Berlin 29 Dezember 1848. Morgens ½ 6 Uhr.
Behrensstraße 58./2
Mein lieber Herr Professor,
Mir ist gestern unterwegs noch eingefallen, daß ich vergessen habe, Sie auf Etwas aufmerksam zu machen, das Ihnen Ihre (meine) Arbeit etwas erleichtern kann: „Der Überblick“ nämlich „auf die Tagesordnungen der voraufgegangenen Nummern.“ Diese liegen auf meinem Arbeitsplatze über einer Lage von Löschpapier nach der Reihenfolge, die jüngsten zu oberst. Wenn Sie sich nun nicht sicher erinnern, ob wir eine Nachricht schon gegeben haben oder nicht und Sie blättern zurück, so sehen Sie leicht ob wir aus dem 1/37stel und von welchem Datum wir etwas gegeben haben. Es thut mir nun um so mehr leid, daß ich die kurze Inhaltsangabe nicht deutlich geschrieben habe, um Ihnen auch noch den Blick in die Zeitung zu ersparen. – Seien Sie nur, mein guter Herr Professor, recht heiter bei Ihrer jetzt vermehrten Arbeit: den Mecklenburger Correspondenten gegenüber so ruhig, wie ich und in Bezug auf mich und der von mir überkommenen Arbeit wenigstens überzeugt, daß Sie mir eine große, große Freude gewähren. – Ich habe den gestrigen Abend schon so glücklich und angenehm verbracht, daß ich diesen Becher voll recht mit Andacht des Genusses weiter trinken werde. Ihren Gruß an Herrn Heyse habe ich bestellt. Er freute sich, daß Sie sich seiner erinnern. Das Gespräch verweilte eine lange Zeit bei Ihnen und den Ihrigen und er hat mir einen herzlichen Gegengruß schon im Voraus aufgetragen, den ich also schon im Voraus expedire. Dank Ihrer Fürsorge bin ich trotz der IIIten Klasse sehr warm hergekommen. Auch hatte ich in Bezug auf die Gesellschaft sehr viel Glück: Nichts als Demokraten vom reinsten Wasser und – „verthierte Söldlinge“ – Angenehmes Spiel der Gegensätze. Die Söldlinge waren Soldaten welche vom Urlaubsbesuch heim kamen, so wie nach einigen Tagen. Es kamen davon bei jeder Station welche zu, „es hing Gewicht sich an Gewicht“ wie Max Pikolomini sagen würde und unser Coupé wurde ganz voll. Die Demokraten aber waren: – der Redakteur des Landtagsboten: Herr Dr. W. Ich brauche hier wohl mit Recht den Plural nach dem Muster des Berliner Komödienzettels: „Mehrere Banditen …… Herr Prediger S. “ – Herr W. war sehr freundlich und höflich und war auch bei dem Legitimationsact plötzlich in meiner Nähe, um sogleich die Macht seines Regierungspasses auf mich überzuleiten, im Falle ich versäumt haben sollte, mir dergleichen zu besorgen. Die Militärperson, die sich eben meine Legitimation ausgebeten hatte, erkannte das an und so hat der 2te Vicepräsident der Kammer mich allen Weitläufigkeiten überhoben. Unterwegs wollte aber ein Gespräch nicht recht fort. Es saßen aber auch immer Soldaten dazwischen. Einer legte sein Zündnadelgewehr auseinander und hielt eine belehrende Vorlesung. In Hagenow erlebten wir einen politischen Act. – Nach dem Bahnhof, wo wir den Hamburger Zug erwarteten, kamen in Reih und Glied eine Menge Hagenowraner Demokraten gezogen. Vorne ein Musikcorps und 3 deutsche Fahnen. Im vordersten Gliede Boldt und Dr. Brockmann. Er galt dem aus Frankfurt zurückkehrenden Reinhard. Man stellte sich auf dem Bahnhofe in Reih und Glied auf. Ich studierte Demokraten sich hiesig vereinen. Schade, daß ich nicht genug zeichnen kann! Mich dünkt in meiner, mehr charakteristischen Ausprägung habe ich „die Zukunft“ nie auf Menschengesichtern gesehen. Endlich kam der Erwartete. Ich drängte mich hinzu: Ein baumstarker, riesiger Mann mit kühnen Zügen, nicht allzu langem Barte, aber einem Gebüsch von Augenbrauen. Sie schrieen: Hoch! und er ließ es sich gefallen und sagte: „Na was macht Ihr, Kerls?“. – Ich kann nicht sagen, daß er nun aussah, als glaube er die ihm gebührende Ehre entgegen – im Gegentheil schien er etwas verlegen. Er sprach aber Frankfurtisch und das mochte ich nicht leiden, hörte also nicht weiter der Bewillkommnungsscene. Dr. Raber war natürlich auch gegenwärtig.
So, jetzt will ich meinen Freund, Paul Heyse, wecken. Er hat gleich gestern an Abeken nach Braunschweig geschrieben und glaubt, daß der auch gleich kommen wird. Heute Morgen sehe ich Kuglers. Hurrah! O was werde ich für schöne glückliche Tage erleben! – Und unterdessen plagen Sie sich mit meiner Arbeit. Aber ich bitte Sie mehreres: Sein Sie heiter dabei, so heiter, wie ich jetzt bin. – Noch eine Bitte. Wenn von Hause Briefe an mich anlangen sollten, hätten Sie wohl die Güte, dieselben herzuschicken? Sie wissen: ich liebe Cumulirung der Genüsse. – Und dann noch eins: Kriegen Sie ja bei Zeiten den Arzt für ihren Furunkel, ich glaube, daß die Kälte die Geschichte unangenehm verzögert. –
Adieu, adieu; während Paul sich anzieht, werde ich meinen Morgengang ins … nach dem Bahnhofe machen.
Eggers, Friedrich Friedrich Eggers11902248618191872Eggers, Friedrich (1819–1872), Kunstschriftsteller und Journalist, als Mitarbeiter Karl Hegels (1813–1901) Redakteur der 1848 gegründeten „Mecklenburgischen Zeitung“.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Eggers
, Friedrich: Franz Theodor Kugler. Eine Lebensskizze, in: Franz Kugler, Handbuch der Geschichte der Malerei seit Konstantin dem Großen, 3. Auflage, Leipzig 1867, S. 1-34.
Eggers
, Kugler
1867
Piccolomini, MaxPiccolomini, Max, literarische Figur aus Friedrich Schillers (1759–1805) Dramen-Trilogie „Wallenstein“, fiktiver Oberst und Sohn Octavio Piccolominis; im zweiten Teil „Die Piccolomini“ stehen Vater und Sohn im Zentrum.
Wenzlaff, Franz11808420818101888Wenzlaff, Franz (1810–1888), in Westpreußen geborener Pädagoge, der nach ersten Jahren im Schuldienst bis 1844 an den Universitäten Königsberg und Berlin Mathematik und Naturwissenschaften studierte und 1844 in Berlin zum Dr. phil. promoviert wurde. Nach weiteren Schul-Stationen wurde er 1847 Lehrer am neugegründeten Realgymnasium in Schwerin und wurde 1848 als Mitglied der Reformvereine in die Mecklenburgische Abgeordnetenkammer gewählt, deren Vizepräsident er wurde. Nach dem Scheitern der Reformbewegung in Mecklenburg kehrte er 1851 nach Berlin zurück.
Boldt, N. N.-Boldt, N. N., Hagenower Demokrat 1848.
Brockmann, N. N.-Brockmann, N. N., Dr., Hagenower Demokrat 1848.
Reinhard, Ludwig11884003718051877Reinhard, Ludwig (1805–1877), in der Nähe Ratzeburgs geborener Pädagoge und Redakteur, der an den Universitäten Göttingen und Rostock Theologie studierte, mehrmals als Hauslehrer in Diensten stand und an verschiedenen Schulen als Lehrer wirkte. In den Jahren 1848/49 wurde er politisch aktiv und als Abgeordneter aus dem Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, der er mehr als ein Jahr angehörte und wo er sich vor allem mit Kirchen- und Schulangelegenheiten befaßte. 1850/51 war er Redakteur des „Reformblatts für beide Mecklenburg“ in Rostock, wurde 1851 wegen Pressevergehens zu einer Haftstrafe verurteilt und war von 1863 bis 1866 in Coburg Redakteur der „Allgemeinen Deutschen Arbeiterzeitung“.
Raber, Jacob Joachim Ernst12023769518081852Raber, Jacob Joachim Ernst (1808–1852), in Travemünde geborener Mediziner, der nach seinem Studium der Medizin an den Universitäten Kopenhagen, Berlin und Rostock an der Ostsee promoviert wurde und dann als Arzt praktizierte, u. a. von 1841 bis 1843 in Hagenow, wo er auch politisch aktiv wurde. Im Jahre 1848 wurde er in die Mecklenburgische Abgeordnetenversammlung gewählt. Ein Strafverfahren wegen einer sogenannten Schmähschrift veranlaßte ihn – wie drei Jahre zuvor – nunmehr endgültig in die USA auszuwandern, wo er 1852 in Ohio gestorben ist.
Heyse, Paul11855077218301914Heyse, Paul (1830–1914), in Berlin geborener Schriftsteller eines umfangreichen Werkes, der im Jahre 1910 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.
Abeken, Hermann10179664118201854Abeken, Hermann (1820–1854), in Osnabrück geborener Publizist und Statistiker, der zwischen einer Ausbildung zum Kaufmann in New York und einem neuerlichen USA-Aufenthalt in den Jahren 1844/45 an den Universitäten Göttingen und Berlin Rechtswissenschaft studierte. Im Jahre 1848 wurde er Leiter des neugegründeten Statistik-Amtes im Königreich Hannover, trat für die konstitutionelle Verfassungsform ein und lehnte die Revolution von 1848/49 ab.
Kugler, Franz Theodor11877820X18081858Kugler, Franz Theodor (1808–1858), in Stettin geborener Historiker, Kunsthistoriker und Schriftsteller.
Hagenow53.4305796,11.1904828Etwa 30 Kilometer südwestlich von Schwerin und etwa 200 Kilometer nordwestlich von Berlin gelegene Stadt im Westen des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, die zu einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt an der Strecke zwischen Berlin und Hamburg wurde.
Frankfurt (Main)50.1106444,8.6820917Ehemalige Reichsstadt am Main, oftmaliger Wahl- und Krönungsort der Könige des Heiligen Römischen Reiches sowie Freie Stadt innerhalb des Deutschen Bundes, dessen Bundestag sich dort versammelte. Die Frankfurter Paulskirche war von Mai 1848 bis Mai 1849 der Tagungsort der Frankfurter Nationalversammlung, die die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 erarbeitete. Seit dem Mittelalter war es eine bedeutende Messestadt und ein Finanzplatz mit Wertpapierbörse für den Handel mit Staatsanleihen und Aktien.
Braunschweig (auch: Herzogtum Braunschweig)52.2646577,10.5236066Etwa 70 Kilometer östlich von Hannover und nördlich des Harzes gelegene Haupt- und Residenzstadt des auf dem Wiener Kongreß 1814 gegründeten Herzogtums Braunschweig in der Nachfolge des frühneuzeitlichen Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel.
Abgeordnetenkammer (Mecklenburg)Die Abgeordnetenversammlung in Mecklenburg bestand unter verschiedenen Bezeichnungen und mit unterschiedlichen Funktionen von 1848 bis 1851.
ZündnadelgewehrIm Jahre 1836 eingeführtes, von Johann Nikolaus Dreyse (1787-1867) entwickeltes Hinterladergewehr mit neuartigen Zündnadelpatronen (Geschoß, Treibladung und Zündelement), das ab 1840 massenhaft produziert wurde.
Carpuncel AntraxKarbunkel (Karfunkel, Furunkel) Anthrax (Milzbrand): akute Infektionskrankheit, Geschwür, Entzündung.