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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 16. Juli 1849

Es vergeht eine Woche nach der andern und ich komme nicht weiter mit meinen schwachen Kräften, – wenigstens nicht so weit daß ich zu Dir lieber Karl reisen könnte. Es ist mir eine Entbehrung die ich ungerne mir auferlege, ich hatte mich so sehr darauf gefreut einmahl wieder bei Dir zu seyn, aber in dieser Schwäche und Hinfälligkeit machte ich Dir nur Sorge und würde Dich noch mehr binden, als Du schon gebunden bist – Es war freilich lange ein rauhes unbeständiges Wetter, nun erst ist es so warm daß ich mehr im Garten seyn kann – Ich schreibe jetzt in der Laube nach eingenommenem Frühstück – und hoffe nun wohl daß mich der Genuß der frischen Luft wieder mehr bekräftigen soll – aber darüber geht die Zeit Deines Aufenthalts in Schwerin hin, der, wie ich hoffe und wünsche doch nicht lange mehr währen wird und dann wird mir doch wohl vor Deinem weiteren Ausflug die Freude Dich wieder hier in Berlin zu sehen – Vor allem mußt Du dann wieder bei uns erwarmen; ich meine es müßte Dir wohl thun aus dieser unerqicklichen aufgeregten aufreibenden politischen Thätigkeit – aus diesem Kampf ohne Ende, einmal wieder heraus zu kommen und wieder die Friedensklänge unserer glücklichen Häuslichkeit unserer gegenseitigen innigen Liebe mit der wir auch Dich umfassen und Du uns angehörst – das Vogelgezwitschere unserer holdseligen Kinder, wieder zu hören – Ich will damit Dein ernstes Tagewerk von dem es heißt „wer kämpft der kämpfe denn recht“2 nicht schelten, nur wünschte ich mit Dir, es wäre Dir bald möglich wieder ins alte Gleis – „in die leidenschaftslose Stille“ wie sie der Vater im Gegensatz „zum lauten Lärm des Tages“ erfaßt3, zurück zu kommen. Es wird freilich in Rostock stiller seyn, da Dir die alten nächsten Freunde dort fehlen – aber vors Erste liegt ja eine Reise dazwischen und wer weiß – wie dann!

Ich habe erst gestern Deinen Freund Eggers zum erstenmahl bei mir gesehen – wie ich ihm Deinen Brief schickte, schrieb ich ihm, wie gerne ich ihn einmahl bei mir sähe. Daß ich aber bis jetzt zu unwohl war um ihn zu mir zu bitten – er möchte mich aber doch nun baldmöglichst besuchen – er ließ mich aber warten bis gestern, weil er selbst unwohl war und viel zu arbeiten hat. Da haben wir denn viel von Dir gesprochen – was Du mir selbst nicht schreibst, ich aber doch gern höre erzählte er mir – welchen Respekt Du Deinen Gegnern einflößt – perge perge

Montag4 Mittag werden wir mit ihm bei Manuel zusammen seyn. – Eines aber was mir und Manuel in Deinen leitenden Artikeln auffiel, mußte uns der gute Eggers auch zugestehen, es ist die beißende Schärfe die in Deiner Critik mitunter läuft und wo ich meine, eine überlegene Ruhe bei aller Entschiedenheit, und die möglichste Leidenschaftslosigkeit ohne Hohn und Kälte – in der wir den Schmerz das Wehe über die Sünde und die Ungerechtigkeit in der beleuchdenden Critik durchfühlen  – wirkt noch mehr. – Denke wenn Dir so ein geistvoller Hieb durch die Feder läuft, die Mutter hebt ihre Hand bittend auf – gefalle Dir darin nicht – mache die ernsteste Forderung – auch hierin an Dich selbst – die Wahrheit muß ein wahrhaftiges Zeugniß ablegen und darf tadeln und schelden, aber sie darf sich nicht erbittern lassen –

So wirst Du es schon mit der Florencourschen Kreuz Zeitung aufnehmen.5 Schreibe uns doch welchen Ton sie anschlägt und ob sich die Zahl Deiner Abonnenten in dießem ¼ Jahr erhalten hat – und hast Du meine mütterlichen Bemerkungen nicht übel genommen, so schick uns doch von Zeit zu Zeit die interessantesten Blätter Deiner Zeitung.

Du hast wohl gehört daß Frau von Senf gestorben ist. Die armen Töchter werden ihre gute Mutter schmerzlich vermissen. Sie haben für die Freunde noch die letzten Züge und Erinnerungen der Verstorbenen geschrieben und mir durch den Prof. Fischer sagen lassen, sie wollten dieselben uns zuschicken – habe aber noch nichts erhalten. Wie geht es mit Idas Bräutigam? – Unsere liebe alte Freundin Aimen Hartwich ist mir leider auch vorangegangen, sie starb an einer Brustwassersucht auf ihrem Landsitz in Schlesien, wie ich aus der Zeitung ersehen – Wie wird der arme Mann diesen Verlust ertragen und die Schwestern! Sie war der Mittelpunkt um den sich alles drehte.

Von unseren lieben Nürnbergern habe ich liebe herzliche Briefe – die arme Fritz hat ihre vorjüngste Tochter6 Antonia seit mehreren Monaten bettlägerig krank – sie sey eine liebenswürdige gedultige Kranke. Fritz wohnt mit ihren Töchtern7 in einem Garten am Festner Thor – ihr Sohn Franz ist 8 Arzt in Holstein – Die liebe Mathilde Fürer ist auf ½ Jahr zum Besuch bei den ihrigen in Haimendorf. Baunaut9 zahlt ihr die Reise hin und zurück – Sie sey unverändert dieselbe, liebenswürdig, anspruchsloß – Fanny glücklich die geliebte Schwester wieder zu haben. Nun, ich denke Du reist über Nürnberg und bringst meine Grüße nach Haimendorf. – Thekla fragt in ihrem letsten Brief wieder nach Dir und läßt Dich grüßen.

Ich habe eine Spazierfahrt mit Bussens nach Pankow gemacht zu Lobecks, in denselben Garten in dem wir zusammen wohnten – wir gingen zusammen in den Schönhauser Garten wo mir jede Bank einen Ruhesitz gewährte – die Lieben nahmen auf meine Schwäche alle Rücksicht – und so ist es mir, obgleich ich wohl sehr müde nach Hause kam, doch ganz wohl bekommen – So heben sich doch schon meine Flügel, aber bis Schwerin geht es noch nicht. Ich bin noch sehr auf Ruhe und Stille angewiesen, nach jeder längeren Unterhaltung oder kleinem Weg den ich gehe, muß ich mich erst wieder stille hinlegen und schlafe vor Schwäche ein. Ich kann mir auch gar nicht recht denken, wie ich mich zur Frau Advocat stellen sollte – würde sie Kostgeld von mir annehmen? – Eggers meint „Ja“ – Glaubst Du daß ihre Persönlichkeit mich nicht ermüdet – ich bin nicht engherzig im Verkehr mit Menschen – aber wenn ich zu Gast gebeten bin, frag ich doch nach dem Wirth und den Verbindlichkeiten in die mich die wohlgemeinte (vielleicht nicht ganz uneigennützige) Einladung, der Mutter einer hübschen Tochter versetzt –

Im ersten Anlauf gebeten zu Deinem Geburts tag10 war ich weniger bedenklich als jetzt – Ich wollte Dir Dein Geburtstags Geschenk eine gemachte Sommerweste und sonstige Kleinigkeiten selbst mitbringen, das liegt nun und wartet ob ichs soll schicken, oder ob ich es doch noch selbst bringen kann – Ich hätte auch so gerne einmahl Deine Wäsche und Betten revidirt und restorirt – schickst mir nicht das Maß der Decke – was wird die Frau Advokat von der Mutter denken die ihren Sohn so schlecht versorgt –

Dieser Brief blieb seit Sonabend11 unbeendigt liegen – ich hatte wieder nerveuses Kopfweh – mußte mich Sontags still zu Hause halten. Heute Montag bin ich schon seit Frühstunden bei Friederike, um ihr behülflich zu seyn zu ihren Reise und Hochzeits Angelegenheiten – Sie reisen Donnerstag12 mit dem Frühzug zu Trinklers Hochzeit die Freitag ist – machen einen Ausflug nach Kösen und kommen am Sontag Abend wieder – den guten Manu wird diese Erholung wohl thun – Heute Mittag war Eggers bei uns – erfreute sich an unsern Kindern – wir haben ihn sehr lieb gewonnen –

Nun beendige ich diesen Brief an Manuels Schreibtisch und grüße Dich auch von Manuel und Friederike. –

Morgen ist Wahltag in Manuels Bezirk ist Manuel, 13 und Dannenberger in der Vorversammlung bereits schon gewählt – Die Democraten fahren spazieren – es sey kein Wagen mehr zu bekommen.

Nun noch ein herzinniges Lebewohl – Du lieber theuerer Sohn – Laß mich bald wieder ein Wort von Dir hören