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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 23. Oktober 1848

Mein theuerer Sohn! Du klagst daß Du so viele Briefe erhälst und darunter so selten einen von uns für Dich – Da ist mir nun Manuel zuvor gekommen und hat Dir augenblicklich geschrieben, wie es uns geht – und ich benütze den heutigen stillen Sontags Abend zum schreiben und will mich für Manuels und Friederikchens Ausbleiben – die eine Einladung von Hefters zu Mittag angenommen haben – mit Dir – so gut es mit der Feder geht entschädigen. – Ich bin im Geiste so viel bei Dir mein lieber Sohn – und trage Dich im Herzen und muß täglich für Dich bitten: Herr laß es ihm wohlgelingen – gib ihm in allem das rechte Verständniß und erleuchtete Augen und ruhige Besonnenheit – und daß er erkenne was in dießer furchtbaren Zeit, nach Gottes Willen das Rechte und Wahre ist.

Ich habe Anfangs October von einem Tag zum andern auf die Ankunft der Meklenburgischen Zeitung gewartet – und war über die ersten Ankömmlinge und über die leitenden Artikel die sie von Dir enthalten sehr erfreut und befriedigt – Deine Auffassung hat mich etwas beruhigt – ich will nicht zu den Kleingläubigen Muthlosen und Klagenden in dieser Zeit gehören und überlasse mich gerne der Hoffnung daß aus den Trümmern dieses niedergesiegten Staatsgebäudes – mit Gottes Hilfe und durch Seinen gewaltigen Arm und höheren  Rathschluß und Leitung wieder etwas Wirkliches und Vernünftiges wie Hegel sagt2 daraus hervorgehen wird – aber wie lange wie lange werden diese Geburtswehen diese Stürme und Kämpfe dauern. Wie grundverdorben ist leider Gottes die größere Menge – welche finsteren Mächte durchwühlen und unterminiren und stehen in einem Bündniß miteinander und ihre Drohungen werden immer lauter und furchtbarer – sie zeihen dem Jagddurst hier die Stricke – Aber soll durch sie noch mehr niedergerissen werden, so ist auch dieß eine Zulassung Gottes und dürfen doch nicht weiter gehn als Er will – darauf aber müssen wir gefaßt seyn daß es noch durch viele Leiden und Prüfungen geht – Welch furchtbares Wehe hat Tausende schon betroffen nun wieder in dem sonst so glücklichen Wien3 und überall wo wir nur hinsehen ist Jammer und Noth Armuth und Aufruhr – Da sind wir doch noch bis jetzt gnädig verschont und können Gott nicht genug dafür danken – Freilich bleibt man über das was in der National Versammlung und sonst an Excessen in der Stadt vorgeht in steter Spannung und Sorge – aber hier außen Potsdamer und Lennéstraße und im Inneren unseres Hauses ist ja doch so friedlich und stille und mit Liebe und Freude ergötzen wir uns an unseren lieben Gustli und Mariechen – und wenn es Einem noch so schwer ums Herz ist wird man durch diese Lieblichkeit und Fröhlichkeit und allerliebste Geschwätzigkeit von Gustli erheitert – Es ist ein gar so liebes kluges Kind, in dem Ausdruck ihrer Lebhaftigkeit so zärtlich und nun auch so lenksam. Der Eigensinn ist schon sehr gebrochen durch Manuels und Friederikes consequente und ganz vortreffliche Art und Weise mit der sie das liebe Kind erziehen. Mariechen gedeiht auch prächtig, wird Gustli immer ähnlicher – sie hat immer den Ausdruck des vollkommensten Wohlbehagens – spielt mit ihren Beinchen wenn sie liegt und springt und hüpft auf den Arm und steht in besonders gutem Vernehmen schon mit Gustli.

Nun haben wir auch ein gutes Kindermädchen die Friederikchen die Sorge für die Kinder erleichtert – Mariechen hat auch schon zwei Zähnchen unvermerkt bekommen und gerade zur Zeit wo ihr die Pocken eingeimpft wurden, und war dabei munter und ruhig – So viel aus unserer Kinderstube. Unser lieber Manuel läßt mir heute da wir uns heute nicht gesehen haben durch Friederike schreiben, Pfuel habe seine Entlassung eingereicht4 und er glaube daß vielleicht auf kurze Zeit Eichmann die Stelle übernehmen wird5 – bittet aber um Verschwiegenheit, ich vertraue dies unter demselben Siegel, der Zeitungsschreiber darf daher noch keinen Gebrauch davon machen. Ist das nicht beklagenswerth dieser stete Wechsel der Minister. Manuel wird wohl auf seinem Posten bleiben – er ist zu Friederikens Leidwesen wohl sehr gebunden und von Morgens 8 bis 3 und dann wieder von 5 – 9 obligat im Ministerium – aber seine Stellung ist doch eine sehr interessante – Über die Zukunft unseres lieben Vaters Flottwell ist noch nichts entschieden – auch keine Aussicht – da sich Bonin das Ober Präsidentenamt in Magdeburg reservirt hat6, Auerswald wieder nach Königsberg zurück geht.7 Diese Ungewißheit ist eine für ihn sehr peinliche, auch die Sorge um das Auskommen wenn er zur Disposition gestellt wird mit 2500 Thl. TalernElise macht den Eltern auch viel Sorge und Noth durch Kränklichkeit und Schwermuth. Wir haben sie aufgefordert hieher zu kommen, ich wollte sie bei mir aufnehmen, aber sie ist zu schwach und muthlos die Reise zu unternehmen. Mariechen ist noch bei TrinklerHerrmann in Greifswald – Theodor schwitzt noch über schriftlichen Arbeiten zum Staatsexamen –

Denke Dir Herrmann war in Thale mit der Fürstin Galizin die sich einige Zeit dort einsam und allein dort aufgehalten hat, zusammen – sie ließ ihn, nicht zu sich, sondern auf die Kegelbahn bitten um ihn zu sprechen, fragte nicht nach mir, aber nach Dir ob Du noch in Rostock wärst? fragte nach Flottwell – sprach vom Evangelischen Krankenhaus Haus das ein Ende mit Schrecken nehmen würde – Wohin sie weiter gereist ist wußte Herrmann nicht zu sagen.

Geheimrat Rothe ist nun auch nach Frankfurt8 – der Kreiß von Manuels nächsten Freunden wird dadurch noch kleiner –

Wir die wir nur 4 Stund weit von Dir entfernt, wissen Dich nun so gebunden daß wir gar nicht hoffen dürfen Dich so bald wieder zu sehen. Deine lieben Rostocker mit denen Du Dich eingelebt hattest wirst Du doch sehr vermissen. Du sprichst nichts von Deinen neuen Bekanntschaften – hast wohl auch nicht viel Zeit Besuche zu machen. Es ist mir erfreulich daß Du so ordentliche und gute Wirthsleute9 hast. Bedarfst Du nichts zu Deiner Bequemlichkeit und nichts an Wäsche was ich Dir besorgen und schicken könnte – Deine Matraze ist wohl sehr zusammen gelegen ich könnte Dir eine frisch aufgezopfte Matraze schicken und für eine derer die Du hast vertauschen – der Transport per Eisenbahn kostet ja nicht viel –

Ich habe dem Professor Franz Deine Zeitungen mitgetheilt – schick mir doch bald die nachfolgenden. Der arme Franz hat indeß wieder viel gelidten an oft wiederholten Anfällen von kaltem Fieber, zog nach dem Kreuzberg in eine miserable Capusa10 mit Frau und den Kleinen, indeß Theresa mit den Größeren in der Stadt blieb – Da kam auch der Bruder von München in seiner Sorge um ihn hieher – Nun geht es wieder besser aber er ist sehr gealtert und sieht noch sehr übel aus und ist noch sehr entkräftet – Lulu Thiele war diesen Sommer mit dem Vater allein und soll trefflich hausgehalten haben, war auch für Theresa eine Stütze und Trost – – ich hab sie aber nicht gesehen – die Mutter ist auch wieder hier und Franzens sind nun auch wieder hereingezogen11