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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 31. Mai 1848

Dießen Morgen kam die jüngste Busse zu mir und fragt mich ob ich etwas nach Rostock zu bestellen hätte, die Schwester der Wunderlich, die eine trauerige Veranlassung nach Halle geführt hätte1, wäre hier und wie ich nach der trauerigen Veranlassung fragte, sprach mir das gute Kind zögernd das Unglück, das Wunderlich und diese arme schwergeprüfte Familie betroffen hat, aus – die lieben Bussens wollten mich in der Zeit in der ich Friederikens Entbindung erwartete und nun in meiner Freude, daß alles so glücklich vorüber ging2, nicht mit dieser Trauerbotschaft betrüben so wie auch Du uns nur zur Vorsicht ermahntest und eines solchen Verlustes den zweier Deiner Freunde betroffen hat erwähntest, mir aber den Namen, der mir so nahe geht, nicht geschrieben hast. Es ist von Schwerster – (wie der Vater sich ausdrückte). Das Unglück was Wunderlich betroffen hat, diese liebe blühende 3 die Mutter seiner Kinder, deren Erziehung 4 auferlegt sich von ihnen zu trauen. Welche furchtbare Leere muß da für ihn eintreten – solchen Schmerz zu überwinden, dazu stärke ihn Gott – Die liebe Wendhausen habe ich dießen Morgen noch eh ich zu Friederike ging, im Garten gesprochen und habe von ihr mit inniger Theilnahme alle die näheren Umstände dieses Unglücks gehört, Ich sage zwar sonst – es gibt kein wirkliches Unglück – denn alles was Gott thut und zuläßt und uns auferlegt, muß zu unserem besten dienen – es ist der Schmerz, den unser himmlischer Vater uns nicht erlassen kann – aber wir heißen doch solche schwere Prüfungen – also die liebe Wendhausen hat mir aber einen sehr wohlthuenden Eindruck gemacht, sie trägt mit einer so edlen frommen Haltung ihren Schmerz – Sie ist in dulden und tragen geübt und nimmt es aus Gottes Hand mit Ergebung –

Ich ging mit recht wehem Herzen von ihr zu Friederike, sagte ihr und der Mutter aber nichts davon – dankte aber wieder aufs Neue meinem Gott für das Glück, das ungetheilte, was er uns bis hir her erhalten – solcher Zeit muß man sich um so dankbarer erfreuen, wer weiß wie bald es anders kommt – Manuel schrieb Dir schon wie wohl unsere liebe Friederike 5 ist – sie sieht so 6 rosig aus  und fühlt sich so wohl, ist so unaussprechlich glücklich, daß ich nur immer danke und sage Gott Lob und Dank! Gustli ist auch über alles liebenswürdig in ihrer unversiegbaren Fröhlichkeit und Freundlichkeit und Geschwätzigkeit – sonst geht auch alles gut, aber nach Flottwells Art, geht es unruhig im sonderen Revier her. Trinkler war 3 Tage hier und in dieser Zeit kam auch Theodor und Herrman diese alle sind und waren des Mittags und Abends da und Abends zog ich mit Herrman und Mariechen, die beide bei mir wohnen, nach Hause und war todenmüde – doch ging es – Nun hab ich nur noch Hermann bei mir der ein lieber guter Junge ist – aber Theodor ist ein Großmaul, mir und Manuel unerträglich – Diese Unruhe hat jedoch Friederike nicht berührt, die eine besondere Wochenfrau hat – zum Glück sind die Mädchen die sich tüchtig tummeln müssen, gutwillig und freundlich – und Manuel trägt mit liebenswürdiger Ruhe und Geduld, was nicht zu ändern ist und flüchtet sich mit seiner Arbeit in Mörners Balconzimmer – Gestern Abend aber wo er am Abend wieder mit dem Gewehr fort mußte – und die Arbeiter Unruhen das Ärgste befürchten liessen, war es mir und der Mutter doch recht sorglich – Berlin ist in einer entsetzlichen Noth 7 Gott weiß was wir noch erleben! Die Behörden sind von einer unbegreiflichen Nutzlosigkeit und Schwäche und lassen alles geschehen, dann gräulichster Unfug von Katzenmusiken und Demonstrationen – gestern Abend sind die Arbeiter bei Herrn von 8 gewaltsam eingetrungen und verlangten von ihm Wöchentlich 4 Thl. Taler – da bekam jeder 10 Sg.9 um sie für den Augenblick zu beruhigen und so wurden 400 Thl. vertheilt – und das 10 Militair machte 11 (statt sie auseinander zu jagen) das es bei der Vertheilung ruhig her ging – So kam dann mein Imanuel unversehrt um 11 Uhr nach Hause und hatte lieber drein geschlagen –

Von unseren lieben Nürnbergern hab ich eine Trauer Bothschaft erhalten. Der liebe Onkel Oberstleutnant Tucher ist nach langem Kranksein an der Brustwassersucht gestorben, er war des Lebens müde und so können wir ihm die Ruhe gönnen. Er wurde in Helena nach seinem Wunsch begraben, wohin ihn die Brüder begleitet – Nach seinem Testament werd ich so wie jedes meiner Geschwister 3000 fl. Gulden bekommen – eine Hülfe, die ich ihm danke – Nun will ich noch meinen Brief, den ich eiligst 12 geschrieben habe, der Wendhausen noch selbst bringen und will die bitten 13 ihn zu Deinem Geburtstag als ein 14 Geburtstagsgeschenk Dir schicken wollte, mitzunehmen – Es ist der Mutter Art, daß sie da sorgt, was fehlt –

Nun lebe wohl Du lieber herzensgeliebter Sohn. Es hat mir so wohlgethan, was mir die Wendhausen sagte, wie viel Du gewirkt und wie die Besserung dies 15 – Gott segne ferner Dein Thun und Dein Arbeiten – Kommst Du nicht zu Pfingsten16? ich hoff es! Leb wohl in treuer Liebe Deine Mutter.