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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 1. Mai 1849

Ich verlange mit Sehnsucht darnach von Dir mein geliebter Sohn in dieser schweren bewegten Zeit ein Wort zu hören – An Manuels Muth stärke ich mich, er nimmt die jetzige Crisis1 wohl sehr ernst, behält aber immer dabei eine leidenschaftslose Ruhe und Besonnenheit, womit er auch den Vater Flottwell, der unendlich in dieser Zeit leidet, zu beruhigen versucht – Wir danken Gott daß er aus dem unglückseligen Frankfurt heraus ist2, und diese Crisis nicht mehr mit durchmacht, in der wohl Manchem der Redlichgesinndten das Herz brechen möchte. Ich kann mir denken wie auch Du dabei leidest, aber Du wirst auch nicht blind seyn, für die ungeheure Schuld des Übermuths und der Verblendung die diesen Bruch herbeigeführt hat – Ach wie gerne möchte ich hören was Du zu dem allen sagst – Ich möchte Dich auf Bergeshöhen führen, wo Du im Lichte des Ewigen dieß Getriebe überschauen dürftest – und bitte den lieben Gott, Er wolle Dich in alle Wahrheit leiten und Dir zu erkennen geben, das rechte Verständniß dieser Zeit. Ich frage Dich, wie wird die Geschichte einst die Frankfurter Versammlung richten? – Möchte es den Aufrichtigen gelingen, die Wege Gottes und was nach Seinen ewigen Gesetzen bestehen und untergehen wird, zu erkennen – Wir haben uns dennoch, meine ich, auf ernste Gerichte vorzubereiten und es wird noch durch heiße Kämpfe gehen, – wenn nicht noch eine Vereinbarung zu stande kommt – wozu leider wohl keine Aussicht mehr ist – Manuel theilte uns so eben (Sonabend3 Nachmittag) den Inhalt einer Circular Note4 mit, die heute Abend in die Zeitung kommt – (daher ich mir nicht den Kopf zerbrechen will, Dir darüber zu referiren), Manuel verspricht Dir in diesen Tagen zu schreiben – er sitzt wie immer von Morgen bis zum späten Abend an der Kammer5 und erlabt sich nur des Mittags an Frau und Kindern. Der lieben Friederike und den Kindern geht es gut – letztere sind unser Aller Herzensfreude – Gustli schwätzt verwunderlich klug und überrascht uns oft durch ihre allerliebsten Gespräche mit der Puppe und was sie sich alles absieht und auffaßt und wie sie so ganz und gar das Ebenbild der Mutter, wird in ihrer Lebendigkeit – die Kleine entwickelt sich auch ganz reizend, ist immer fröhlich und engelsgut und hat für ihre Gustli eine besondere Zärtlichkeit und läßt sich von ihr küssen und drücken – Das ist noch die reinste Freude die ich auf dieser Welt habe – Hätte ich nicht diese Erquickung, so würde mir das Leben und dieser Hemmschuh von Schwachheit noch viel schwerer – Aber ich will nicht klagen, ich habe für viel Gutes und Liebes was mir Gott noch erhalten hat zu danken – und bin durch Euch Ihr lieben Söhne eine reiche Mutter – Könnte ich Euch nur mehr seyn und mehr geben! Denke ich mir wie Du allein stehst – ach wie möchte ich mit ganzer ungetheilter Liebe für Dich sorgen –  – Nun ich hoffe Du wirst von Deiner politischen Schriftstellerei bald wieder entbunden und will Gott danken wenn Du von der schweren Aufgabe erlöst Dich auf einer Erholungsreise wieder stärkst –

Aber Gott weiß wie es in der Welt bis dahin aussieht, ob nicht Krieg und Aufruhr alle Wege versperrt. Wir wollen in Gottes Hand legen – Seine Gedanken und Wege sind höher und weiser und besser als die unseren –

Es sind nun schon 6 Wochen daß Du hier warst – was hat sich in dieser Zeit schon wieder zugetragen? Die Deputation der Überbringer der Kaiser Krone!6 ich sah sie da ich eben aus der Stadt kam, herein fahren – und sah auch Beseler und wünschte Dich hieher – wie kurz war aber die Freude – der alte Karsten ließ Beselers Frau und Kinder7 hieher kommen, aber wie kurz war dieß Wiedersehen; Ich habe sie nicht gesehen –

Wichern war inzwischen auch hier um über das Werk der inneren Mission mit zu berathen – auch Malchen Sieveking wurde eingeladen und hielt Vorträge – Es regt sich in allen Kreisen das Verlangen zu retten und zu helfen – ich habe die Sieveking kennen gelernt und habe von ihr gehört daß Emma Braut ist, sie wird die dritte Frau eines Arztes in einer Irren Anstalt in Lübeck

So läßt Du Dir eine Perle nach der andern entgehen – wo wirst Du die Rechte noch finden? die Dir von Gott bestimmt ist –

Wirst Du nicht in den Pfingstferientagen8 wieder einmahl zu uns kommen? Schicke mir indeß doch auch wieder einmahl die interessantesten leitenden Artikel – und vor allem schreibe bald, ich sehne mich nach einem Wort von Dir –

In unserm Garten grünt und blüth es – ich gehe nach Deiner Verordnung morgens hinunter und erquicke mich an der Morgenluft – Meine gute treffliche Mathilde versüßt mir mein Alleinseyn und bedient mich wie ich noch nie bedient worden bin. Es geht mit meinem Befinden auch wieder besser. Leb wohl mein lieber lieber Sohn. Gott sey mit Dir und uns Allen!