Berlin, den 25. August 1848
Ich schreibe auf gut Glück ob Dich diese Zeilen noch treffen, mein geliebter Sohn! Daß weit erwünschteste und erfreulichste aber wär es mir, wenn Du auf dem Wege hieher, von uns bald alles mündlich besprochen werden könnte. Vor allem laß Dir sagen, wie sehr wir uns über das glückliche Gelingen Deiner Angelegenheiten und über die festere Begründung Deiner Stellung, über die ordentliche Professur mit 1000 Thl. Taler Gehalt gefreut haben. Es macht mir eine herzinnige Freude Dich für Deinen künftigen Hausstand im Aeuseren, was dazu noth thut, so geborgen zu wissen und denke, hat Gott dieß Eine gegeben so wird Er auch das Andere zu Seiner Zeit geben – Du hättest uns diese Freude nicht so lange vorenthalten sollen; ich fürchtete schon das Deine Bedingungen in Schwerin nicht durchgegangen sind und machte mir darüber unnöthige Gedanken. Nun aber ist mir dieser Segen Gottes, der Deinen redlichen Eifer für Recht und Wahrheit mit so glücklichem Erfolg belohnt hat mir Geschenk für das ich mit mütterlicher Freude Gott danke – Es ist mir wunderbar dass eine Arbeit die Dir so wenig Mühe gemacht hat, in der sich aber Deine | Gesinnung bethätigt und bei der Du das rechte Wort zu rechter Zeit gefunden hast, einen für Dich und das Allgemeine ersprießlicheren Erfolg hat als Deine 4 Jährige Arbeit, die aber doch auch nicht unbelohnt geblieben ist – Eines gehört in Dir selbst zu dem Andern – Hegel sagte in solcher Zeit der Dürre in der Wissenschaft „ich weiß doch was ich davon habe“ –
Nun aber noch von etwas anderem dessen Du nicht erwähnst und was also wohl entgangen und nicht in die Meklenburger Zeitungs Artikel aufgenommen ist – welches Mißgeschick Flottwell betroffen hat – Er hat sich mit seiner Namens Unterschrift einer Adresse wegen Aufhebung des Cölibats, die ihm nach einer Sitzung zur Unterschrift vorgelegt wurde, die Feindschaft der Katholischen Parthey zugezogen, die in Westfalen die furchtbarste Aufregung gegen ihn veranlaßt hat. Manuel empfängt bei Auerswald eine Menge von Petitionen die die Erklärung enthalten, daß Flottwell, der sich mit seiner Namens Unterschrift an dieser perfiten Erklärung gegen die Katholische Geistlichkeit und Kirche betheiligt, nicht mehr Ober Präsident einer Katholischen Provinz bleiben könne. Andere aber eine viel geringere Zahl erklären sich für ihn – Jedenfalls erscheint es unmöglich daß er nach Münster zurück kann – Auerswald ließ ihm sogar wiederathen nach Cöln zu gehen, was er aber doch incognito gewagt hat – und wo ihn auch der König gesprochen und in gewohnter Weise | ihn freundlich aufgenommen hat; er konnte ihn aber nicht allein sprechen – So ist denn nun seine Zukunft eine sehr ungewisse und diese Ungewißheit, die nach dem Beschluß der Minister noch nichts in der Sache zu beschließen lange dauern wird, eine für den armen Vater recht peinliche. Das glücklichste erscheint eine Versetzung in eine andere Provinz – da wäre aber nur Preußen, das sich Auerswald reserviren möchte – Denke man sich wie glücklich sich Flottwells bis jetzt in Münster fühlten – und welche Last von Vorwurf und Wiederwartigkeit nun auf dem Herzen des Vaters liegt – mit einem unüberlegten Federzug diese Feindschaft hervorgerufen zu haben, wodurch die Regierung und er selbst so compromitirt wird – Du kannst Dir denken wie wir alle darüber in Sorge sind – doch schreibt die Mutter darüber nicht in der Aufregung als wir fürchteten. Die Sorge um den Vater überwiegt in ihr alle andern Sorgen ihres Egoismus – Auch die Mädchen schreiben resignirt und gefaßt auf alles, nur bekümmert über den Vater dessen Stimmung wohl eine sehr gedrückte ist. Dein Besuch würde wohl allen sehr willkommen seyn und allen wohl thun. Ich wünschte Du könntest noch nach Frankfurt und nach Nürnberg! Da war den 21 August Siegmundts silberne Hochzeit die in Simmelsdorf gefeiert wurde.
Wir sind noch immer beisammen im Garten – obgleich der August uns nicht immer gutes Wetter gebracht hat sind unsere lieben Kinder doch viel im Freien | was ihnen herrlich bekommt – Manuel will sie mir aber aus Sorge für mich bis Ende August wieder nehmen. Er ist von Morgens bis späten Abend bei Auerswald und befriedigter in dießem bewegten Treiben das er hier in erster Hand kennen lernt als bei Milde – den schändlichen Angriff auf das Palais des Ministeriums von Auerswald hat er in demselben in Gesellschaft aller Minister und Gesandten durchgemacht – Wir hörten hier außen glücklicher Weise nichts davon –
Das gräuliche Berlin! Nun droht auch die Colera – doch tritt sie noch sachte auf – Böhm läßt sie noch nicht für die Asiatische gelten –
Nun mein Lieber! Lieber laß mich hoffen auf baldiges Wiedersehn! In treuester Liebe Deine Mutter.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel
, Immanuel: Erinnerungen aus meinem Leben, Berlin 1891.
I. Hegel
, Erinnerungen.
1891
Hegel, Georg Wilhelm FriedrichGeorg Wilhelm Friedrich Hegel https://www.deutsche-biographie.de/sfz28648.html#ndbcontent11854773917701831 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831), Philosoph, Ehemann Maria Helena Susanna Hegels, geb. Tucher (1791–1855), Vater Karl und Immanuel Hegels , von 1808 bis 1816 Gymnasialrektor und Schulrat in Nürnberg, ordentlicher Universitätsprofessor für Philosophie von 1816 bis 1818 an der Universität Heidelberg und von 1818 bis 1831 an der Universität Berlin.
Flottwell, Eduard HeinrichEduard Heinrich Flottwell11663107417861865Flottwell, Eduard Heinrich (1786–1865), preußischer Staatsmann, Minister und oftmaliger Oberpräsident, u. a. von 1841 bis 1844 Oberpräsident der Provinz Sachsen, 1849/50 Oberpräsident der Provinz Preußen, 1850 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Schwiegervater Immanuel Hegels (1814–1891).
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Auerswald, Rudolf Ludwig CäsarRudolf Auerswald11637767417951866Auerswald, Rudolf Ludwig Cäsar (1795–1866), in Königsberg in Preußen geborener Bruder von Hans Adolf Auerswald (1792–1848) und Alfred Erwin Leonhard Auerswald (1797–1870), preußischer Beamter und Staatsmann, der nach seinem Studium an der Universität Königsberg seine berufliche Karriere als Landrat in Ostpreußen begann, von 1842 bis 1848 Regierungspräsident in Trier war, dann u. a. Oberpräsident von Ostpreußen, im Sommer 1848 kurze Zeit preußischer Ministerpräsident und preußischer Außenminister, 1850 Präsident des Staatenhauses des Erfurter Unionsparlaments und Oberpräsident des preußischen Rheinprovinz wurde. Im Jahre 1858 wurde er preußischer Staatsminister ohne Portefeuille und stellvertretender Ministerpräsident.
Friedrich Wilhelm IV., König von PreußenFriedrich Wilhelm IV., König von Preußen11853599417951861Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861), war von 1840 bis 1858/61 König von Preußen.
Milde, Karl August11704148318051861Milde, Karl August (1805–1861), in Breslau geborener Unternehmer und Politiker, der u. a. von 1841 bis 1847 Mitglied des schlesischen Provinziallandtages und von 1851 bis zu seinem Tod Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses war. Im Sommer 1848 war er von Juni bis September erster preußischer Handelsminister.
Böhm, Ludwig11760913718111869Böhm, Ludwig (1811–1869), Arzt, 1841 Privatdozent an der Berliner Universität, Assistent an der Dieffenbachschen Klinik in Berlin (benannt nach dem Chirurgen Johann Friedrich Dieffenbach [1792–1847]), 1845 außerordentlicher Professor der Chirurgie und Augenheilkunde an der Poliklinik in Berlin; Adoptivsohn Johannes Schulzes (1786–1869), Karl Hegels (1813–1901) väterlichem Freund, und ab 1849 Direktor der Unterrichtsabteilung im preußischen Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten.
Schwerin53.6288297,11.4148038Haupt- und Residenzstadt des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin am Schweriner See, circa 80 Kilometer südwestlich von Rostock gelegen.
Münster51.9625101,7.6251879Etwa 480 Kilometer westlich von Berlin gelegene alte Bischofsstadt und Metropole des Münsterlandes, die im Jahre 1815 infolge der Beschlüsse des Wiener Kongresses ans Königreich Preußen fiel und Hauptstadt der neu gegründeten Provinz Westfalen wurde.
Köln50.938361,6.959974Auf eine römische Gründung zurückgehende alte Reichs- und Erzbischofsstadt am Rhein, nach französischer Herrschaft ab 1815 eine Stadt des Königreiches Preußen, etwa 90 Kilometer nördlich der Provinzialhauptstadt Koblenz gelegen.
Preußen, Prusse Königreich Preußen (französisch: Prusse), auch Ostpreußen als östlichste Provinz des Königreichs.
Frankfurt (Main)50.1106444,8.6820917Ehemalige Reichsstadt am Main, oftmaliger Wahl- und Krönungsort der Könige des Heiligen Römischen Reiches sowie Freie Stadt innerhalb des Deutschen Bundes, dessen Bundestag sich dort versammelte. Die Frankfurter Paulskirche war von Mai 1848 bis Mai 1849 der Tagungsort der Frankfurter Nationalversammlung, die die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 erarbeitete. Seit dem Mittelalter war es eine bedeutende Messestadt und ein Finanzplatz mit Wertpapierbörse für den Handel mit Staatsanleihen und Aktien.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Simmelsdorf49.5972637,11.3379197Namengebender Sitz der Nürnberger Patrizier-Familie Tucher von Simmelsdorf, 1598 erworben, nordöstlich der alten Reichsstadt Nürnberg gelegen. Das Alte Tucher-Schloß, ursprünglich ein Wasserschloß, wurde in den 1830er Jahren im gotischen Stil umgebaut, das „Neue Herrenhaus“ 1808 erbaut.
CholeraAuch Asiatische Cholera genannte schwere bakterielle Infektionskrankheit mit verschiedenen Ausprägungen, die verbreitet im 19. Jahrhundert epidemisch und pandemisch auftrat.