinigten Ausschuß1 – und hast wohl recht, wenn Du sagst, daß sich die wichtigsten Begebenheiten von folgenreichster Bedeutung so zusammen drängen, daß fast jeder Tag etwas überraschend Neues bringt – Ich bin sonst keine Politikerin, aber ich nehme mit innerem Erleben jeden Tag am frühen Morgen die Zeitung in die Hand. Die Welt gleicht mir einer Gebärenden, die Weiber kreißen – möchte nach Gottes Willen eine gesunde Frucht, aus alle den längst vorbereiteten Wehen hervorgehen! Hat unser König unsere Zeit verstanden und noch so lang es Zeit ist, umgelenkt? – – Ich will unserm lieben Manuel das weitere, was über meinen Horizont hinaus geht, überlassen – und Dir von anderen Dingen schreiben, obwohl mir Angesichts dieser Ereignisse, alles andere geringfügig und unwichtig erscheint. Wir wollen indeß unter allen dem um so fester zusammen halten und unser Haus auf einen Felsen bauen, der da bleibet wenn Himmel und Erde untergeht. – Darinnen werdet Ihr mit der Zeit immer mehr Eins mit mir werden – indeß thue Jeder nur getreu das Seine! Ich freue mich daß Du jetzt an der Mecklenburgischen Geschichte2 eine dankbare Arbeit übernommen hast und danke Dir für alles was Du mir sonst mittheilst. So kann ich Dich im Geiste überall, in der mir zum theil bekannten Umgebung, vor mir sehen zu Hause und unter den Freunden. Uns geht es fortwährend gut, meine Gesundheit hält sich Gottlob, so daß ich täglich zu unseren Lieben oder zu sonstigen Freunden gehe – Das Faulenzen bekommt mir besser als das frühere Leben und Treiben – Friederike ist auch wieder ganz wohl, Gustli entwickelt sich zu unserer Herzensfreude so, daß Täglich etwas Neues heraus kommt. So sagt sie schon ganz deutlich das a b c nach, wenn Friederike es ihr vorsagt – Ich vergaß indem ich fortgehen wollte ein kleines Tuch das ich über den Mantel um den Hals geknüpft hatte – und sie zeicht mit großem Eifer hin auf das Tuch und ruft mir zu „Tuch“ „Tuch“ und mahnt mich, daß ich es vergessen – – Manuel sieht aber immer noch etwas angegriffen aus, hustet auch noch und leidet noch oft an Zahnweh. – Vor etwa 14 Tagen schrieb der Vater er würde zur Eröffnung des Ober Consistoriums wohl schon Ende März hieher kommen, er wollte da schon die Mutter welche Friederike in Wochen pflegen will und die Schwestern, die ja doch nicht allein zurück bleiben könnten, mitbringen. Er wollte bei Scaley, die Mutter bei Friederike wohnen und die Mädchen sollten zu mir und Mariechen indeß zu Trinkler. Dieß machte uns viel Sorge und Bedenken – solcher Krawall kurz oder 6 Wochen lang vor Friederikens Entbindung3 – Manuel schrieb darüber sein Bedenken – was erst sehr übel aufgenommen wurde, nun aber hat das politische Ungewitter schon diese Wölklein verjagt – Die Ober Präsidenten werden auf ihren Posten bleiben4 und die Einführung des Ober Consistoriums hat nun gute Wege – Bleibt der Vater so bleiben wohl auch die Schwestern bei ihm wenn die Mutter Mitte May hieher reist –

Nun hab ich Dir auch noch allerlei von einer näheren Bekanntschaft mit L.5, die wir ungesucht gemacht haben, zu berichten. Wir waren vor eben 14 Tagen zu Franzens eingeladen. Bei Manuel und Friederike waren sie selbst und verabredeten den Abend mit ihnen und sagten sie wollten niemand dazu bitten als Thieles – Sie berührten mit keinem Wort die bewußte Sache von der wir ausgemacht hatten, daß kein Wort mehr davon gesprochen werden sollte. Friederike und Manuel wußten aber doch von mir, warum – und sahen sich L. darauf an – und ihre Unbefangenheit und Natürlichkeit und sonstige Wesen hat besonders Friederike sehr wohl gefallen. Manuel unterhielt sich mehr mit dem Vater der ihm den angenehmsten Eindruck machte.

Nun sagte mir Manuel an diesem Abend es würde morgen Iphigenie gegeben, er wollte mit Friederike hin und meinte ich sollte mich entschließen mitzugehen – Dieß hört L. und bittet die Mutter „sie hätte so lange gewünscht die Iphigenie zu hören obs denn nicht möglich wäre“ – die Mutter sagt Du weißt wir sind zu Thieles geladen, ich kann dort nicht wegbleiben – wärs denn nicht möglich sagt L. halbleise daß ich von Vater hin geführt, allein hineinginge? – Da konnte ich doch wohl nicht anders als sagen „wollen Sie sich an uns anschließen? – Es wurde der Vater von der Mutter gefragt und von beiden mit Dank angenommen. – Nun wurde verabredet L. sollte mich abholen und wir Beide zu Manuel – Tags darauf kam mir aber nun Bedenken, über Bedenken – ob ich, die ich seit 17 Jahren keine Oper mehr besucht habe die geräuschvolle Musik, das Spiel der Garcia im Vergleich zur Milder nicht mehr Anstrengung als Genuß davon haben würde – und ob ich wenn L. zu mir kommt und mit mir zu Manuels6, nicht etwas einfädle – Nun geh ich am Morgen zu Imanuel und höre der gute Scaley hätte 3 Abonnements Billets geschickt – er wollte mich veranlassen mitzugehen – bravo! sag ich, nun nimmt dieß dritte Billett die Thiele und ich bleibe zu Hause – Nun schreibt Friederike an sie, die Mutter ginge nicht mit wegen Zahnweh sie bäte aber Fräulein möchte sie abholen. Indeß bekommt aber die arme Friederike im Lauf des Nachmittags ihre Mygraine und wie das gute Kind kommt sie abzuholen, überzeugt sie sich von der Unmöglichkeit und muß sich entschließen mit Imanuel der auf Friederikens Billett noch Therese abholt, in die Iphigenie zu gehen. Da hat sie dem Manuel sehr gut gefallen, der nun um so ungetheilter auf ihre Gesellschaft angewiesen war –

Und nun noch eine Geschichte – ich gehe vergangenen Sontag Abend zu Franzens die ich seit jenem Abend nicht mehr gesehen habe – sie waren zu Thieles gebeten; nun geht Therese vorweg hinüber und verräth daß ich da bin, und da kommt L. und bittet im Namen der Eltern ob ich nicht mitkommen wollte, so unbefangen und herzlich und angelegen – es sey sonst Niemand da – und so muß ich denn mit hinüber und wurde auf das Freundlichste aufgenommen. Es war sehr ungenirt die Kinder machten lebende Bilder und sangen – L. sang mit L. und Therese dann gab es wie bei Franzens Kalbsbraten – und endlich erhob der Vater sein Glas und trank auf den 25. Geburtstag seiner Luise, der zwar den 1ten März gewesen ist. Da stieß das gute Kind auch mit mir an und gab mir den ersten Kuß. Das was doch so ungesucht und war mir zugeführt, ich wußte nicht wie – Nun lebewohl Du lieber Sohn! Laß bald wieder ein Wort von Dir hören. Die Nürnberger grüßen Dich – In treuester Liebe Deine Mutter.